01 ~ Der Kaffee

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Es war sechs Uhr morgens, als mich das Klingeln meines Telefons weckte. Verschlafen tapste ich nach unten und nahm den Hörer ab.

»Aloha. Wer is'n da?«, nuschelte ich in den Apparat.

»Deine Mutter, Ruby!!«, schrie eine schrille Stimme durch den Hörer, welchen ich augenblicklich entsetzt von mir weg hielt.

»Verdammt!«, murmelte ich lautlos. Was in aller Welt wollte die denn von mir? Wir hatten, seit ich vor zehn Jahren ausgezogen war, kein Wort mehr miteinander gesprochen. Meine Mutter war das genaue Gegenteil von mir - total strukturiert und alles lief bei ihr genau nach Plan. Sie war eine gefragte Anwältin und hatte demnach gewollt, dass ich in ihre Fußstapfen trat. Jedoch war das ganz und gar nicht mein Traum. Ich hatte wegen ihr Jura studieren müssen, doch das hatte mir nichts getaugt, weshalb ich das Studium hingeschmissen hatte und abgehauen war. Erst hatte ich mich auf eine kleine Weltreise begeben (das Geld hatte ich davor reichlich aufgetrieben), auf welcher ich angefangen hatte, Bücher zu schreiben. Als ich schließlich durch einige Bestseller genügend Geld verdient hatte, war ich nach Hawaii gezogen und hatte mir ein kleines Haus direkt am Meer gekauft.

Ich fragte mich nun, woher sie meine Nummer hatte.

»Was willst du?«, fragte ich sie barsch, denn ich hatte im Moment keinen Nerv dazu, mich von ihr angiften zu lassen.

»Dein Bruder ist verschwunden! Die Polizei geht von einer Entführung aus.«

»Wie bitte? Caleb wurde entführt?!« Ich war entsetzt. Caleb war ein cooler Bruder. Er war zwei Jahre älter als ich und hatte eine erfolgreiche Medienfirma in Manhattan. Er hatte mich - im Gegensatz zu Mom und Dad - mehrmals im Jahr besucht und wir standen eigentlich ziemlich viel in Kontakt.

»Ja, ganz recht! Ich würde dich, trotz unserer Auseinandersetzung damals, bitten, dass du uns besuchst. Die Polizei hat auch ein paar Fragen an dich, da du ja häufig Kontakt zu ihm hattest.«

Das war doch wohl nicht ihr Ernst? Verlangte meine Mutter gerade tatsächlich von mir diesen Streit einfach zu begraben? Aber bei diesen Umständen ... und es wäre ja nur für Caleb, wie ich mir augenblicklich in den Sinn rief.
Mom lebte gemeinsam mit Dad - er war Richter - in Bangor, einer kleinen Stadt in Maine, die nebenbei auch als Zentrum des Horrors galt. Das lag wohl an den Geschichten, die Stephen King - ein bekannter Horror-Autor - schrieb. Stephen King wohnte in der selben Straße wie meine Eltern, weshalb sie gute Freunde waren. Von Stephen King hatte ich auch meine eigene Begeisterung fürs Schreiben erlangt.

Ich fasste einen Entschluss. »Na gut! Ich werde euch besuchen, jedoch nicht wegen dir und Dad, sondern einzig und allein wegen Caleb!!«

»Danke, Ruby!« Ich hörte sie noch leise schluchzen, bevor sie auflegte. Dass meine Mutter sowas wie mütterliche Gefühle besaß, war mir eher fremd. Sie war nun mal sehr streng, weshalb ich nicht gerade das erlebt hatte, was man eine schöne Kindheit nennt. Ich war schon damals sehr frech gewesen, was sich bis jetzt, wo ich eine erwachsene Frau bin, auch nicht geändert hat.

Ich setzte mich etwas schockiert von dem Telefonat direkt an den Pc, um noch heute einen Flug zu bekommen. Ich hatte Glück und erwischte den um halb elf nach Maine.

Danach ging ich wieder nach oben, um mich fertig zu machen und meinen Koffer zu packen. Da es derzeit Oktober war, musste es, im Gegensatz zu Hawaii, ziemlich kalt in Maine sein. Ich packte meinen Wintermantel, sowie lange Klamotten - diese Sachen lagen schon seit Ewigkeiten hinten in meinem Schrank - in den Koffer. Dann wechselte ich mir noch schnell meine Kleidung - ich konnte ja schlecht im Schlafanzug aufkreuzen - und rannte ins Bad. Während ich meine Zähne in Lichtgeschwindigkeit putzte, blickte ich in den Spiegel. Goldbraune Augen blitzten mir müde entgegen, was durch die dunklen Augenringe gleich um das Doppelte schlimmer aussah. Umrahmt wurden meine Augen von kupferroten Wellen, welche im Moment aber noch völlig zerzaust vom Schlafen in alle möglichen Richtungen abstanden. Das änderte ich allerdings schnell, indem ich mir meine Haare erst mit Trockenshampoo wusch und dann noch einmal gründlichst durchkämmte. Das Make-up bewirkte letztendlich das größte Wunder und ich sah tatsächlich wieder einigermaßen normal aus.

Liebe auf HawaiiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt