XVI. Die richtige Therapie - Teil III

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"Spiel mir ein Lied zu dem ich lachen kann, spiel mir ein Lied nur für den Untergang. Wo ist das Lied, das noch nicht jeder kennt? Spiel mir das Lied vom Tod."

-Bonaparte-

Alecs Pov

'Kampf oder Flucht?'
Ich kann förmlich sehen, wie es in Magnus' Innern tobt und wie er merklich nach Kontrolle ringt.
Während ich ihm die nötige Zeit gebe, streicht meine Hand beruhigend über seinen Unterarm. Ich lasse ihn spüren, dass er nicht allein ist und es nie wieder sein wird.

Seine ersten Wörter sind brüchig und rau. Vereinzelte Tränen rinnen über seine Wangen, während er bemüht weiterspricht. Still lausche ich seiner Stimme und der Geschichte über einen kleinen Jungen, der in einer verschneiten Winternacht den Glauben an Glück und Barmherzigkeit verloren hat.

Auf dem Rückweg von einem Familienausflug war Magnus friedlich im Auto, auf dem Rücksitz und Schoß seiner Mutter, eingeschlafen.
Zärtlich streichelte sie Magnus' Gesicht, während ihre liebliche Stimme noch sanft zu ihm durchdrang. Hin und wieder lachte sie über etwas, dass Magnus' Vater zu ihr sagte, der auf dem Fahrersitz saß. Er schaffte es doch immer wieder, sie zum Lachen zu bringen.

Ein Gefühl von tiefer Geborgenheit durchströmte Magnus und für diesen Moment hätte er nicht glücklicher sein können. Die Menschen, die er über alles auf dieser großen, weiten Welt liebte, waren hier bei ihm, auf dem Weg zurück in ihr gemeinsames Zuhause.

Doch sie kamen dort nie an. Bei der Überquerung einer scheinbar verlassenen Kreuzung wurde das Auto von Magnus' Eltern seitlich gerammt. Ein Laster, dessen Räder auf den glatten Straßen keinen Halt zum Bremsen gefunden hatten, überschritt ungehindert die Haltelinie.

Mit voller Wucht wurden Magnus und seine Eltern von dem anderen Fahrzeug erfasst und mehrere Meter mitgeschleift, bis sie schließlich gegen die Hauswand eines naheliegenden Gebäudes prallten und zum Stehen kamen. Der Metallkoloss hatte in seiner Zerstörungswut das Auto völlig deformiert und alle Insassen eingequetscht.

Etliche Minuten verbrachten die Rettungskräfte nach ihrem Eintreffen mit der Bergung.
Doch für Magnus war es schier eine Ewigkeit, in der er schreckliche Höllenqualen litt. Der Schock lähmte ihn und ließ letztlich nur noch einen Gedanken zu:

Tod.

Die Fahrerseite des Wagens war dermaßen eingedrückt, dass Magnus nicht mehr erahnen konnte, wo sein Vater überhaupt gesessen hatte.
Der Oberkörper seiner Mutter beugte sich schützend über ihn. Ihre Augen waren starr vor Schock aufgerissen, ihre Atemzüge waren kaum noch spürbar. Immer wieder versuchte sie Magnus etwas zu sagen, doch die Kraft verließ sie stetig mehr.

Warmes Blut tropfte von ihrem Kopf auf Magnus' kalte Brust und tränkte seine Kleidung in tiefes Rot. Bis zu diesem Tag war ihm nicht bewusst, wieviel menschliches Blut aus einem Körper fließen kann. Er wusste, dass seine Mutter es nicht schaffen würde, die Verletzungen waren zu immens.

Auch wenn Magnus kaum Schmerzen verspürte, was vermutlich dem Schock zuzuschreiben war, dachte er daran, dass auch er sterben würde. Wenn der Tod ihn holen kommen sollte, gäbe es keinen Grund sich zu wehren. 'Was hatte es für einen Sinn zu kämpfen und weiterzuleben, wenn doch niemand auf ihn wartete?
Was würde aus ihm werden?'

Als der letzte Lebenssauch Magnus' Mutter verließ, schloss er wimmernd die Augen.
Ein letzter tiefer Atemzug durchströmte seine Lungen und er war bereit loszulassen, hieß den Tod mit Tränen willkommen.

Doch der Tod wollte ihn nicht. Stattdessen beförderten Magnus' Lungen weiterhin lebensnotwendige Luft in seinen kleinen Körper und auch sein Herz wollte einfach nicht aufhören zu schlagen.
'Wofür wurde er bestraft? Wieso konnte er nicht einfach gehen?' Es schien so einfach. Ein Trugschluss.

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