Ein Fremder

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In der vergangenen Nacht war ein unbekannter Mann zu der Insel gekommen. Dies war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Einerseits deshalb, weil niemand von der Existenz dieser Insel wusste, mit Ausnahme derer, die sich bereits auf ihr befanden, und sollte es doch jemanden geben, der Kenntnis über die Vorgänge auf dieser Insel hatte, dann würde dieser mit Sicherheit nicht anstreben, auf diese Insel zu gelangen.

Auf der Insel befand sich das Unternehmen eines ehemaligen Piraten namens Albinus. Dieser verdiente sein Geld in der Holzindustrie, folglich war die betreffende Insel dicht bewaldet. Das Fällen der Bäume wurde von Sklaven erledigt, die an diesem Ort gefangen war. Seraphine war eine der wenigen Frauen hier. Die sechs anderen wurden von Albinus als Zwangsprostituierte eingesetzt, damit die Männer nicht die Motivation zu arbeiten verloren. Seraphine jedoch war eine Heilerin, und entging der Zwangsprostitution lediglich dadurch, dass Albinus Gefallen an ihr fand. So entging sie zwar den Sklaven, die sich oftmals an den anderen Frauen und Mädchen abreagierten, war jedoch dem emeritierten Piraten ausgeliefert. Neben neunundfünfzig Männern gab es noch weitere siebenundzwanzig Kinder, die auf der Insel arbeiten mussten und allesamt aus den Zusammenkünften der Sklaven entstammten. Einige der Männer waren früher mit Albinus zur See gefahren, doch nun mussten sie genauso wie alle anderen hier arbeiten.

Seraphine kannte das Gesicht von jedem einzelnen Sklaven auf der Insel, daher wusste sie sofort, dass der Unbekannte keiner von ihnen war. Er war etwa sechs Fuß groß und hatte graue Augen, in denen Argwohn und Hinterlist funkelten. Sein Haar war haselnussbraun, die obere Hälfte war zu einem Zopf an seinem Hinterkopf zusammengebunden, während der Rest ihm bis über die Brust fiel, wobei einige Strähnen gefilzt oder geflochten waren. Er hatte eine markante Nase, einen Ring in seinem rechten Ohr und einen kurzen Vollbart. Seine Haut war von der Sonne braun gebrannt. An seiner rechten Wange zog sich ein langer frischer Schnitt und auch an seiner linken Schläfe klebten Blutreste um eine Schnittwunde herum. Um seinen Hals trug er ein enges Lederband mit mehreren metallenen Anhängern, sowie zwei weitere Lederbänder, an denen je ein Anhänger baumelte. An seiner rechten Hand trug er zwei Goldringe. Seine Kleidung bestand aus einem graublauen Hemd, einer braunen Hose aus Leder, einem acht Zoll breiten Gürtel um Bauch und Hüften, sowie Armschützern und Stiefel aus Leder.

Zwar hatte Seraphine bisher nicht viele Männer dieses Schlags gesehen, doch war sie sich sofort der Tatsache bewusst, dass es sich bei dem Unbekannten um einen Piraten handelte. Mit argwöhnisch zusammengekniffenen Augen betrachtete der Mann seine Umgebung und sah sich um. Auch wenn er diesen Ort mit Gleichgültigkeit zu begegnen schien, so meinte Seraphine doch einen Funken von Abscheu und Erkennen an ihm zu bemerken.

Ein Junge von etwa zehn Jahren bedeutete dem Unbekannten mit ihm zu kommen. Sein Blick fiel auf das Brandzeichen auf der Brust des Jungen, dann folgte er ihm. Vermutlich führte der Junge ihn zu Albinus, der gerade am Feuer saß und speiste. Seraphine war neugierig, was der Pirat hier tat und was er wollte, dennoch wagte sie nicht, aus ihrer Hütte zu treten.

Nach einiger Zeit hörte sie Tumult außerhalb ihrer Hütte. Die Menschen draußen sprachen unruhig durcheinander. Nun konnte Seraphine ihre Neugier nicht mehr zügeln und trat aus ihrer Hütte. An ihrer Unterkunft liefen immer mehr Leute vorbei und rannten alle in dieselbe Richtung. Sie blickte zu dem Ort, den die Menschen anstrebten, und sah dort den Fremden stehen, der von etwa drei Dutzend Sklaven umringt war, wobei immer mehr herbeikamen um sich anzuhören, was er sagte. Auch Seraphine kam nicht umhin zu dem Fremden zu laufen und seinen Worten zu lauschen. Er sprach zu den Sklaven, blieb jedoch keine Sekunde still stehen, sondern ging umher, sodass er jeden einzelnen, der ihm zuhörte, ansehen zu können.

„... ich biete euch eine Gelegenheit euch von diesem Ort zu befreien. Ich bin Captain Charles Vane. Und einige von euch waren mal eine tapfere Mannschaft. Gute Piraten. Gefürchtet. So wie es euch zustand. Bevor er euch von eurem Schiff geholt hat, euch überzeugt hat hier zu leben, sowie Tiere, weil es seiner Schwäche entgegenkommt. Nicht weit von hier gibt es einen Ort, an dem starke Männer ihr Leben genießen und nicht buckeln."

Die Stärke des Piratencaptains - Charles VaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt