Tardy - Bridge

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Ardy? Wo bist du?", frage ich laut. Seit gestern Abend, als ich von der Party nach Hause gekommen bin, ist er unauffindbar. Zuerst habe ich gedacht, er ist mit Kumpels irgendwohin gegangen, aber als er heute morgen auch noch nicht da gewesen ist, habe ich angefangen, mir Sorgen zu machen.

Ich fahre trotz starkem Regen mit dem Longboard durch Köln und rufe nach Ardy. Meine Klamotten sind durchnässt und dank der Kälte klappere ich mit den Zähnen.

Wieder rufe ich, nun langsam verzweifelt, seinen Namen. Eine junge Frau dreht sich um und schaut mich komisch an. Jetzt bin ich schon am Anfang der Hohenzollernbrücke beim Rhein. "Ardy?", rufe ich wieder. Irgendwo in der Ferne höre ich ein Wimmern. "Ardy! Wo bist du?", schreie ich. "Geh weg! Lass mich in Ruhe!", ruft er. Ich schaue ganz langsam und genau die Brücke ab. Da! Ich sehe ihn, er sitzt rechts von mir etwa in der Mitte der Brücke auf dem Geländer. "Spinnst du?! Komm da weg!", rufe ich geschockt. Ich steige von meinem Board und gehe Schritt für Schritt in Ardys Richtung. Ich bin etwa vier Meter von ihm entfernt, als er sich endlich zu mir umdreht. "Keinen Schritt näher oder ich springe", sagt er ruhig. "Was ist los? Was tust du hier?", frage ich mit zittriger Stimme. "Was interessiert dich das überhaupt? Das tut es ja sonst auch nie. Du bist ja immer weg, machst Party, gehst essen und chillst mit deinen Freunden. Nimmst auf, kriegst Millionen Klicks und Likes, tausende Abos. Die Fangirls lieben dich, vergöttern dich. Das würde ich auch, wenn ich ein Fan wäre. Ich meine, du siehst gut aus, hast die coolste Stimme im Universum, kannst rappen. Ist doch geil, so als Perfektion rumzulaufen. Aber was nicht so geil ist, dass nur du diese Perfektion bist. Ich bin einfach scheisse, alle hassen mich. Gestern hat mich niemand vermisst, als ich nicht zur Party gekommen bin. Keine einzige Nachfrage  zu meiner Abwesehenheit. Nichts. Dich hat es ja auch nicht gestört. Der Knutschfleck steht dir wirklich. Du nennst ja plötzlich Simon, Felix, Dima, Sascha und Marley 'Brudi'. Auch alle anderen. Mich nicht. Wann hast du mich das letzte Mal so bezeichnet? Kannst du dich nicht erinnern? Ich auch nicht. Ist wohl schon zu lange her. Ich habe auf alles hier keinen Bock mehr." Ardy kullern Tränen runter, als er das alles sagt. Jedes Wort ist wie ein Messerstich in mein Herz. "Ardy...Es tut mir..."-"Leid? Tut es dir das? Nein! Dir ist das alles scheiss egal", unterbricht er mich. Seine Stimme ist hysterisch und er zittert. Beschämt schaue ich weg. Ich habe ihn schon lange nicht mehr so krass aufgewühlt erlebt. "Ardy. Du brauchst nicht eifersüchtig sein!", versuche ich ihn zu beruhigen und gehe einen Schritt näher. Ardy blickt mir tief in die Augen. Langsam steht er auf und schluckt. "Ich bin es aber." Mit einem Rückwärtssalto springt er von der Brücke. Ich schreie laut auf und renne ans Geländer. Als ich ankomme, höre ich nur ein "Platsch". Ardy taucht immer weiter ins Wasser. Ich denke nicht lange nach, sondern springe ihm hinterher. Das Wasser, welches mich nach ein paar Sekunden umschliesst, ist eisig kalt. Ich tauche wieder auf und schnappe nach Luft. Ardy ist weiter vorne ins Wasser gefallen, also schwimme ich so schnell es geht zur besagten Stelle. Nachdem ich tief Luft geholt habe, tauche ich unter und suche nach Ardy. Plötzlich spüre ich etwas an meinem rechten Fuss. Er ist es! Ich zerre ihn an die Wasseroberfläche und hole Luft. "Ardy! Wach auf!", rufe ich. Er fühlt sich so kalt an. Tränen vermischen sich mit dem Regen und schon bald sehe ich fast nichts mehr. "Ardy! Bitte nicht", flüstere ich tonlos. Doch es ist zu spät. Ich drücke ihn an mich und gebe ihm einen Kuss auf die Stirn.

- Oneshots -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt