Hey, diese Geschichte ist in einer Nacht entstanden, in der ich nicht schlafen konnte. Mal wieder keine Alltagssituation, aber irgendwie dann doch. Ich meine, kennt ihr das nicht? Nicht zu wissen, wo man hingehört? Aufgeben zu wollen? Aber glaubt mir, der Sinn eures Lebens wird sich irgendwann zeigen...Ich selbst habe meines noch nicht gefunden, aber ich weiß, dass es diesen Sinn geben MUSS...
Jetzt aber viel Spaß mit der Kurzgeschichte
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„Weißt du eigentlich, wie sich das anfühlt?", in seinen Augen funkelt der Zorn. Erschreckend und schön zugleich. Wie Sterne am Himmelszelt, Sprenkel in seinen tiefen, blauen Augen. „Weißt du eigentlich, wie es sich verdammt nochmal anfühlt?", unter seinem bohrenden Blick fühle ich mich klein. Ich schrumpfe mit jeder Sekunde, in welcher sein Blick mich durchbohrt. Ein Loch mitten durch mein Herz sticht und von Sekunde zu Sekunde tiefer in mich eindringt. Ich senke den Kopf. Blicke den Boden an und versuche mein Herz davon zu überzeugen weiter zu schlagen. Versuche das Atmen nicht zu vergessen. Versuche mich einzig und allein darauf zu konzentrieren, was jetzt ist. Auszublenden, was war und was sein wird.
„Du hast keine Ahnung.", flüstert er rau. Seine Kehle ist trocken vom schreien, vom toben, vom weinen. Er ist müde. Er kann nicht fassen, was geschehen ist und ich kann es ebenso wenig.
„Du hast keine Ahnung von meinen Gefühlen und du weißt nicht...", er bricht mitten im Satz ab. Ich schaue auf. Mein Blick wandert über seine Schuhe, arbeitet sich Stück für Stück seinen Körper hinauf und bleibt schließlich an seinem Gesicht kleben. Seine Augen fixieren einen mir unbekannten Punkt, sind in die Ferne gerichtet.
„Was...", meine Stimme bricht ab, ist mir nicht treu und ich kann es ihr nicht verübeln. Die ganze Welt ist gegen mich und nun bin ich es selbst auch. Ich räuspere mich. Befehle mir selbst es noch einmal zu versuchen. „Was weiß ich nicht?", die Worte sind leise. Werden zitternd und surrend durch die Luft übertragen. Zucken zwischen uns, wie Blitze. Ich kenne ihn gut. Ich weiß, dass er es, was auch immer es sein mag, nicht aussprechen will.
Wie aus einem Traum erwachend, schüttelt er den Kopf. Reißt seine Augen von dem bis eben fixierten Punkt los und sieht mich wieder an. Diesmal ist sein Blick traurig. Seine Augen glänzen, er kämpft mit seinen eigenen Gefühlen. Will weinen, aber traut sich nicht. Er denkt, dass er stark sein müsse. Ein Mann sein müsse. Und Männer weinen nicht, so denkt er. Ich denke das nicht. Jeder hat Gefühle und jeder sollte sie auch zeigen können, außer mir. Ich wiederhole meine Frage, diesmal mit kräftigerer Stimme. „Was weiß ich nicht?", er erschrickt unter der Härte meiner Worte. Er ist es nicht gewohnt, dass ich so mit ihm rede. Mich ihm nicht unterwerfe.
„Du...du weißt nicht...", stammelt er. Er ringt weiter mit sich selbst. Trägt einen Boxkampf mit seinen eigenen Gefühlen aus.
„Was?", ich wollte noch nie etwas so sehr wissen, noch nie in meinem Leben.
„Du hast keine Ahnung von meinen Gefühlen, du weißt nicht, was ich für DICH fühle!", eine einzelne Träne kullert seine Wange hinab. Sie bedeutet so viel mehr, als tausend Worte es ausdrücken könnten. So viel mehr als eine Millionen Küsse, so viel mehr als jedes Geschenk. Es zeigt mir, dass ich ihm nicht egal bin, dass jedes „Ich liebe dich", dass er mir heimlich ins Ohr geflüstert hat nicht nur Staub im Wind war. Keine riesige Lüge. Viel mehr Wahrheit, als ich ihm jemals geben könnte. Weil mein ganzes Leben eine Lüge ist. Weil ich eine Lüge bin.
„Ich...ich fühle doch genau so für dich!", wispere ich in dem verzweifelten Versuch meine eigenen Tränen zurückzuhalten.
„Du?", stößt er hervor. In diesem einen kleinen Wort, bestehend aus nur zwei Buchstaben, liegt so unglaublich viel Hass, dass es all die Gefühle von eben zu Nichte macht. „Du bist doch gefühlskalt.", sagt er. Er klingt nicht mehr, als ob er mich gleich in Stücke reißen würde. Er klingt so neutral, dass nun eher ich diejenige bin, die an seinen Gefühlen zweifelt.
„Ich bin vielleicht nicht die, für die du mich gehalten hast, aber ich liebe dich von ganzem Herzen. Verdammt, bitte glaub mir doch!", starte ich einen verzweifelten Versuch ihn zu beschwichtigen. Egal wie viel von meiner eigenen Existenz eine Lüge war, meine Liebe zu ihm war immer echt. Viel zu echt. Die Liebe hat mich weich geklopft und dabei muss ich eigentlich härter sein als Stahl. Unantastbar, wie die Sonne und zerstörerisch, wie eine Atombombe. Eigentlich darf ich nicht weinen und doch tue ich es in diesem Moment zum ersten Mal in meinem Leben. Eine Träne nach der anderen findet ihren Weg, kullert über meine Wangen, stürzt von meinem Kinn. Wie jemand, der nicht mehr leben will, denke ich. Wie solch ein jemand von einer Klippe springt, stürzen die Tränen von meinem Kinn und finden ihren Tod in der Pfütze zu meinen Füßen. Ich finde immer mehr Zusammenhänge zwischen Tränen und solchen Menschen. Beide sind nur ein Tropfen von einem See an Geschöpfen, die sich das Leben nehmen und beider Leben ist nicht von all zu langer Dauer.
Leben. Dieses Wort war mir nie bekannt. Erst als Alexis zu mir sagte, ich seie sein Grund um zu leben, begriff ich, dass Leben die Existenz eines Menschen beschrieb. Alexis lachte mich aus, doch ich konnte ihn davon überzeugen, dass ich es nicht wüsste, weil ich da, wo ich herkomme nie zur Schule gegangen wäre. Dies war eine weitere Lüge auf dem Haufen, der sich über meinem Kopf häuft. Er gehört zu mir, wie ein Heiligenschein zu einem Engel gehört. Macht mich vermutlich zum Inbegriff eines Teufels.
Da wo ich herkomme, genoss ich sogar eine hervorragende Ausbildung. Mein ganzes Leben lang wurde ich darauf vorbereitet eines Tages zu töten. Einen Menschen zu Töten. Ihn zu töten. Deshalb bin ich hier. Deshalb existiere ich. Ich, eine Züchtung aus Raubtier und Mensch. Ich, eine Tochter Thanatos. Dem Gott des Todes. Ich, der Tod selbst. Mein Leben bei den Menschen eine Lüge, denn ich lebe nicht, ich existiere. Und ich existiere einzig und allein um ihn zu töten. Alexis. Den Jungen den ich liebe, auch wenn es unmöglich ist. Ja, ich liebe ihn. Ich habe keine Gefühle und trotzdem liebe ich ihn aus tiefstem Herzen, falls ich denn eines besitze. Ich kann ihn nicht töten, aber ich muss.
Mit zitternden Fingern greife ich in meine Tasche. Die Kuppen meiner Finger streifen über den Revolver, der in Samt gebettet in meiner Tasche auf den Einsatz wartet. Ich kann das nicht tun! Dieser eine Satz schießt mir wieder und wieder durch den Kopf. Ich kann das nicht tun.
Vor mir steht der einzige Mensch für den ich je etwas anderes empfunden habe, als Hass. Der Mensch, den ich liebe. Und der Mensch, für dessen Tod ich gemacht bin.
Meine Hand zuckt zurück. Meine Finger wollen sich nicht um das polierte Metall schließen. Wollen nicht die Waffe ziehen, nicht schießen. Alexis nicht töten.
Meine Arme hängen schlaff und nutzlos von meinem Körper herab, als würden sie nicht zu mir gehören. Ich kann nur dastehen und ihn beobachten, wie er seine Finger knetet, welche dabei ein knackendes Geräusch von sich geben. Dann sieht er auf. Seine Augen, die mich mustern sind dunkler als je zuvor. Er schwankt. Steht wieder gerade.
„Wer bist du wirklich?", fragt er anklagend. Ich erzähle im alles, von meiner Geburt in der Grotte, bis hin zu diesem Moment, in dem ich so verzweifelt bin, dass ich es liebend gern meinen Tränen gleich tun und meine Existenz einfach beenden würde.
Bei jedem Wort, das ich von mir gebe, weiten seine Augen sich ein bisschen mehr, Sodass ich Angst haben muss, sie würden bald aus seinem Kopf fallen. Als ich meine Erzählung beendet habe, stehen wir eine Weile nur so da und starren uns gegenseitig an. Das Weiße seiner Augen färbt sich rot. Und plötzlich schnellt seine Hand vor und schlägt mich so heftig gegen die Brust, dass ich stolpere, keuche, nach Luft ringend auf dem Boden kauere. Warum ist er so stark? So gottverdammt stark? Kein Mensch ist dazu in der Lage, mich zu Fall zu bringen.
Alexis über mir schwangt erneut und übergibt sich schließlich in hohem Bogen. Mit dem Handrücken jener Hand, mit welcher er mich auch geschlagen hat, wischt er sich Reste von Erbrochenem vom Mund. Dann fällt er auf die Knie. Nun ist er es, der nach Atem ringt. Der den köstlichen Sauerstoff in seiner Lunge spüren will. Ihn dort spüren muss. Vergebens. Er kippt nach Hinten, liegt verrenkt vor mir im Gras. Er zuckt und dann....dann nichts mehr. Sein Herz schlägt nicht mehr. Alexis ist tot. Und mit ihm gehe ich, Laurel. Der menschliche Teil von mir. Nun bin Ich lediglich ein Monster.
Er war besessen, dass weiß ich. Besessen von meinem Herrn und Vater. Besessen vom Todesgott Thanatos. Und dieser wird toben, wenn ich zurückkehre. Ich habe meinen Lebenssinn, meinen Existenzsinn nicht erfüllt. Warum dann noch leben? Warum dann noch existieren.
Ich greife wieder in meine Tasche. Diesmal entschlossen. Nehme die Waffe in die Hand. Richte sie auf mich selbst. Sehe in den Lauf. Kann meinen Tod spüren. Kann ihn sehen. Ich blicke in den Lauf des Revolvers. Drücke ab. Und sehe, wie in Zeitlupe die Kugel auf mich zufliegen. Treffe perfekt, wie ich es gelernt habe. Bin tot.
Denn dazu bin ich da. Um zu töten. Wenn auch nicht Alexis, ich habe getötet. Während ich zu Boden gehe und neben ihm auf der Wiese lande, bin ich einfach nur glücklich. Wir liegen nebeneinander. Tot zwar, aber hier gehöre ich hin. Zu Alexis. Der Liebe meines Lebens. Der Liebe meiner Existenz. Der Liebe meines Todes. Der einzigen Wahrheit in einem Leben voller Lügen. Ich öffne die Lippen und spreche aus, was ich seit Monaten zu sagen habe. Was auf meiner Brust lastet, wie Tonnen von Blei. „Alexis, ich...ich liebe dich", schwach verschränke ich meine Finger mit den seinen und tue meinen letzten Atemzug. Mein Kopf kippt zur Seite weg und es wirkt, als würde ich ihn ansehen.
Hand in Hand liegen wir auf der Wiese und ich bin zum ersten Mal genau dort, wo ich hingehöre. Zu Alexis. Der Liebe meines Lebens. Der Liebe meiner Existenz. Der Liebe meines Todes. Der einzigen Wahrheit in einer Welt voller Lügen.
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~1716 Wörter
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Kurzgeschichten
Short StoryEine bunte Sammlung an Kurzgeschichten. Glücklich, traurig, herzzerreißend. Wird oft aktualisiert