3. Türchen - Eine unbedeutende Reise

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Nun, wo soll ich anfangen. Der Winter ist eine sehr interessante Jahreszeit. Er kann wunderschön sein und doch grau und trüb. Er kann Freude verbreiten und andere in Trauer und Kummer versinken lassen. Er kann uns zeigen dass Totes wieder auferstehen und dass Leben elendig in der Kälte verenden kann.
Ich denke, „Kälte" ist ein gutes Schlagwort um diese ganz unbedeutende Geschichte zu beginnen. Die Geschichte von einer Reise auf der Flucht vor dem Tod. Denn in der Nacht von der ich dir erzählen möchte war es kalt. Oh ja, es war bitterkalt, während sich vier Katzen durch den Sturm kämpften. Ihre Felle von Schnee bedeckt und die Augen gegen den eiskalten Wind zusammengekniffen. Sie wussten, dass hinter ihnen der Tod her war. Er jagte sie, das konnten sie alle spüren.
„Wir sollten zurück gehen und sie holen", miaute die kleinere dunkelbraune Kätzin mit bebender Stimme. Kleine Eisbrocken klebten in ihrem Fell und sie hatte die Ohren flach angelegt, um sie vor der Kälte zu schützen.
Der schwarze Kater hinter ihr schnaubte verärgert: „Es war ihre eigene Entscheidung dort zu bleiben. Sie hat uns verraten. Sie und ihr schmutziger Clan haben sich gegenseitig verdient." Der Kater stapfte mürrisch hinter seiner Schwester durch den Schnee, kniff die Augen gegen den eisigen Wind zusammen.
„Wir können nicht zurück", übertönte von vorne die Mutter der jungen Katzen den Sturm. „Wir müssen weiter gehen. Nur noch ein kleines Stück weiter, dort hin, wo der man nicht nach uns suchen wird." Sie schienen nur unglaublich langsam voran zu kommen, während der Sturm immer stärker wurde. Die Schneeflocken fielen irgendwann so dicht, dass sie kaum eine Fuchslänge vor sich sehen konnten. Die Bäume um sie herum schienen von einer dichten weißen Masse verschluckt worden sein. Bald schon sahen sie kaum noch die vorausgehende Katze, bis sie kurz darauf alle alleine waren, umgeben von ewigem Weiß. Die Rufe wurden vom Wind übertönt und der Schnee wurde immer tiefer.
Auch die Rufe der Mutter nach ihren Jungen wurden im Sturm davon getragen. Sie suchte nach ihnen, versuchte ihre Gerüche aufzuschnappen, doch vergeblich. Bald schon wurde der Kätzin kälter und irgendwann spürte sie ihre Beine kaum noch. Zitternd ging sie in irgendeine Richtung, hoffte wenigstens eines ihrer Jungen zu finden, als sie durch zusammengekniffene Augen einen dunklen Fleck ausmachte.
„Dark?", hauchte die Kätzin. Aber nicht der Geruch ihres Ziehsohns umhüllte sie, sondern der ihrer jüngsten Tochter. Erleichtert rappelte sie sich auf und lief auf ihre Tochter zu, so gut es im hohen Schnee möglich war. Doch plötzlich verschwand die Gestalt. Hatte sie sich geirrt? Erneut prüfte sie die kalte Luft, doch der Geruch ihrer Tochter war noch da. Sie lief weiter in die Richtung, in der sie ihr Junges gesehen hatte, als ganz plötzlich der Sturm aufhörte. Irritiert blieb sie stehen und sah sich um. Dort wo sie stand war der Schnee flacher und der Wind säuselte nur noch leicht um ihre Ohren. Sie sah sich um und erkannte, dass sie im Windschatten einer Scheune stand. Hier war die Duftspur ihrer Tochter wieder stärker und sie führte die Kätzin zu einem Loch in der alten Holzwand. Vorsichtig spähte sie durch das Loch in den dunklen Innenraum. Es war ruhig und warm in der Scheune. Es schien, als läge ein kleiner friedlicher Zauber über der Scheune. Der Wind seuselte leicht und der Geruch von Heu und Stroh und Mäusen schien sie gerade zu begrüßen. Doch die starken Gerüche ihrer beiden Töchter freute sie am meisten. Sie zwänge sich durch das Loch und sah sich in der Scheune um. „Stix? Staub?", rief sie vorsichtig. Kurz sank ihre Hoffnung, doch dann erkannte sie zwei braune Köpfe, die sich hinter einem Heuballen erhoben. „Mutter!" Die beiden jungen Kätzinnen sprangen ihrer Mutter entgegen, der gerade ein Stein vom Herzen fiel. Sie war erleichtert, dass es ihren Töchtern gut ging.
Doch einer fehlte noch: „Wo ist Dark? Ist er nicht bei euch?" Die Kätzin schaute sich in der Scheune nach dem schwarzen Kater um. Er war für sie immer wie ihr eigener Sohn gewesen und sie fühlte sich für ihn genauso verantwortlich wie für ihre Töchter.
Da Staub und Stix nicht antworteten, nahm die Kätzin an, dass keine von beiden Dark gesehen hatte. Sie seufzte. Es würde keinen Sinn machen, jetzt hinaus zu gehen und nach ihm zu suchen. Denn bei solch einem Sturm drohte sie Gefahr sich zu verlaufen oder schlimmer noch; selber zu erfrieren.
„Hier gibt es Mäuse, Mutter. Wir haben dir auch welche gefangen", erklärte Stix und kletterte wieder hinter den Heuballen, wo sich die beiden jungen Kätzinnen ein Nest aus Hau gebaut hatten. Sie machten es sich bequem und begannen zu essen. Sie redeten nicht viel, waren alle in ihren eigenen Gedanken versunken.
Plötzlich scharrte es an dem Loch, wo sie in die Scheune hinein gekommen waren. Die Kätzinnen sprangen auf. Vor ihnen stand ein schwarzer Kater, sein Pelz war mit Schnee bedeckt und an seinem Bauchfell hingen Eisklumpen. Der Kater ließ das fette braune Kaninchen fallen, welches er trug und schüttelte sich. „Stix! Staub!", der dunkle Kater konnte nicht recht glauben, dass seine Schwestern auch in der Scheune Sicherheit gefunden hatten. Dann wanderte sein Blick zu seiner Ziehmutter: „Mutter." Sie begrüßten sich alle mit der Schnauze, bevor sie sich nun zu viert im Heu gemütlich machten und sich das Kaninchen teilten. Sie konnten von Glück reden, dass sie es alle sicher zu der Scheune gefunden haben, während draußen der Sturm wütete und die tödliche Kälte ihr Unwesen trieb. Vom Tode verfolgt saß nun eine kleine Familie im Heu, genossen das Festmahl  und wärmten sich gegenseitig. Doch was sie nicht wussten; es war Weihnachtszeit. Und Weihnachten ist die Zeit der Familie und Freundschaft. Das Schicksal entschied heute, dass es an diesem doch magischen Abend keine Toten geben sollte.

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