„Immortal friend"

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Die mehrfach geflickte Bettdecke lag zusammengeknüllt auf dem Boden neben dem schmalen Massivholzbett. Auf dem weichen Untergrund saß Livia im Schneidersitz und studierte im flackernden Kerzenlicht verschiedene Folianten. Ihre Stirn lag derweil die meiste Zeit in Falten während sie sich beim Lesen mit der linken Hand ans Kinn faste. Die angestaubte Ausgabe [Regeneratio mithilfe der modernen Wissenschaft] nahm flächenmäßig beide Oberschenkel der Lesenden in Anspruch während im greifbaren Radius weitere Exemplare zum Thema „körperliche Genesung" verstreut lagen.

Sie tippte sich in regelmäßigen Intervallen mit dem Zeigefinger an die Unterlippe während sie zu einer äußerst komplexen Beschreibung chemischer Verbindungseigenschaften gelangte. Ihre Lippen formten tonlos die Wörter aus dem Buch nach, während sie mit routinierter Schnelligkeit parallel eine Zusammenfassung auf ein Pergamentblatt schrieb. Das homogene Kratzen der Schreibfeder auf dem Pergament war das einzige Geräusch im Atelier.

Als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster drangen schob Livia das wuchtige Alchemiewerk von ihrem Schoß und kniff müde die Augen zusammen. Mit ihren schlanken Fingern fuhr sie sich über die Augenlieder und massierte sich mit kreisenden Bewegungen die Schläfen. Seufzend erhob sie sich und griff nach dem Becher auf dem kleinen Beistelltisch. Obwohl der Tee bereits kalt war, verbreitete er noch immer einen angenehm aromatischen Duft. Während sie langsam die Treppe herabstieg, inhalierte sie in langen Zügen das Aroma und kippte anschließend das kalte Getränk in eine Topfpflanze.
Zügig packte sie alle benötigten Utensilien in einen Beutel und verließ erschöpft das Haus.
Auf dem Weg nach Francollarts ließ sie vor ihrem geistigen Auge den vergangenen Abend nochmal Revue passieren.

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„Eine der wichtigsten Eigenschaften von Vampiren ist ihre außergewöhnlich stark ausgebildete Regenerationskraft. Dank ihr kann jedwede physische Verletzung ohne nachträgliche Folgeschäden geheilt werden. An dieser Stelle sei jedoch zusätzlich anzumerken, dass diese Fähigkeit bei jedem Individuum unterschiedlich stark ausgeprägt ist.

Der Hexer ließ meinen Freund zwar ziehen, dennoch kam es zu einer offensiven Auseinandersetzung in der Dettlaff verletzt wurde. Leider war dieser Verlauf unvermeidlich, bedenkt man doch dessen hitziges Temperament. Zwar befindet sich mein Freund in der Genesung, dennoch würde die vollständige Regernation sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Deswegen möchte ich dich bitten für ihn Tränke herzustellen, die diesen Prozess beschleunigen und seine aktuellen Schmerzen hemmen."

Während Regis die Situation seines Freundes schilderte, beobachtete Livia unentwegt die kleine Kugel auf dem Tisch. Mit einer geschmeidigen Bewegung beugte sie sich nach vorne, nahm den schlichten Teelöffel und klopfte mit diesem auf die sphaera sensum. Sofort überzogen die leuchtenden Glyphen die Oberfläche der Sphäre. Als das Muster verschwand, wiederholte sie den Vorgang. Regis saß schweigend an seinem Platz und Beobachtete mit unverhohlener Neugier die junge Frau.

Falls sie seinen Blick spürte, ließ sie es sich nicht anmerken und starrte weiterhin das Geschenk an. „Wenn Vampire über dermaßen abnorme Fähigkeiten im Bereich der Regeneration verfügen, sollten meine Tränke für deinen Freund obsolet sein."
Regis sackte leicht in sich zusammen und sein Blick trübte sich.

„Damit hast du prinzipiell Recht, doch die Verletzungen meines Freundes beschränken sich nicht ausschließlich auf herkömmliche Wunden. Eine weitere Eigenart unserer Spezies, in diesem Fall eine äußerst negative, ist die langsame Genesung zugefügter Verletzungen, die wir von unseresgleichen erhalten. Normalerweise ist es unverzeihlich, das Blut eines höheren Vampirs ohne dessen Einverständnis zu trinken. Der Kodex verbietet solche Auseinandersetzungen."

Witcher - Motten fühlen sich vom Licht angezogenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt