Kapitel 1

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"Schaaatz? Hast du alles eingepackt?", nervt mich meine Mutter heute schon zum 1000 Mal.

"Immer noch ja!", rufe ich ihr genervt entgegen und stecke meinen Beats Kopfhörer in den Rucksack, den ich zu meinem 16. und letzten Geburtstag bekommen hatte.

Was würde ich bloß ohne dieses recht kleine Ding machen, welches mich ohne großen Aufwand in eine neue Welt ohne nervtötende Jungs und Eltern befördert? Ich weiß es wirklich nicht. Und ich will es auch auf gar keinen Fall herausfinden.

Es reicht mir schon, dass dieser komische Typ, aka mein Ex-Freund, ständig ankommt und meint er würde mich immer noch lieben.

Ätzend. Ehrlich.

Ich meine er war doch der jenige, der Schluss gemacht hat und mir damit mein Herz gebrochen hatte.

Seitdem kommt kein Junge mehr an mich heran und auch wenn es eingebildet klingt, ich bin besser als die ganzen Herzensbrecher.
Jedenfalls rede ich es mir als eine Art Selbstverteidigung ein.

So eine harte Zeit möchte und werde ich nämlich nie mehr durchmachen. Das habe ich mir geschworen.

Es klopft an der Tür und meine Mutter tritt in mein Zimmer. "Kira Schatz, trödel' nicht so rum ja? Wir müssen gleich zum Flughafen. Das weißt du doch."

Stimmt. Das weiß ich leider viel zu genau.
Dadurch das meine Eltern zu Hause wortwörtlich einen Ehekrieg ausleben und sich deswegen einen Ehe-Engel (oder auch Ehe-Beraterin genannt) dazugeholt haben, muss ich fast ein komplettes Jahr zu meiner Tante nach Saint-Malo ziehen.

Diese hirnrissige Idee hat sich der Ehe-Engel ausgedacht, indem sie meine Eltern zu einer Weltreise auf einem Kreuzfahrtschiff überredete.

Und ich?
Ich kann natürlich nicht hier bei meinen Freunden bleiben, sondern muss zu meiner Tante und meinem Cousin nach Frankreich.

Wenigstens kann ich fließend Französisch, da mein Vater Franzose ist und ich mit ihm zu Hause nur Französisch spreche.
Sonst wäre ich wirklich am Arsch.

"Ja Mama. Ich bin ja auch schon fertig. Ich gehe nur noch mal schnell ins Bad, um mich frisch zu machen und dann können wir losfahren."

Sie schaut mich mit einem kleinen Grinsen auf den Lippen an. "Für wen machst du dich denn frisch?", sagt sie aus dem nichts heraus und grinst jetzt dabei wie ein kleines Kind vor einer Tüte Gummibärchen.

Ich verdehe meine Augen und sage ironisch: "Na natürlich für Luc. Du weißt doch, wie sehr ich in ihn verknallt bin. Jetzt kann ich ihm endlich näher kommen!"

Luc (Lük ausgesprochen ;)) ist mein Cousin. Er ist 17 und ich kenne ihn nur noch von meinen Kindheitserinnerungen, als wir meine Tante und ihn damals im Sommer besucht hatten.

Mittlerweile ist er ein echter Hottie. Das weiß ich, weil ich ihm auf Instagram folge und er dort ein ziemlich großer Frauenschwarm geworden ist. Ich würde ihn auch gut finden, aber er ist halt mein Cousin.

Sie schmunzelt mich an und ich verschwinde im Bad, bevor sie sich noch zu meiner Aussage äußern kann.

Kurz darauf sitzen wir auch schon im Auto und hören den neuen Hit von Shawn Mendes und Camilla Cabello. "I know what you did Last Summer!", singe ich in total schiefen Tonlagen mit.

Meine Eltern schauen belustigt in den Rückspiegel, sagen aber nichts zu meinen Gesängen.

Nach einer schnell vergangenen Autofahrt sind wir auch schon am Flughafen und stehen beim Check-In.

Meine Eltern schauen mich zwar liebevoll an, aber ihre Mimik spricht Bände. Sie machen sich Vorwürfe, haben Angst um meine Gesundheit und bereuen es auch, mich einfach so abzuschieben.

Im Endeffekt, habe ich aber auch verstanden, dass sie nur versuchen sich wieder zu lieben, damit nach dem Urlaub zu Hause wieder alles in Lot ist.

Das ist okay. Schließlich steht in zwei Jahren auch mein Abitur an und dort muss ich auf beide Elternteile zählen können.

Dieses Jahr in Frankreich kann man sozusagen als Auslandsjahr ansehen. Danach wiederhole ich die 11. Klasse, damit ich den Unterrichtsstoff nicht verpasse.
Das ist zwar blöd, weil ich dann nicht mehr mit meinen Freunden in einem Jahrgang bin, ändert jetzt aber auch nicht so vieles, da ich sowieso andere Kurse als sie gewählt habe.

Im Grunde genommen, muss ich in Frankreich eigentlich überhaupt nicht auf die Schule achtgeben, da ich kein Zeugnis bekomme, welches sich auf meine deutschen Noten auswirkt und lernen deshalb nicht so relevant sein wird.

Ein langer Urlaub so gesehen.
Gar nicht soo schlecht.

Ich umarme meine Eltern ganz fest, weil ich sie jetzt fast für ein komplettes Jahr nicht mehr sehen werde.
Durch die Boarding-Ansage werde ich schließlich unterbrochen und begebe mich schweren Herzens zum Check-In, wo mich die verantwortliche Stewardess schon böse anblickt.

Ein letzter Blick auf meine Eltern und ich gehe durch die Sicherheitskontrolle.
Kurz darauf entdecke ich mein Gate, wo eine freundlich besinnte Frau mich auch schon anlächelt und meine Boardkarte entgegennimmt.

Ich denke nochmal zurück an meine Eltern und meine Freunde hier in Deutschland und steige ins Flugzeug, bereit etwas neues zu erleben.

Zwei Facetten Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt