Fieber

293 15 0
                                    

Vanes Augen zuckten wild hinter den Lidern, er atmete flach und sein Puls flatterte hektisch und unregelmäßig an seinem Hals. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und immer wieder warf Vane seinen Kopf hin und her und stöhnte, als würde er schlecht träumen. Seraphine wollte sich nicht ausmalen, was er in seinem Fieberwahn durchlebte. Bisher hatte die junge Frau nur einen Menschen, der eine Blutvergiftung erlitten hatte, vom Tod bewahren können. Als dieser aus dem Fiebertraum erwacht war, hatte er sich nur an Bruchstücke erinnern können, und diese waren seine schlimmsten Alpträume gewesen. Vane ging es vermutlich genauso, blieb nur zu hoffen, dass er sich an kaum oder gar nichts davon erinnern konnte, wenn er wieder aufwachte. Falls er wieder aufwachte.

Energisch schüttelte Seraphine den Kopf. Dieser Mann wollte sie alle von dieser Insel retten und sie befreien. Sie würde nicht zulassen, dass er starb. Doch als sie erneut seinen Herzschlag prüfte, der viel zu schnell war, wurde sie von Zweifeln gepackt. Zwar hatte sie in ihrer Ausbildung gelernt, wie man ein Herz, das stehen geblieben war, wieder zum Schlagen brachte, doch war ihr das bisher bei keinem Menschen gelungen, der im Fieberwahn lag.

Die Stunden eilten dahin, doch Seraphine bekam davon kaum etwas mit, sie bemerkte es erst, als Alice am nächsten Tag in ihre Hütte kam und sich nach Vanes Zustand erkundigte. Die Heilerin hatte in der Nacht kein Auge zugetan, da sie es sich nicht erlauben konnte, dass ihr irgendetwas entging. Noch immer warf Vane seinen Kopf hin und her und keuchte.

Alice hatte ihr eine Schüssel mit Essen und Wasser gebracht, die sie jedoch nicht anrührte. Sie hatte keinen Appetit. Alice wollte ihre Freundin nicht allein lassen und setzte sich zu ihr. Sie nahm Seraphines Hand in ihre und streichelte ihr beruhigend über die zarte Haut. Wieder zogen einige Stunden an Seraphine vorbei, in welchen sie wie gebannt auf Vanes Puls starrte, der an seinem Hals flatterte und nicht langsamer zu werden schien. Auch seine Temperatur wollte nicht sinken und Seraphines Sorgen wuchsen immer weiter.

Dann plötzlich regte sich der Pirat und richtete sich auf. Aus seinem Mund kamen unzusammenhängende Laute, die keinerlei Sinn ergaben. Doch er war nicht aus dem Fiebertraum erwacht, im Gegenteil. Seraphine war sofort aufgesprungen und versuchte Vane wieder auf die Bare zu drücken. Obwohl dieser sehr geschwächt war, hatte die junge Frau keine Chance. Vane schlug um sich und traf sie einmal hart an der Wange. Den Schmerz bemerkte sie kaum, sie konzentrierte sich lediglich darauf, Vane wieder auf die Bare zu drücken. Auch Alice half inzwischen mit, doch auch zu zweit hatten die beiden Frauen keine Chance gegen den Piraten.

„Captain Vane, bitte, Ihr müsst Euch wieder hinlegen. Ihr dürft euch nicht überanstrengen. So beruhigt Euch doch, ich bitte Euch!" rief Seraphine immer wieder.

Doch nichts vermochte zu Vane in seinem Fieberwahn durchzudringen. Trotzdem redete Seraphine immer weiter auf ihn ein, in der Hoffnung, dass doch irgendwas in seinem vom Fieber vernebelten Verstand ankommen würde. Als er schließlich auch noch Alice zu Boden warf, beschloss Seraphine, etwas sehr Gewagtes zu versuchen. Mit einem Satz war sie auf die Bare gehüpft und hatte sich rittlings auf Vane gesetzt. Dieser wehrte sich so sehr, dass er sie beinahe wieder hinunterwarf und die junge Frau hatte die größte Mühe nicht abgeworfen zu werden und klammerte sich mit aller Kraft mit ihren Schenkeln an ihm fest. Seine Hände umschlossen ihre Schultern inzwischen wie Schraubzwingen, während er versuchte sie irgendwie wegzustoßen um sie loszuwerden.

Seraphine jedoch umfasste in diesem Moment, als er nicht wild mit den Armen um sich schlug, sein Gesicht mit ihren Händen und hielt dabei seinen Kopf so still es ihr möglich war. Sein Gesicht war nur eine Handbreit von ihrem eigenen entfernt und sie spürte die Hitze des Fiebers, die er ausstrahlte. Seine glasigen, grauen Augen waren halb geschlossen und zuckten wild hinter den Lidern und er keuchte erschöpft vom Kampf. Nun fiel ihr zum ersten Mal die weiße Narbe auf, die sich entlang seiner Augenbraue zog. Seraphine begann damit, beruhigend mit ihren Daumen über Vanes Schläfen zu streichen.

„Sh... Charles, du musst dich beruhigen, bitte... sh... leg' dich wieder hin, ich flehe dich an. Wenn du es nicht tust, wirst du sterben und das kann ich nicht zulassen... sh...", sagte Seraphine leise und mit sanfter Stimme.

Ihre Berührungen und ihre sanfte Stimme schienen ihn zu beruhigen und sie konnte spüren, wie die Spannung aus seinem Körper wich. Seine Augen schlossen sich nun wieder und sein Körper wurde schlaff. Schnell umfasste Seraphine Vanes Hinterkopf und seinen Rücken und ließ ihn sanft zurück auf die Bare gleiten. Seraphine richtete sich wieder auf und stemmte erschöpft die Hände in die Seiten. Sie musste einige Male durchatmen, bis sie zu Alice blickte. Diese sah sie mit hochgezogener Augenbraue an.

„Interessante Methode jemanden zu beruhigen", sagte sie dann.

Seraphine stieg von der Bare und ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. Erschöpft vom Kampf mit Vane, sowie durch den Schlafentzug nickte sie mehrmals.

„Ja, das Streichen über die Schläfen hat meine Mentorin oft bei Patienten gemacht, die Angst vor der Behandlung hatten, in zwei von drei Fällen hat das funktioniert. Ich dachte mir, was habe ich zu verlieren? Ich musste es wenigstens versuchen", sagte sie schließlich.

Alice hielt ihr die Schüssel mit dem Essen vor die Nase und sah sie herausfordernd an.

„Iss. Wenn er noch öfter solche Anfälle bekommt und sich so wehren sollte, dann wirst du Kraft brauchen."

Seraphine nickte schließlich und begann damit den inzwischen kalten Eintopf zu essen. Erst beim Kauen bemerkte sie, dass ihre Wange schmerzte. Vorsichtig betastete sie jene Stelle, an der sie Vanes Schlag getroffen hatte. Die Haut und der darunterliegende Knochen waren sehr druckempfindlich und geschwollen. Am nächsten Tag würde sich dort ein blauer Fleck ausgebreitet haben. Trotz der Blessuren wich die Heilerin nicht von der Bettstatt des Piraten und wachte weiter über ihn.

Die Stunden zogen dahin und irgendwann verabschiedete sich Alice und wünschte Seraphine eine gute Nacht. In der Nacht hatte Vane zwei weitere Anfälle, doch Seraphine konnte ihn beide Male auf dieselbe Weise beruhigen, wie beim ersten Mal.

Kurz vor Morgengrauen jedoch hatte sie große Mühe. Vane hatte erneut einen Anfall im Fieberwahn. Er wehrte sich so vehement, dass er es beinahe geschafft hätte, Seraphine abzuwerfen. Obwohl die Heilerin ihm bereits seit mehreren Minuten über die Schläfen strich, wollte er sich nicht beruhigen. In seinen Augen glitzerte der Wahnsinn seines Fiebertraums und er sah wild um sich. Immer wieder stieß er Laute aus, die mehr nach einem Tier, als nach einem Menschen klagen, wild und ungezügelt.

„Sh... Charles, bitte. Sieh mich an. Sh... Sieh mir in die Augen, Charles", sagte Seraphine, die inzwischen schon völlig verzweifelt war und kaum noch Kraft hatte.

Noch zwei weitere Male sagte sie seinen Namen, dann sah er sie plötzlich an. Er blinzelte häufig, doch sein Blick war klar, nicht von Wahnsinn verhangen, wie noch kurz zuvor. Skeptisch sah er ihr entgegen, schien sie geradezu zu mustern. Dann glitt sein Blick in Richtung ihrer Hände. Ihre Daumen strichen immer noch über seine heißen, feuchten Schläfen. Seine linke Hand erhob sich zu ihrer eigenen und verweilte dort, als wüsste er nicht recht, ob er sie fortwischen sollte oder nicht. Erleichterung breitete sich in ihr aus und sie lächelte müde. Als ihre Stimme ertönte, sah er ihr wieder in die Augen.

„Danke, Charles, aber du musst dich wieder hinlegen, sonst wird sich dein Fieber nicht senken. Bitte Charles, leg dich hin, ich bitte dich."

Erneut zuckten seine Lider und schlossen sich halb. Wieder lächelte Seraphine und half Vane dabei sich wieder hinzulegen. Erfreut stellte sie fest, dass dieses Mal nicht alle Kraft aus seinem Oberkörper schwand. Als Vanes Kopf wieder auf dem Kissen ruhte, bemerkte die Heilerin, dass der Pirat immer noch ihre Hand umfasst hielt. Sie stieg von der Bare hinab und setzte sich auf ihren Stuhl zurück, doch als sie ihm ihre Hand entziehen wollte, hielt er diese fest umfasst. Ein neuerlicher Versuch entlockte ihm ein leises Stöhnen und so unterließ sie weitere Versuche ihre Hand zu befreien. Nach wenigen Minuten begannen seine Finger kontinuierlich zu zucken. Irgendwann drückte er ihre Hand sogar so stark, dass Seraphine beinahe aufgeschrien hätte. Trotz des Schmerzes, freute sie sich allerdings, dass Vanes Kraft zurückzukommen schien. Vielleicht war sie aufgrund des Schlafentzugs allerdings auch schon so geschwächt, dass Vane ihr stärker vorkam.

Die Stärke des Piratencaptains - Charles VaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt