rot

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Nachts liege ich wach. Tagsüber bin ich müde. Denken? Kann ich nur an dich. 

Früher hat mir mein Opa gezeigt, wie man mithilfe einer Lupe und Sonnenstrahlen eine Schrift in Holz eingravieren kann. Es dauert unglaublich lange bis das Holz vollständig bearbeitet wurde. Ich war damals natürlich viel zu ungeduldig, aber mein Opa hat sich immer ganz entspannt auf den alten Plastikstuhl im Garten gesetzt und abgewartet. Man musste die Lupe ganz still halten, damit eine saubere Schrift entsteht. Du setzt dich auch jeden Tag aufs Neue auf den alten Plastikstuhl im Garten und brennst deinen Namen ganz präzise in mein Gedächtnis. Ich wehre mich, aber es ist dir egal. Der ganze Garten ist ja schon längst von meinem Blut überströmt. Ich sehe nur noch Rot. Und wenn ich denke, es geht nicht schlimmer, setzt du dich ein wenig anders auf den alten Plastikstuhl in dem Garten und die Sonnenstrahlen brennen noch stärker durch die Lupe. Noch intensiver, noch schmerzhafter. Mein Zeit- und Raumgefühl besitze ich nicht mehr, das hast du längst eingenommen. Meine Sinne? Meine Wahrnehmung? Meine Erinnerung? Meine Perspektive? Meine Meinung? Alles längst weg. Die Brandmarkung scheint einfach kein Ende zu nehmen, obwohl dein Name nicht so viele Buchstaben hat. Wir wissen beide was passiert, wenn du endlich fertig bist. Du trittst noch einmal auf mich und verlässt den blutüberströmten Garten. Und das einzige, was ich je wieder sehen werde: Rot.

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