Sorry für etwaige Verwirrungen. Ich habe dieses (Geister-)Kapitel kurzzeitig zurückgezogen, um es nochmal neu zu veröffentlichen, da es scheinbar seinem Namen alle Ehre gemacht hat und für einzelne Leser gänzlich unsichtbar geblieben ist. Ich hoffe, jetzt geht es, @NataschaViktoria ?
***
Konnte Angst einen umbringen?
Wenn nicht, würden Sabine wohl stattdessen diese elendigen Kopfschmerzen dahinraffen. Die Intervalle zwischen den Attacken wurden immer kürzer. Trotz der Schmerztabletten.
Wahrscheinlich war sie so zugedröhnt mit Medikamenten, dass sie wie blöd halluzinierte. Gut möglich, dass das Mädchen sowieso nur in ihrer Phantasie existierte.
Und selbst, wenn nicht? Was konnte ihr dieses klapprige Gestell schon groß antun? Sabine ging doch eh schon durch die Hölle.
Sollte sie es nicht besser einfach aushalten? Dass sie gleich von einem Geist berührt würde?
Wegrennen war jedenfalls nur auf den ersten Blick eine verlockende Option. Das Mädchen würde keine Ruhe geben und sie Tag und Nacht weiterverfolgen. Und dafür musste es einen Grund geben. Aus reinem Spaß an der Freude machte sich der Gruftie hier sicher nicht die Mühe, Sabine zu schikanieren. Und wie sagte man so schön: Lieber ein Ende mit Schrecken statt ein Schrecken ohne Ende.
Trotzdem wich Sabine reflexartig zurück, als ein dürrer, leicht transparenter Zeigefinger sich anschickte, ihren Brustkorb zu durchbohren. Nur eine Sekunde später wurde ihr Herz in einen unsichtbaren Gefrierschrank gesperrt. Es krampfte sich schmerzhaft zusammen und Sabine war aufeinmal furchtbar kalt. Sowohl ihre Körper- als auch die Umgebungstemperatur schienen plötzlich um mindestens zwanzig Grad gefallen zu sein. Und dank der grellen Blitze, die durch ihren Schädel zuckten, konnte sie außer gleißenden Lichtern, bunten Nachbildern und tiefer Schwärze in den kurzen Gewitterpausen nichts mehr sehen.
Ok, sie musste ihre Meinung revidieren: Das Geistermädchen war sehr wohl in der Lage, ihr Leid zuzufügen. Gegen diese brennende Kälte und die Mark und Bein durchdringenden Stromschläge waren Sabines Kopfschmerzen ein Witz. So ähnlich musste sich eine Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl anfühlen. Nur würde ihr Blut da wohl eher kochen statt gefrieren.
Nun verspürte sie doch einen heftigen Fluchtimpuls. Auf diese erbärmliche Weise wollte sie dann auch wieder nicht abtreten. Ein weiterer Blitz schnitt scharf durch ihre abstrusen Gedanken.
"Lauf weg und du bist wirklich tot!" Die sirrende Stimme kam von allen Seiten und traktierte Sabines blankgelegte Nerven mit feinen, aber sehr präzisen Nadelstichen.
"Bist du in meinem Kopf?", stieß Sabine zitternd und zwischen klappernden Zähnen hervor.
"Gute Frage." Im einen Moment schienen die Worte aus weiter Ferne und fast zufällig zu Sabine hinüberzuwehen. Im nächsten wurden sie von kalten Lippen geflüstert, die sich mit grausamer Zärtlichkeit auf Sabines Ohr pressten. "Die Antwort darauf könnte dir das Leben retten. Aber viel Zeit bleibt dir nicht mehr, um sie zu finden."
Die Elektroschocks endeten abrupt mit diesem letzten bedrohlichen Satz.
Die Kopfschmerzen blieben.
Langsam drehte sich Sabine um die eigene Achse. Ihre pelzigen und nach wie vor schlotternden Gliedmaßen gehorchten ihr nur unzureichend. Das Gespenst war nicht mehr zu sehen. Dennoch spürte Sabine seine Präsenz noch deutlich. Das Mädchen war nicht verschwunden. Es fühlte sich eher so an, als wäre es in Sabine hineingeschlüpft und wartete nun in einer versteckten Ecke tückisch lächelnd auf den nächsten Einsatz. Wie ein Krankheitserreger während der Inkubationszeit. Apropos: Den beißenden Desinfektionsmittelgeruch hatte Sabine auch noch in der Nase.
Unbeholfen - sie war immer noch am Bibbern - zog sie ihr Handy aus der Tasche. Sie würde mindestens zehn Minuten zu spät am Treffpunkt ankommen.
Noch immer reichlich verstört trat sie den Rückweg an. Als sie an dem Kindergrab vorbeikam, stellte sie irritiert fest, dass ihre weiße Rose von einem hellen Schein umgeben war, der im dichten Nebel milchig und unheimlich anmutete. Was hatte das nun wieder zu bedeuten?
Sobald sie sich auf dem Hauptweg befand, entwich ihr ein erleichterter Seufzer. Sie richtete ihren Blick stur geradeaus und versuchte, nicht auf all die dunklen Schemen zu achten, die plötzlich zwischen den Gräbern herumwanderten. Vielleicht handelte es sich hierbei tatsächlich nur um stinknormale Friefhofbesucher. In diesem furchtbaren Nebel sah sogar eine harmlose Eiche wie ein Ungeheuer aus.
Auch ihren Vater und ihren Sohn konnte Sabine erst eindeutig identifizieren, als sie nur noch eine Armeslänge von ihnen entfernt war. Wie sie es sich bereits gedacht hatte, warteten sie am Ausgang auf sie.
"Papa - Gott sei Dank! Ich hab mir echt Sorgen um dich gemacht! Wieso bist du denn einfach ohne ein Wort abgehauen?", keuchte Sabine. Sie war völlig außer Atem. Zum einen, weil sie sich schon ewig nicht mehr körperlich ertüchtigt hatte und zum anderen, weil ihr die Angst noch immer im Nacken saß und ihr mit eisernen Pranken die Kehle zuschnürte.
"Ich verstehe diese ganze Aufregung nicht", brummte ihr Vater. "Uns ist das am Grab nur zu viel geworden. Deshalb haben wir beschlossen, schon mal Richtung Ausgang zu spazieren".
WIR.
Es ging also wieder los.
Sabine stöhnte und warf Max einen kurzen Blick zu. Doch der zuckte nur grinsend mit den Schultern. Sie bewunderte ihn dafür, wie gelassen er mit den Macken seines Großvaters umging.
"Du bist ja ganz grün im Gesicht, Mama", konstatierte ihr Sohn nun. "Sind dir irgendwelche Zombies über den Weg gelaufen?"
Hannes räusperte sich vernehmlich und neigte seinen Kopf demonstrativ nach rechts.
"Sorry, Opa!", sagte Max sofort.
"Wie willst du denn bei dem Nebel meine Hautfarbe erkennen?", fragte Sabine. "Ich seh dich und Opa nur in Grauschattierungen."
"Jetzt übertreibst du aber wirklich." Max schüttelte den Kopf. "So schlimm ist der Nebel jetzt auch wieder nicht."
Sabine ließ es gut sein. Scheinbar drifteten ihrer beider Wahrnehmungen schon wieder auseinander. Und dafür, dass mit ihr etwas ganz und gar nicht stimmte, war die Episode im Terrain der Gottlosen eben Beweis genug gewesen. Mehr und mehr gelangte sie zu der Überzeugung, dass das einäugige Gespenstermädchen ebenso wie die abnorme Dichte dieser Nebelmassen nicht mehr als Hirngespinste waren. Sobald sie diese ekelhaften Kopfschmerzen im Griff hatte, würde sie hoffentlich wieder klarer sehen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
"Papa, kannst ausnahmsweise du fahren? Ich fühle mich nicht so gut. Ich glaub, ich hab's mit den Schmerztabletten etwas übertrieben. Zur Zeit bin ich extrem Schädelweh-geplagt."
Dass die Kopfschmerzen laut ihrer Psychiaterin eine unangenehme, aber vorübergehende Nebenwirkung ihrer anderen Medikamente waren, verschwieg sie. Ihr Vater wusste nicht, dass sie Antidepressiva schluckte.
Hannes war mit dem Bus gekommen. Seit ihm seine künstlichen Hüfte Probleme bereitete, saß er nicht mehr so gern selbst am Steuer. Aber in dem Fall würde er hoffentlich eine Ausnahme machen und so war es dann auch.
Doch als Sabine sich erleichtert auf den Beifahrersitz plumpsen lassen wollte, hielt Hannes sie mit einer für seine Verhältnisse recht brüsken Geste davon ab.
"Kannst du bitte neben Max auf der Rückbank Platz nehmen? Hier sitzt doch Oma."
***
Es tut mir wirklich herzlich leid, aber es wird doch noch einen vierten Teil dieser Auftakt-Geschichte geben. Obwohl ich ausnahmsweise von Anfang wusste, worauf das Ganze hinausläuft, hätte ich nicht gedacht, dass das mal wieder derart ausufert.
Und ja, mir ist bewusst, dass ich meinen hochtrabenden Ankündigungen von wegen subtilem Grusel mit dieser Story, die dem Leser ansatzweise gruselige Elemente mit der gusseisernen Pfanne überbrät, nicht wirklich gerecht werde, aber ich muss erstmal langsam wieder in dieses Genre reinkommen.
Ich hoffe, ihr lest trotzdem weiter. ;)
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Wenn die Toten reden
ParanormalHier ist drin, was draufsteht: Kleine, gemeine Geistergeschichten. Wobei ich das "kleine" wohl jetzt schon relativieren muss. Bereits meine erste Gruselmär besteht darauf, sich über mindestens drei Teile erstrecken zu dürfen. Im Vergleich zu dem, wa...