Dienstag

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Eins, zwei, drei, vier, fünf auf dem Gitterwagen, eins, zwei, drei, vier davor. Neun. Neun Pakete. Lara trat näher heran.

<< Das darf doch nicht wahr sein! >> schimpfte sie laut.

An der Art der Verpackung erkannte sie sofort, wo sie hingehörten. Mit Pappkarton umhüllte Kanister, deren Henkel griffbereit ausgespart worden waren. Erst vor vier Wochen hatte sie dieselbe Sorte Pakete ausgeliefert. Reinigungsmittel. Klarspüler. Wachs. Für eine Autowaschanlage.

Der Idiot hatte augenscheinlich einen Onlinestore entdeckt, um Geld zu sparen, dachte Lara. Das sah ihm ähnlich. Und jetzt kam jedes Paket mit der Post. Lara hatte bereits zweimal das große Los gezogen, diese ausliefern zu dürfen. Das letzte Mal waren es nur fünf Pakete. Heute waren es neun. Neun Pakete à 30 Kilogramm. Lara sah sich das Adressetikett genauer an.

30 Kilogramm. Achtung, schweres Paket.

No shit, fluchte Lara innerlich. Sie konnte spüren, wie Wut in ihr hochkochte. Wut und Verzweiflung.

<< Dieser blöde Idiot. >> schluchzte sie. Sie wischte sich die aufkommenden Tränen weg. Heute würde kein guter Tag werden. So kurz vor Weihnachten war das Auto sowieso schon voll genug. Und jetzt auch noch so schwere Kanister. Mit Reinigungsmitteln für eine dumme Autowaschanlage!

<< Guten Morgen, Lara. >> begrüßte sie Tom. Er war hinter ihr aufgetaucht, um seinen eigenen Wagen mit Paketen zu holen. Lara drehte sich nicht um.

<< Morgen, Tom. >> antwortete sie leise.

Er schien Laras Tränen nicht zu bemerken. Selbst wenn, wäre es ihr mittlerweile egal. Ihre Kollegen hatten sie schon mehrfach weinen gesehen. Die Zeit vor Weihnachten war einfach stressig. Zu stressig, wie Lara fand. Zum Glück war sie nicht allein. Jüngere wie auch ältere Kolleginnen hatten in letzter Zeit häufiger mit den Tränen zu kämpfen.

Täglich gab es mehr Pakete auszuliefern. Unhandlichere Pakete. Schwerere Pakete. Was hatten Lara und ihre Kollegen in diesem Jahr nicht schon alles ausgeliefert: Flatscreens, Mikrowellen, Computer. Home-Trainer, Abfalltonnen und Stühle. Wein, Windeln und Weichspüler. Immer schwerer, immer unhandlicher, immer mehr.

Nur um dann viele Dinge am nächsten oder übernächsten Tag in den Postfilialen als Retouren wiederzusehen oder diese von den Kunden sogar selbst wieder mit in die Niederlassung zurücknehmen zu müssen.

Nein, es machte Lara keinen Spaß mehr Post- und Paketzusteller zu sein. Schon gar nicht, wenn man 270 Kilogramm Reinigungsflüssigkeit ausliefern musste, wo der Besitzer noch nicht einmal mithalf, weil er Rücken hatte! Was für ein blödes Arschloch, dachte Lara.

Sie griff nach der Deichsel des Gitterwagens und zog ihn hinter sich her.

Herrgott, war der schwer, dachte sie. Ihr kamen wieder die Tränen. Egal.

Sie zog den Wagen zur Rampe, um zu ihrem Auto zu gelangen. Dieses stand ganz am Ende des Fuhrparks.

Wo auch sonst, ärgerte sich Lara. Ihr Fahrzeug war nur angemietet, es gab keinen regulären Stellplatz. Also stand er zwischen den Bäumen, weit ab von den Parkplätzen der anderen Kollegen.

Lara ließ sich die Rampe von dem schweren Wagen herunterschieben. Eigentlich war das verboten. Man musste den Wagen immer vor sich die Rampe herunterfahren. Aus Sicherheitsgründen. An einem Tag wie diesem war diese Vorschrift für Lara noch weniger wichtig als sonst. Die Gefahren waren ihr bewusst. Fuhr ihr der schwere Wagen in die Fersen, konnte sie sich schnell eine Achillessehne reißen. Weil das ihre Schuld wäre, würde die Berufsgenossenschaft nicht zahlen. Es war Lara egal. Sie war sich bewusst, dass das eine unkluge Einstellung war. Aber heute interessierte es sie weniger denn je.

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