2. Thinking out loud- Ed Sheeran

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Leise breite sich Musik aus. ,,Schön das du gekommen bist." begrüßte mich seine sanfte Stimme. Aufmerksam sah ich mich in dem großen Raum um. Meine Augen sagten ihm, dass ich es toll fand. An allen Wänden hingen Spiegel und zeigten mich tausendfach. ,,Hier habe ich früher getanzt.", erklärte er.

Ich zuckte mit den Schultern. ,,Warum wir hier sind?" Ich nickte. Woher auch immer- er wusste immer was ich dachte. ,,Das Tanzen im Park war ja schon ganz schön, aber jetzt wird richtig getanzt! Ich dachte mir du möchtest wieder auf einer Bühne stehen. Ab heute bin ich dein Tanzlehrer. Du wirst neue Schritte lernen, beweglicher werden und schließlich eine Profitänzerin. In zwei Monaten ist dein erster Auftritt. Erschrocken riss ich die Augen auf, doch er lachte nur. Sein Blick wanderte zur Musikbox. ,,Ein langsames Anfangslied. Zeig mir alles was du kannst!"

Kopfschüttelnd betrachtete ich ihn und mir fiel zum ersten Mal auf, dass er nicht ein Gramm Fett an seinem Körper hatte. Da waren nur Muskeln. Über meine Bewunderung hinweg hatte ich gar nicht gemerkt wie er mich an der Hand genommen hatte und langsam im Takt vor und zurück führte. Wir gingen im Kreis und den Raum auf und ab. Schließlich vollführte ich an seiner Hand die erste Drehung. Während meine Hand kalt wie Eis war, fühlte seine sich warm und rau an. Sein Händedruck war fest und bestimmend. Er zwang mich in die Knie zu gehen, meine Arme über dem Kopf kreisen zu lassen und wieder aufzustehen.

Lächelnd sah ich ihn an und entzog mich seiner Hand. Jetzt wollte ich ihm mal zeigen was ich wirklich konnte. So elegant wie möglich führte ich mein rechtes Bein zu meinem Kopf, vollführte eine Drehung auf dem Fußballen und ging dann in die Knie. Der Spakat dauerte etwas länger aber schließlich klappte es doch. Drehend stand ich wieder auf und sprang elegant von einem Fuß auf den anderen. Dann ließ ich mich schnell auf meine Hände fallen und zog die Füße nach oben. 

,,Du turnst zu viel herum. Sprich durch deine Hände! Lass sie Kreise um deinen Körper ziehen! Tanze mit Gefühl!"
 Ich hielt inne. Mit Gefühl? ,,Ja mit Gefühl. Das ist ein Liebeslied, also drücke das auch aus! Du tanzt wie eine Zirkusartistin die Leute beeindrucken will. Wir wollen die Menschen aber in ihren Herzen berühren." Das Einzige was ich fühlte war Schmerz und Wut. Mit zusammengekniffenen Lippen starrte ich ihn an. Sollte er doch tanzen!

Entschlossen drehte ich mich zum Gehen, doch da war er mit seinem Rollstuhl schon vor mir. Ich schaute zu ihm runter. ,,Du kannst nicht vor jeder Aufgabe wegrennen! Vergesse deine Angst und Wut. Spüre nur noch den Schmerz. Ich weiß das ist schwer, aber Schmerz ist ein wandelbares Gefühl." Verblüfft starrte ich ihn an. ,,Er kann zu Liebe, Hass, Sehnsucht oder Begierde werden."

Jetzt musste ich lachen, doch nur Luft entwich meinem Mund. ,,Es stimmt. Komm ich zeige dir wie ich Früher getanzt habe."

Er führte mich hinaus aus dem Tanzsaal in ein kleines Arbeitszimmer. Hier stand nur ein Bett, ein Schrank und ein Schreibtisch mit einem Laptop. Ob er hier wohnte? ,,Gelegentlich.", antwortete er mir auf meine Gedanken und hatte mich noch nicht einmal angeschaut. Langsam fragte ich mich ob er Gedanken lesen konnte. Oder war er vielleicht einfach nur mein Seelenverwandter?

Auf seinem Laptop öffnete er ein Video und es erklang das gleiche Liebeslied wie eben im Tanzsaal. Ich wusste, dass das Lied recht neu war, also konnte er noch nicht so lange im Rollstuhl sitzen. Vielleicht seit zwei, drei Monaten. Im Video erkannte man zwei Personen. Er und eine Frau. Ich hatte nicht geahnt, dass er auf Beinen so groß war, mindestens einen Kopf größer als ich.

Langsam fing er im Video an sich zur Musik zu bewegen und tanzte schließlich. Jetzt verstand ich was er meinte. Man sah seinem Gesicht an das er diese Frau liebte, wenn auch nur für diese Lied. Man sah es all seinen Bewegungen an, wie er sich nach ihr richtete. Plötzlich verspürte ich das Verlangen auch so angesehen zu werden. Ich wollte geliebt werden, auch ohne Stimme. Wollte verstanden werde! Mir viel auf, dass er mir als einziger Halt gab. Er war für mich da und hielt mich aufrecht. Jetzt liefen mir die Tränen. Zum einen, weil uns beide ein unfaires Schicksal ereilt hatte, zum anderen weil er nie wieder so würde tanzen können wie im Video. Und da fasste ich einen Entschluss.

Von heute an würde ich für ihn tanzen, damit auch ich für in da sein konnte. Ich hatte erkannt das es auch für ihn nur einen Halt gab: mich tanzen zu sehen.

Schmerz ist ein wandelbares Gefühl.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt