Prolog

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Meine Mutter hat immer behauptet, ich wäre wie Wasser.
Sanftmütig und besonnen.
Man konnte mich nicht einsperren.
Irgendwie würde ich mich immer befreien können.
Zu meinem Bruder Sero sagte sie, er wäre wie Eis.
Stark und gefährlich.
An dem Tag unserer Geburt schneite es ziemlich stark.
Es war also keine Überraschung, dass mein Bruder mit dem Eis Gen zur Welt kam. Diese Fähigkeit hatte er von unserer Mutter geerbt. Seinen Schrei hörte man im ganze Dorf. Dieses war nicht gerade klein. In diesem Moment wandelten sich die Schneeflocken in dicke Regentropfen um. Meine Mutter erzählt mir heute noch, dass mein Gesicht so blau wie der Himmel war, als ich das Licht der Welt erblickte. Zuerst dachte sie, der Regen würde für die Trauer der Götter über meinem Verlust stehen. Doch ich fand meinen Weg ins Leben. Jetzt wandelte sich der Regen in ein Symbol meiner Kräfte um.
Es kam nicht oft vor, dass an einem Tag wie diesem ein Santria Geborene wurde und gewiss nicht zwei.
Santria bedeutet in unserer Sprache heilig. So wurden wir auch behandelt. In den Momenten unserer Geburt wurden wir zu den wichtigsten Personen auf der Burg. Wir waren Zwillinge, zwei Teile eines Ganzen. Zwei Gefäße in denen die Mächte unserer Welt gleichmäßig aufgeteilt waren.
Wir konnten nicht ohneeinander leben und doch waren wir so verschieden. Ich habe mich immer gefragt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich als Junge auf die Welt gekommen wäre.
Denn während meine andere Hälfte dazu erzogen wurde zu herrschen und zu kämpfen, wurde mir beigebracht hübsch zu sein und zu gefallen. Unsere Welten waren einander so nah und doch hätte sie nicht weiter entfernt sein können. Er lernte sich zu verteidigen und die Kräfte, die er von unseren Eltern geerbt hatte, einzusetzen. Ich musste lernen einen passenden Mann zu finden. Es stellte sich heraus, dass dies viel schwieriger war als es sich anhörte. Wir Santria waren seltene Wesen, die ihre Gaben durch Generationen weitergaben. Meine Mutter, die manchmal sehr kühl sein konnte, hat ihre Gabe meinem Bruder gegeben. Die zwei waren sich sehr ähnlich. Mein Vater, dem oft gesagt wurde, dass er viel zu gutmütig ist, gab mir seine Gaben. Die Gabe des Wassers.
Um unsere Kräfte in der Familie zu bewahren, heirateten Santria nur andere Santria. Das heißt, unser Ehen waren meist ohne Liebe und nur wegen der Ehre und des Ansehens geschlossen. Ich konnte dieses Phänomen immer wieder anhand meiner Eltern beobachten. Sie waren zusammen so kalt und steif und ich habe mich immer wieder gewundert, wie sie es zu miteinander in einem Raum aushalten konnten. Ich denke nicht, dass sie sich hassen. Aber sie werden sich nie lieben. Das einzige was sie vereint sind mein Bruder und ich.
Doch wer vereinte meinen Bruder und mich?
Ich habe mich immer gewappnet Dinge zu sehen, die kein anderer sah. Vielleicht war es einfach meine Art mich von meinem Bruder hervorzuheben.
Er schien in allem so viel besser zu sein. Es ist nicht so, als hätte ich nicht versucht, besser zu sein.
Eines Tages würde der Damm, den wir zwischen uns bauten, überschwappen. Doch ich hätte niemals gedacht, dass wir so viele mit uns ertränken würden.

Unforgiven.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt