Mit Salz und Pfeffer

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                        Anna Lilienthal

„Anna? Ich müsste dich nochmal kurz sprechen. Es geht um eine deiner Schülerinnen aus deinem Deutschkurs ...", innerlich seufzend blickte ich auf, nur um in das grimmige Gesicht meiner Kollegin Lena Maier zu gucken.

Es war nicht das erste Mal, dass mich jemand aus dem Kollegium auf meinen chaotischen Abiturkurs ansprach, aber wenn es um spezielle Schüler ging, war es immer am schlimmsten.

Als ich vor einem Jahr den Deutschkurs im Abiturjahrgang übernahm, bemerkte ich schon die mitleidigen Blicke meiner Kollegen. Aber was sollte ich machen? Ich hatte damals gerade mein Referendariat an der Schule beendet und direkt einen so wichtigen Kurs zu bekommen, war etwas sehr Besonderes. Etwas sehr Gutes. Das dachte ich mir damals zumindest, bis ich den Raum voller Zwölftklässler betrat.
Mir segelt direkt ein Papierflieger entgegen, darauf folgte ein Stift. War dieser Kurs chaotisch? Auf jeden Fall. Hatte es sich über das Jahr gebessert? Ein wenig. Gab es trotzdem wöchentliche Beschwerden von Kollegen? Definitiv. Wobei ich auch zugeben musste, dass manche von ihnen es etwas zu ernst nahmen.

„Um wen geht's?", fragte ich und bemühte mich, meine Stimme interessiert klingen zu lassen.

„Juliette Streich. Mal wieder ... Du hast sie doch gleich im Unterricht, oder? Ich sehe sie diese Woche nämlich nicht mehr", antwortete Lena prompt.

Sie ließ sich seufzend auf dem Stuhl mir gegenüber nieder und fing auch schon sofort unaufgefordert an zu reden. „Es hat sich nichts geändert! Sie sitzt immer noch total lustlos hinten in meinem Unterricht und gibt keinen Ton von sich, selbst wenn man sie auffordert. Ich habe mich auch schon mit Anderen kurzgeschlossen, bei ihnen ist es genauso. Beispielsweise in den Fächern Biologie und Politik. Hast du nicht erst kürzlich mit ihr geredet?"

Ich hätte es mir denken können. Juliette, um wen sollte es bei Lena auch sonst gehen. Die beiden konnten sich nicht aufs Fell gucken. Dies hatten mir beide Seiten bereits glaubhaft versichert, nachdem ich schon einmal von meiner Kollegin Lena Maier gebeten wurde, mit der 18-Jährigen zu sprechen. Lena gefiel das Verhalten der Schülerin in ihrem Unterricht nicht, aber selber sagen konnte sie es dem Mädchen aus irgend einem Grund nicht.

„Doch, ich habe mit ihr geredet. Vor ziemlich genau einer Woche."

„Mhm, es hat auf jeden Fall nichts bewirkt. Könntest du es vielleicht nochmal probieren? Vielleicht etwas strenger?"

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu lachen. „Vielleicht etwas strenger".
Vielleicht auch noch mit Salz und Pfeffer? Manchmal wunderte ich mich doch sehr über das Verhalten mancher Kollegen und Kolleginnen, immerhin waren die Abiturienten und Abiturientinnen fast erwachsen. Gerade Juliette. Sie war definitiv keine schlechte Schülerin. Aber sie war ein etwas speziellerer Fall. Das, was ich von ihr kennengelernt hatte, war keineswegs schlecht oder unfreundlich. Ich hatte gelernt, dass man sie fordern musste. Man musste sie herausfordern, ihr gezielt Fragen stellen. Eine langweilig gestaltete Unterrichtsstunde war definitiv nichts für Juliette Streich. Ich kam mit ihr eigentlich ganz gut klar, was zuletzt allerdings wahrscheinlich auch an den Fächern lag, die ich unterrichtete. In Deutsch und Sport glänzte die 18-Jährige nämlich. Deswegen wurde ich wahrscheinlich auch von Lena gebeten, mit Juliette Streich mal ein ernstes Wort zu reden. Ich konnte mich nämlich nicht über sie beschweren, ganz im Gegensatz zu manch anderen hier.

„Klar, ich versuche es nochmal, obwohl ich mich beim letzten Mal auch schon deutlich ausgedrückt habe. Ich kann aber nichts versprechen", sagte ich zu Lena und wurde von dem Klingeln gerettet.

Ich packte meinen Kram zusammen und machte mich auf den Weg zur Sporthalle, um dort den Unterricht mit meinem Leistungskurs in den letzten beiden Stunden dieser Woche hinter mich zu bringen.

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