22.12.

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Warum musste jedes Jahr ich den Christbaum besorgen? Konnte sich nicht mal jemand anderes darum kümmern? Es war doch jedes Jahr das Gleiche!

Warm eingepackt stapfte ich brummend durch den nicht enden wollenden Schneefall. Kurz sah ich in den wolkenverhangenen Himmel hinauf und wunderte mich, dass sie sogar für die nächsten Tage noch Schnee angesagt hatten, wo doch normalerweise um diese Zeit schon wieder das Tauwetter einsetzte und es daher schon sehr sehr lange keine weißen Weihnachten mehr gab. Die Tatsache, dass es dieses Jahr anders werden könnte, brachte mich zum Lächeln.

Zum Glück musste ich nicht lange gehen, bis ich den Platz erreichte, an dem, wie auch schon die Jahre davor, regionale Christbäume verkauft wurden. Ich kannte den Verkäufer und er gab mir den Baum immer etwas günstiger. Stammkundenrabatt oder so… oder es lag einfach daran, dass ich gerne länger blieb, um zu plaudern.

Auch dieses Jahr begrüßte er mich, indem er mich umarmte und gleich frohe Weihnachten wünschte. Das gab ich freundlich zurück.

„Was soll's denn werden? Wieder eine Tanne?", informierte er sich. „Ja. Damit waren wir bis jetzt immer sehr zufrieden. Die Letzte hat sogar bis Ende Jänner noch gehalten!", erzählte ich ihm begeistert.

Er lachte und dabei bildeten sich kleine Fältchen um seine Augen. „Na dann muss ich dir wohl unsere besten Stücke zeigen! Wieder etwa 1,80 groß?" Ich nickte erfreut, da er das noch wusste.

„Dann findest du die dort hinten im Eck. Und du weißt eh: Wenn du was brauchst, frag einfach", er zwinkerte mir nochmal zu und begrüßte dann auch schon herzlich den nächsten Kunden.

Ich machte mich also auf den Weg in die Ecke, zu der er gezeigt hatte. Ich spazierte durch die Reihen und wünschte mir, dass es einmal ein Weihnachten geben würde, an dem ich nicht alleine den Baum kaufen musste. Früher habe ich das immer mit meinen Eltern gemacht, doch seit ich zum studieren und arbeiten in die Stadt gezogen bin, und meine WG-Mitbewohner nicht gerade die organisiertesten waren, blieb es meistens an mir hängen. Wie jedes Jahr hatten sie aufgrund des Prüfungsstresses vergessen Geschenke zu besorgen. Ernsthaft jetzt! Lernten sie nicht aus ihren Fehlern?

Weil ich mich bei einem meiner Freunde darüber ausgeheult hatte, hatte er mir angeboten mitzukommen, doch seine Tochter war krank geworden und Seokjin wollte seiner Frau beim Pflegen unter die Arme greifen.

Da ich wieder etwas traurig wurde, konzentrierte ich mich einfach auf die Bäume und kommentierte sie in meinen Gedanken. Zu spärlich, zu dicht, zu ausladend, zu gleichmäßig. Ich nahm mir Zeit.

Im Endeffekt hatte ich dann zwei Bäume gefunden, die mir sehr gut gefielen, doch konnte ich mich nicht entscheiden. Ich zog den einen ächzend aus seiner Halterung, um ihn neben den anderen für einen Vergleich zu stellen. Doch das erwies sich schwieriger als gedacht, da ich die Tanne nicht weit genug von mir weg halten konnte. Und alleine stehen konnte sie natürlich auch nicht. Ich musste mich so zurückhalten den Baum aus reiner Verzweiflung nicht kurz loszulassen, um zu testen, ob das nicht doch der Fall war. Deswegen seufzte ich schon fast erleichtert auf, als ich das Räuspern hinter mir vernahm.

Ich drehte mich, noch immer die Tanne fest haltend, um, und mir stand ein großer junger Mann gegenüber. Unter einer modischen Mütze schauten schwarze Strähnen hervor, die in seine Stirn hingen. Seine schmalen braunen Augen blitzten mir aufmerksam entgegen. Seine Füße steckten in beigen Timberlands und er trug eine Hose, die mehrere Taschen aufwies. Seine Hände waren in die Seitentaschen seines schwarzen Parkas gesteckt. Es war wirklich kalt heute, auch wenn mir gerade warm wurde.

Wenn ich mich nicht zusammen gerissen hätte, wäre mir der Mund offen gestanden, oder schlimmer noch, sabber das Kinn runter geronnen. Stattdessen sah ich ihn mit einem Hundeblick an.

Christmas Tree|OS [Nammin]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt