Zur Vasbecker Flotte

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Um 13.59 Uhr stemmte ich den Gullideckel zur Seite undkletterte aus einer dünnen Laubschicht. Zwischen einer Linde, einerTrauerweide und einer Rosskastanie stehend sah ich mich um. DerParkweg war ein bisschen weiter weg, die Leute darauf waren mit sichselbst beschäftigt und 7 Bäume weiter stand ein knutschendesPärchen. Hinter mir schon Jarne den Deckel zurück verdeckte ihnetwas mit Laub. „Der Parkausgang ist links, die Bushalte is darechts", klärte er mich auf und ging wie als würde er von derSchule kommen nach links.
Ich mochte das Grüne, zog aber dieetwas unberührtere Natur vor, was so ziemlich der hinteren Hälfteunseres riesigen Gartens entsprach, weshalb ich noch nie einen Anlasshatte, mich groß im Park aufzuhalten.
Der Park war nicht sehrgroß, sodass wir zwei Minuten später an der Haltestelle standen, woJarne bereits das Portemonaie bereit hielt. Der Bus kam und wirsetzten uns weit nach vorn, in Fahrtrichtung, wo noch eineinhalbPlätze frei waren, oder ein großer, je nach dem, wie breit manselbst war. Wie auch immer, wir quetschten uns dorthin. So konntenwir beobachten, wer einsteigt, aber nur kurz gesehen werden, weil dieneuen Fahrgäste vorne nicht herumstehen konnten, um uns zubetrachten.
So jedenfalls die Theorie, ich war nämlich noch niehäufig Bus gefahren und hatte ,keine Ahnung von nix'. Ich war auseinen auch mir unerfindlichen Grund schon immer lieber zu Fußgelaufen.

Wir fuhren bereits zwei Stunden, waren einmal umgestiegen, und ichhatte mich deutlich entspannt, den Kopf auf Jarne Schulter gelegt,als dieser dann bemerkte: „Wir müssen die Nächste raus. Nur,damit du Bescheid weißt."
Gähnend richtete ich mich auf. Ichwar eindeutig noch im Ferienmodus. Der Bus war bedeutend leerergeworden und die Landschaft ländlicher.
Der Bus hielt, wirstiegen aus. Ich hatte keine Ahnung, wo wir grade waren.
„Wennwir jetzt ein Taxi bestellen dauert das ewig, bis es da ist und bisVasbeck sinds nur noch 4 Dörfer." Jarne sah mich über die Kartehinweg an, als erwarte er eine Antwort. „Sollen wir laufen odertrampen? Fremde Spaziergänger sehen komisch aus und einen Trampermerkt sich der Fahrer", meinte ich also.
Kurz darauf, als wiruns langsam in Bewegung gesetzt hatten, hörten wir hinter uns einenTrecker kommen und Jarne streckte pragmatisch prompt einen Daumenaus. Da überholte uns ein hellgrüner Trecker mit leerem Anhängerund hielt vor unserer Nase. Das Heckfenster öffnete sich und eineschwarze Mütze kam zum vorscheinen. Die Frau mittleren Alters inFließjacke mit freundlichem Lächeln streckte den Kopf heraus: „Wowollt ihr denn hin? Ich könnte euch ein Stück mitnehmen, wenn ihrwollt." Jarne übernahm das Reden. Er nannte ihr den Ort, siedeutete auf die riesige leere Ladefläche und schloss das Fenster.Ich guckte etwas verwirrt, vielleicht hatte ich ja etwas nichtmitbekommen, aber mein überaus wortreicher Freund kletterte bereitshoch.
Kurze Zeit später hielt der Trecker erneut und icherblickte bereits von der Ladefläche aus ein Lokal, das derBeschreibung entsprach. Als ich abgesprungen war und dem Treckerhinterhergewunken hatte drehte ich mich in Richtung Lokal und sah esmir genauer an. Es war ein Restaurant in einem heimeligenFachwerkhaus mit Messinglettern über der hölzernen Doppeltür undeinem weiteren Schild an der Straße mit jeweils der Schrift,Vasbecker Flotte'.
Ich zuckte mit den Schultern und sah Jarne an,der ebenfalls sehr unsicher schien. Aber irgendwie mussten wir unsvon der Stelle bewegen. Warum nicht also hier erstmal Auskunft holen,vielleicht war das ja das Gesuchte. Es war nichts auffälliger alsstehen zu bleiben.

Es hatte noch geschlossen, öffnete wohl nach einer Mittagspause,aber eine Bedienung lief grade etwas geschäftig zwischen zweiTischen entlang, und so klopfte ich kurzentschlossen an eineFensterscheibe. Sie sah verwirrt auf und ging in Richtung der Tür.
Sie sah ums neugierig an und ich fing an zu stottern:„Entschuldigen sie, wir suchen den Flottenhafen."
Uns sieprustete einfach ungeniert: „Ich bin noch neu hier, aber hier istweit und breit kein Meer, das kann ich euch schon jetzt versichern.Aber ich frag mal den Chef, wo ich euch hin schicken soll, immerhinhaben wir ja hier auch eine ,Flotte'." Sie drehte um und schlug dieTür zu.
Ratlos und dümmlich standen wir eine Weile dort, bisein grünäugiger Mann mit einer Tasse in der Hand in Sicht kam underneut die Tür öffnete. „Entschuldigt, kommt doch rein, ich kanneuch weiter helfen. Folgt mir, bitte."
Er führte uns durch dieKüche in sein Büro und setzte sich in einen braunen Bürostuhl,nachdem er hinter uns die Tür geschlossen und uns jeweils einenweißen Sessel angeboten hatte.
„Als erstes, wie heißt ihrbeiden denn, ich find Menschen mit Namen gleich sympathischer. Ah undich bin Liudolf Baumgartner."
Ich fand ihn eher gleichkomischer, aber dennoch nicht unsympathischer, er hatte etwaslockeres, freundliches an sich. „Thalia Knilch und das ist JarnePiccolomini, ein Freund von mir."
„Gut soweit, die Nachnamenkommen mir sogar bekannt vor...
Also, wie kommt ihr hier her?"„Wir sind mit dem Bus gefahren und wurden den Rest von nem Treckermitgenommen."
„Nein, wie ihr auf die Idee gekommen seid, hierin der Fremde, mitten auf dem Land nach einem Hafen zu fragen." Ersah uns amüsiert an.
Nun etwas gefasster fasste ich einfach denheutigen Tag knapp in Worte. „Ich war bei meiner Nachbarin Selma,als die uns plötzlich auf den Weg hier her geschickt hat, weil meinePflegeeltern irgendwie in der Patsche säßen und ihr das geschriebenhätten. Als wir grade durch einen Hinterausgang raus sind, ist hatsie Besuch bekommen."
Unser Gegenüber verschluckte sich anseinem Tee. „Ich weiß zufällig, welchen Hinterausgang du meinst.Also sind Jill und Eustachius in London abgefangen worden, als siedie Cousinen und Cousins besuchen wollten. Nicht gut. Aber ich kanneuch anscheinend vertrauen, zumal ihr nach Halbwolf riecht, oder irreich mich?" Der Mann sah Jarne aus seinen immer noch lebendigfunkelnden Augen an, aber ich antwortete ihm stattdessen, wenn auchnicht auf alles: „Ob sie uns vertrauen können liegt daran, wer siesind, woher sie meine Eltern kennen, was sie mit uns spontanen Gästenvorhaben und warum Selma uns hergeschickt hat." Er sah mich vonseinem Sessel aus interessiert an. „Also, ich bin der Halbbruderdes Besitzers diesen Lokals hier und habe mal vor etwas längererZeit, als ich noch jünger war, eine Weile bei Selma gewohnt. Damalsschon haben die Knilchs im Nachbarhaus gewohnt. Und im Grunde sindsie etwas weiter bekannt. Sie sind freundliche Menschen und helfen wosie können. Sie haben Selma unterstützt und ihr geholfen, als siemich, so wie euch jetzt, rausschmuggeln musste. Ich bin ebendalls einHalbblut, hatte sie kurz als Ziehmutter im Exil und wurde aberirgendwann von quasi Extremisten gejagt, wegen denen ich überhaupterst im Exil war, die Selma irgendwomit im der Hand hatten, sodasssie mich halb bewusstlos vor ihren Augen in den Ofen gesteckt hat,mit einem Holzscheit vor mir eine Klappe zugedrückt hat und danndavor Feuer gemacht hat. Den Rest könnt ihr euch vorstellen."
Ichwurde blass. Das hatte also die widerliche Stimme in Selmas Hausgemeint. Das war also auch der Halbbruder von Jarne Mutter, ihrgemeinsamer Nenner...
„Alveradis!", hauchte ich. Die zweibraunen Haarschöpfe drehten sich zu mir, fixierten mich vollerüberraschter Neugierde und forderten eine Erläuterung. Ich wurdeetwas nervös und stotterte mit hochrotem Kopf. Ich fühlte michmerkwürdig beschuldigt. „Als ich im Raum unterm Wohnzimmer auf derLeiter stand hab ich gehört, dass der Halbbruder von Jarne Mutterdort verbrannt worden sei und Liudolf geheißen hätte. Mir kam deinName eben schon bekannt vor, so häufig ist der ja nicht. Ich warnoch nicht dazu gekommen, es dir zu sagen, ich mein, das wollt ichnicht so nebenbei unterwegs." Ich hatte mich zum Schluss zu Jarnegewandt. „Also lebt sie noch!" Liudolfs erleichterter Ausdruckwar kaum zu beschreiben.
„Ja, das tut sie. Du bist also auchein Halbblut?" Jarne sah Liudolf respektvoll musternd an. „Aberwie?"
Etwas betreten erklärte er: „Deine Oma hatteebenfalls eine menschliche Freundin und, wie soll ich sagen, es warenetwas wildere Zeiten und die drei hatten sich etwas zu sehr von Kiss,Drugs and Rock'n Roll mitreißen lassen.
Kurzum meine Mutterwurde schwanger. Deine Oma war zwar Vaters Mate, aber aus irgendeinemGrund hat sie ihn mindestens einmal geteilt. Vielleicht hatte es ihreinfach so mehr Spaß gemacht, wie auch immer. Aus dem wilden Dreierwurde dann ein wildes Chaos, aber zunächst wuchs ich als ältererBruder von Alveradis auf. Als ich aber als Halbblut nicht länger imRudel bleiben konnte kam ich zu Selma und wie es daraufhin meinerliebsten Alveradis ergangen ist, kann ich nicht sagen. Ich hatte nurgehört, dass sie für eine Weile oft in die Stadt ist und irgendwannnicht wieder gekommen war. Ich hab sie vorher schon schmerzlichvermisst gehabt, aber das machte es nicht besser."

meine IrrfahrtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt