5. A drop in the ocean- Ron Pope

373 23 12
                                    

------------------------> 25 Jahre später

Ich stand vor der Allee und bereitete mich auf unseren letzten Tanz vor. Wie zum Anfang jedes Liedes straffte ich die Schultern und hob das Kinn. Dann setzte ich ein leichtes liebevolles Lächeln auf.

Die ersten Töne erklangen. Der erste Satz. Zu schade das ich nicht mitsingen konnte. ,,A Drop in the ocean..." wurde gesungen. Unsicher ging ich einen Schritt nach vorn. Rutschte fast aus. Das dunkelrote Laub war nass. 

Ich musste vorsichtiger sein. Der nächste Schritt war sicherer. Der übernächste perfekt. Wie in alten Zeiten. Im Rhythmus des Liedes bewegte ich mich langsam hin und her. Kahle Bäume ragten links und rechts von mir auf. Braune und rote Blätter bedeckten den Boden. Ein Teppich nur für ihn ausgerollt.

Als der Gesang kurz aussetzte vollführte ich eine langsame Drehung. Meine Augen waren geschlossen.

Noch einmal drehte ich mich und nahm dann Anlauf. Im Sprung versuchte ich einen Spagat. Als meine Füße wieder den Boden berührten krümmte sich mein Körper vor Schmerz zusammen. Mit einem Schritt richtete ich mich wieder gerade auf und setzte ein breiteres Lächeln auf.

Ich konnte sein Gesicht sehen. Wie es zufrieden auf mich hinab blickte. Trotzdem wollte er das ich noch besser, noch emotionaler wurde.

Die nächsten Schritte wurden weiter, gefühlvoller. Ich schaute meinen Händen nach, die Kreise vor meinem Körper zogen. Meine Füße wollten nicht aufhören sich zu strecken und zu springen. Tränen traten mir in die Augen. Sie liefen mir über die Wangen. Doch ich lächelte immer noch. Für ihn.

Was ich hier machte war nicht perfekt tanzen. Aber ich tanzte mit allen Gefühlen die ich aufbrachte. Mein Leben war nach meinem Verschwinden besser geworden, doch das Tanzen immer schlechter. Schließlich hatte ich aufgehört. Bis jetzt. Mir wurde klar das ich nur mit ihm tanzen konnte. Nur für ihn tanzen wollte. Für meinen Mann hatte ich noch nie getanzt.

Was wohl aus seinem Herz geworden war? Immerhin hatte ich ihn verlassen.

Durch meine Gedanken wurde ich unachtsam und rutschte leicht mit den Füßen über das nasse Laub. Konnte mich aber wieder fangen.

Ich beugte mich nach hinten und berührte den Boden. Das Lied trug mich wieder nach oben. Ich wollte singen, doch aus meiner Kehle erklang kein Ton. Nur in meinem Kopf formten sich Worte. Zuerst krächzten, dann immer lauter und klarer. Aus meinem Mund entwich nur Luft:,Cause you are my heaven.' Der Vorletzte Satz. Eine letzte Drehung, ein letzter Sprung. Ich verlor den Halt, knickte um. Ein Schmerz stach mir in den Knöchel. Ich lag am Boden. Das nasse Laub drückte an mein Gesicht. Schmerzverzerrt hob ich es und dachte die letzten Worte mit: ,You are my heaven.'

 Langsam stand ich auf und humpelte ein paar Schritte zu dem Grab. Hier lag er. Mein Blick fiel auf seinen Grabstein. Herum wirbelnde Blätter waren in den Stein gemeißelt. Tanzende Blätter. 

Auch er hatte das Tanzen geliebt.

Die Erkenntnis lies mich weinen. Wir waren beide alt geworden, aber noch zu jung, um zu sterben.

 ,,Er hat dich sehr geliebt." Die sanfte Stimme erschreckte mich. Ich dachte ich wäre alleine. Neben mir stand eine schwarz gekleidete, junge Frau. ,,Ich bin seine Tochter. Einziges Kind. Die Beerdigung war gestern." Ich nickte. Das hatte ich gewusst, aber mich nicht eingeladen gefühlt.

 ,,Wissen Sie er hat eine Abschiedsrede geschrieben... als ob er wusste das er sterben würde."

Sie gab mir einen kleinen Zettel, der ordentlich gefaltet war. Ich öffnete ihn. Ich verzeihe dir. Danke für deinen letzten Tanz. Wandel den Schmerz in Liebe um! Stand dort. Ich musste lächeln und gab  ihn seiner Tochter zurück. Dann nickte ich ihr zu und ging, bevor meine stillen Schluchzer mich überwältigen konnten. Er war mein Himmel. Irgendwann würde ich ihn wieder sehen... und wer weiß vielleicht konnte ich dann ein Leben mir ihm führen.

Schmerz ist ein wandelbares Gefühl.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt