Im Wald

150 9 19
                                    

„Und dann hat er gesagt...: Ich mag dich wirklich, aber als meine Freundin wärst du mir einfach zu anstrengend." Sie prustete los. Ich hingegen joggte normal weiter, da ich nicht so ganz verstand, was daran witzig war.

„Das hat die blöde Kuh verdient", ergänzte meine beste Freundin noch, während sie nach Luft rang. Sie presste ihre Hand an die rechte Seite ihres Bauches. „Können wir bitte ein Stück gehen?", keuchte sie und wechselte bereits in ein gemächliches Schritttempo. Da wir inzwischen gut drei Kilometer gelaufen waren, hatte ich absolut nichts gegen eine Pause einzuwenden. Ich passte mich also Annas Geschwindigkeit an und atmete tief durch. Die frische Waldluft strömte in meine Lungen und ich schloss für einen Moment die Augen. Außer unseren Schritten und unserem Atem war nichts zu hören. Alles wirkte einfach nur friedlich. Zumindest so lange, bis Anna neben mir genervt aufstöhnte.

„Gehen diese blöden Seitenstiche auch mal wieder weg?", beschwerte sie sich. „Warum bekommst du eigentlich nie welche?"

„Weil ich mich beim Laufen auf's Atmen konzentriere anstatt die ganze Zeit über irgendwelche Serien zu reden?", schlug ich vor.

Meine Freundin verzog das Gesicht. „Aber mit irgendjemandem muss ich doch darüber reden." Schmollend sah sie mich an, woraufhin ich grinste. Wir wussten beide, dass ich von den meisten ihrer Serien keine Ahnung hatte, aber Anna bestand trotzdem darauf, mir jedes Detail über diese zu erzählen. Bei jeder anderen Person würde mir das auf den Wecker gehen, doch nicht bei meinem Lieblingsmenschen. Auch wenn sie mir schon genügend Gelegenheiten dazu gegeben hatte, konnte ich einfach nicht genervt von ihr sein. Und genau das hielt die Stimmung zwischen uns so entspannt. Ich wusste, dass ich ihr alles erzählen, alles mit ihr teilen konnte, und Anna wusste, dass es umgekehrt genauso war.

Erschrocken zuckte ich zusammen, als plötzlich ein Knacken ertönte. Es klang, als wäre jemand auf einen Stock getreten. Ich sah mich um, konnte aber nichts entdecken.

„Laufen wir weiter?", fragte ich meine Freundin. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit und ich wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden. Mein gesamter Körper spannte sich an.

Mit gerunzelter Stirn betrachtete Anna mich. „Wieso? Ist irgendwas?"

„Ich weiß nicht. Da war so ein Geräusch..." Wieder scannte ich mit meinen Augen die Umgebung ab. Bäume, Bäume und noch mehr Bäume. Vereinzelt lagen Blätter auf dem Boden. Es schien alles wie immer, doch mein Bauchgefühl schlug weiterhin Alarm.

„Ja und? Wir sind hier in der Natur."

Ich verstand Annas Verwirrung. Normalerweise konnte ich schließlich nicht genug vom Wald bekommen. Doch gerade wäre ich ihr sehr dankbar, wenn sie einfach ja sagen würde.

„Können wir bitte einfach weiter laufen?" Ich schenkte ihr einen flehenden Blick, ehe ich mich erneut umsah, dieses Mal hektischer. Ich fühlte mich beobachtet. Was war bloß los mit mir? Sonst war ich doch auch nicht so paranoid.

Seufzend gab meine beste Freundin nach. „Na dann... Auf nach Hause."

Erleichtert beschleunigte ich meine Schritte. Es fühlte sich gut an, wieder schneller voran zu kommen. Dennoch wollte das mulmige Gefühl in mir nicht verschwinden.

Plötzlich hörte ich das Geräusch erneut, gepaart mit dem Rascheln von Blättern. Ganz so, als würde etwas parallel zu uns durch den Wald jagen. Mein beschleunigter Puls kam dieses Mal nicht vom Joggen. Ich versuchte mein schnell schlagendes Herz so gut es ging zu ignorieren und mich stattdessen auf's Laufen zu konzentrieren. Umso weniger Kraft ich für andere Dinge, wie zum Beispiel meine Angst verwendete, desto schneller würde ich zu Hause ankommen und das alles hinter mir lassen können.

KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt