02 ~ Alte Erinnerungen

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Der Flieger landete nach etwa siebzehn Stunden am Bangor International Airport, wo ich mir ein Taxi rief und mir noch schnell einen Kaffee holte, da der im Flugzeug wirklich abscheulich gewesen war. Es musste gerade etwa vier Uhr morgens in Hawaii sein, hier in Maine jedoch zeigte die Uhr schon Viertel vor neun in der Früh. Ich hatte während des Flugs kaum schlafen können, weshalb ich wie ein Zombie auf das Taxi zulief. Der Taxifahrer war so nett und half mir, meinen Koffer im Kofferraum zu verstauen, wofür ich ihm einfach nur dankbar war. So müde wie ich inzwischen war, hätte ich den Koffer nicht mal um einen Zentimeter anheben können.

Die Fahrt dauerte ungefähr sieben Minuten, in denen meine Gedanken um meine Eltern und mein früheres Zuhause kreisten. Ich fragte mich, wie sie mich wohl empfangen würden. Sie wussten, dass ich in den nächsten Minuten bei ihnen ankommen würde, da ich ihnen vor meinem Flug noch Bescheid gegeben hatte.

Schließlich hielt das Taxi vor dem Haus meiner Eltern. Ich bezahlte den Taxifahrer und blickte zu dem Haus auf, in dem ich aufgewachsen war. Es war groß und modern, mit Pool und einem großen Garten. Im Keller gab es sogar eine Sauna und einen Whirlpool, jedoch änderte das nichts an meiner negativen Einstellung zu diesem Haus. Es erinnerte mich bloß an meine Eltern, die sich von mir abgewandt hatten, weil ich nicht so war, wie sie es sich vorgestellt hatten.
Die Hauswände waren leuchtend weiß gestrichen und jedes Zimmer hatte zwei große Fenster. Meins lag im ersten Stock - ich konnte es von hier unten sehen, da man vom Zimmer aus einen direkten Ausblick auf die Straße hatte. Leider waren die Vorhänge zugezogen, weshalb ich nicht in den Raum sehen konnte. Ich fragte mich, ob mein Zimmer noch so war, wie ich es verlassen hatte oder ob meine Eltern es ausgeräumt hatten. Sie brauchten keine weiteren Zimmer, weshalb sie eigentlich keinen Grund dazu gehabt hätten. Aber ich würde es ja gleich sehen.

Ich trat vor das beeindruckende Eingangstor aus schwarzem massivem Holz und klingelte. Und wartete. Nichts rührte sich. Vielleicht schliefen sie noch ... Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen. Auf einmal öffnete sich die Haustür und eine Frau in formeller Kleidung trat hinaus. Sie sah ganz so aus, wie man sich eine Frau aus dem Business-Bereich eben vorgestellte. Eine weiße, bis zum Kragen zugeknöpfte Bluse, ein schwarzer knielanger Faltenrock, beige Seidenstrumpfhosen und hochhackige schwarze Pumps. Natürlich nicht zu vergessen die streng zu einem Knoten hochgesteckten dunkelbraunen Haare, aus denen sich keine noch so kleine Strähne je löste. Mit diesem Auftreten verlieh sie sich bei den meisten Leuten ziemlich Respekt; was ihr im Gerichtssaal sicherlich so einigen Vorteil verschaffte. Nun ja. Darf ich vorstellen: Meine Mutter. Naomi Palmer.

Nachdem das Tor sich automatisch zur Seite geschoben hatte, lief ich langsam auf sie zu, den Koffer unter meinem Arm. Der fein gesäuberte Kiesweg kam mir wie ein unendlicher Gang zum Galgen vor - ich wusste nicht, ob ich das nun erleichternd oder beängstigend finden sollte. Nach einer schieren Ewigkeit stand ich schließlich vor ihr. Erst jetzt bemerkte ich die Tränen, die sich in ihren braunen Augen gesammelt hatten und die sie so krampfhaft versuchte, zurückzuhalten.

»Ruby.«, brachte sie bloß flüsternd hervor, dann gewannen ihre Gefühle doch Überhand und die Tränen flossen ihr nur so in Bächen über die Wangen. Ich stand wie versteinert da. Auch mir war inzwischen nach Weinen zumute. Trotz all der Uneinigkeiten und vielen Streitereien damals war sie doch allem in allem meine Mutter. Meine Ohana.

Sie schloss mich weinend in die Arme. »Ich weiß, mein Verhalten ist mit nichts zu entschuldigen« - sie blickte mich mit tränenverschmiertem Gesicht an -»aber ich will, dass du weißt, dass es mir unendlich leidtut. Ich hätte dir niemals dein Leben vorschreiben sollen. Ich hätte dich unterstützen und nicht vergraulen sollen!«, schluchzte sie. »Es gab keinen Tag, an dem ich nicht an dich gedacht habe. Und es ist so bitter, dass ich es erst jetzt, wo etwas viel Schlimmeres unsere Familie zu zerreißen versucht, über mich gebracht habe, dich zu kontaktieren.«

Liebe auf HawaiiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt