4. Reise

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„Aufwachen!“, ruft eine Stimme in den Wagen. Ich rappele mich auf und sehe mich um. Anscheinend konnte Theo doch noch einschlafen, denn nun streckt er sich, gähnt und reibt sich die Augen. „Morgen“, meint er und ich erwidere sein Lächeln. „Morgen!“, sage ich in die Gruppe und bekomme gemurmelte Antworten. Die Müdigkeit ist fast zu spüren, die Nacht war nicht besonders lang. Ich reibe über mein Gesicht und strecke mich. Vielleicht habe ich nicht lange geschlafen, dafür aber gut. Ich packe meine langen, inzwischen zerzausten, Haare und wickele sie mit dem Haargummi, welches ich noch um mein Handgelenk habe, zu einem Knoten. „Wo sind wir?“, frage ich niemand Bestimmten und steige aus der Tür, die offen steht. Das helle Sonnenlicht blendet mich, deshalb muss ich erst einmal blinzeln, bis sich meine Sicht klärt. Wir sind an einer Straße, die deutlich heruntergekommen ist. An den Straßenseiten hängt ein blaues Schild, es stehen Wörter darauf, die definitiv nicht auf Englisch sind. „Frankfurt 12 km“ steht dort geschrieben. Seltsam, nun spricht doch jeder Englisch. Vermutlich sind diese Schilder vor langer Zeit aufgebaut worden.

 An der Tür zum Fahrerhaus unterhalten sich die Erwachsenen. „Wo sind wir?“, frage ich erneut. Die Frau wendet sich mir zu und lächelt freundlich: „Wir sind in den früheren Landesgrenzen von Deutschland. Eine Autoraststätte an einer Autobahn. Ihr könnt euch hier frisch machen. Die Duschen funktionieren noch. Da geht’s lang!“ Sie zeigt in die Richtung des Hauses. Ich nicke und gehe in die besagte Richtung. Deutschland? Hier müssten die Metropolen Berlin und München liegen. Aber wofür braucht man dort Straßen, wo keine Metropole ist? Man kann doch einfach den Zug nehmen.

Das kalte Wasser weckt mich endgültig auf. Es ist glücklicherweise nicht zu kalt. Ich trockne mich ab und schlüpfe in die frische Kleidung, die neben der Dusche liegt. Eine robuste grüne Hose und ein schwarzes Shirt. Wert auf das Aussehen legt hier scheinbar niemand, dennoch stört mich das nicht. Zuhause konnte ich mir auch keine Mode leisten. Meine Schuhe sind immer noch dieselben, die ich vor kurzer Zeit geflickt habe. Neue standen keine bereit. Schade eigentlich.

Ich blicke in den Spiegel. Verschlafene, dunkelblaue Augen blicken mir entgegen. Meine Lippen sind trocken und an einer Stelle aufgesprungen. Mist. Meine Haare sind durch das Duschen nicht ordentlicher geworden und so hängen sie in zerzausten, nassen Strähnen auf meinen Schultern. Ich versuche mit meinen Händen sie so weit wie möglich zu bändigen. Schließlich gebe ich jedoch auf und lasse sie zum Trocknen offen über meinen Rücken fallen.

Als ich wieder nach draußen trete, hat sich nicht viel geändert. Außer Theo sind alle wieder eingeschlafen. Ich muss lächeln. Meine Geschwister waren auch solche Morgenmuffel. Bei dem Gedanken, wie Lizzy jetzt in ihrem Bett liegt, zu müde, um aufzustehen, spüre ich einen Stich in meinem Herz. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Jetzt darf ich keine Schwäche zeigen. Nicht hier. Nicht vor den anderen.

Theo sitzt an den Wagen gelehnt und isst etwas. Der Geruch von Kaffee und frischem Brot lassen meinen Magen knurren. Ich habe seit dem gestrigen Morgen nichts mehr gegessen. Die Erwachsenen stehen noch immer neben dem Fahrerabteil. Als sie meine Schritte hören drehen sie sich um. Prompt werden mir ein Brot und ein Becher Kaffee in die Hand gedrückt. „Danke“, sage ich und lasse mich neben Theo nieder. „Schickes Outfit“, meint er. Ich muss lachen. Die Hose ist mir viel zu groß und das T-Shirt rutscht mir fast von der Schulter. „Wenigstens sauber.“, erwidere ich. Meine alten Klamotten waren verschwitzt und in der Hose war ein Loch. Die neuen Klamotten riechen nach Waschpulver.

„Wie war es denn in Paris?“, frage ich Theo und beiße genüsslich in das Brot. Es schmeckt fantastisch. Aber das tut eigentlich alles, wenn man Hunger hat. „Vermutlich schön“, fängt Theo an, „Aber wir haben kaum etwas davon mitbekommen. Wir durften das Waisenhaus nicht verlassen.“ Ich muss schlucken. Er hat mir gestern erzählt, dass er seine Eltern verloren hat. Aber ich habe vermutet, dass er bei irgendwelchen Verwandten gewohnt hat. Einen Teil seiner Familie zu verlieren ist schlimm genug, gar keine mehr zu haben, das ist wirklich furchtbar. „Was habt ihr dort den ganzen Tage gemacht?“, will ich wissen. „Trainiert“, sagt er knapp. Verwundert blicke ich ihn an. Die ganze Zeit? Er scheint die Frage aus meinem Gesicht ablesen zu können. Und nickt. Schweigend kauen wir das Brot. Ich grübele wie sein Leben wohl ausgesehen hat, zu fragen traue ich mich nicht. Ich möchte nicht, dass es ihm unangenehm seien könnte. Vorsichtig nehme ich einen Schluck von meinem Kaffee. Das heiße Gebräu wärmt mich von innen. Erleichtert atme ich aus. Weiße Wölkchen steigen auf. Es ist muss Morgen sein, die Sonne steht noch nicht besonders hoch. Mir ist ein wenig kalt.

The TaskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt