Kapitel 5

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Statt mich in den Arm zu nehmen, wie es andere Väter wahrscheinlich machen würden, geht er um die Motorhaube herum und steigt in seinen glänzend polierten Porsche ein. Ich hasse dieses Auto, da es alles repräsentiert, wofür er steht und was ich so verachte. Aber trotz all dem was er macht, ist er immer noch mein Vater und wenn ich ihn aus meinem Leben streichen würde, was ich mir schon tausendmal geschworen habe, hätte ich niemanden mehr. Mit meinem Bruder Liam habe ich zwar noch regelmäßig Kontakt, aber ich kann ihn kaum noch sehen, seit er gegen Dad rebelliert hat und seine eigene Band gegründet hat. Dieser hat ihm dann jegliche Taschengelder und Zuschüsse gecancelt und versucht mich so gut es geht von ihm fernzuhalten.

In Gedanken versunken, bemerke ich gar nicht wie mein Vater mit mir redet, bis er mehrfach laut meinen Namen kläfft. Ich schrecke auf und schaue zu ihm rüber. „Zu lange gefeiert letzte Nacht?", fragt er mit ernstem Blick, der aber auf die Straße gerichtet. Mein Atem stockt und ich versuche meine Nervosität mit einem künstlichen Lachen, dass mehr nach einem Husten klingt, zu verbergen, in der Hoffnung, dass er nicht bemerkt ins Schwarze getroffen zu haben. „Du brauchst mir nichts vormachen, Eliana." Er schaut mich vorwurfsvoll von der Seite an und ich entscheide unschuldig zu spielen. „Ich war gestern Abend mit Freunden lernen." „Ich wusste gar nicht, dass du Freunde in der Magnolia Street hast." Meine Nervosität schlägt plötzlich in brennende Wut um und ich schaue ihn empört an. „Stalkst du mich jetzt etwa schon?", frage ich, wobei ich mich bemühe, meine Stimme im Zaum zu halten. Mit gleichgültiger Miene gibt er zu: „Stalken würde ich es nicht nennen, aber ich habe einen Geheimagenten, der mir regelmäßig über dich berichtet." Ich reiße meine Augen und Mund auf. Als ich mich wieder zu ihm drehe, schreie ich schon fast: „Wie bitte?" „Es ist zu deiner Sicherheit. Du bist Tochter eines international bekannten Unternehmers, da muss man vorsichtig..." Bevor er seinen Satz beenden kann, stürze ich ihm ins Wort. „Willst du mich verarschen? Deswegen musst du mich doch nicht beobachten lassen. Ich bin 17 Jahre alt. Ich kann tun und lassen, was ich will." „Ich habe dir aber schon mal gesagt, dass Partys tabu sind. Du musst dich auf die Schule konzentrieren. Außerdem treiben sich bei so welchen Partys immer sonderbare Leute herum, die ganz sicher keine guten Absichten haben." „Es war ein verdammtes Mal okay? Komm mal runter!" Er schnappt nach Luft. „Eliana, Sprache bitte!" Ich füge hinzu: „Und ich versichere dir, dass der Typ gestern bestimmt keine sonderbaren Absichten hatte, als er mir seine Zunge in den Hals gesteckt hat." Sobald ich es ausgesprochen habe, bereue ich es. Er schnauft tief durch und antwortet mit zusammengebissenen Zähnen: „Das wird Folgen haben. Das versichere ich dir."

Der weitere Abend verläuft ereignislos, aber sehr unangenehm, da er mich über jede Kleinigkeit aus frägt und ich ihn nicht noch mehr verärgern will, da ich das Essen nicht noch mehr ruinieren will. Schließlich bringt er mich zurück zum Campus und verabschiedet sich knapp, bevor er wieder fährt. Aber nicht ohne mich nochmal darauf hinzuweisen, auf keine Partys mehr zu gehen oder sonstige Ablenkungen in den Kauf zu nehmen. Als er endlich vom Parkplatz fährt, seufze ich erleichtert auf und entscheide mich auf dem Weg zu meinem Wohnheim bei Kyle vorbei zu gehen. Auf den Fluren des Wohnheimes bekomme ich einige komische Blicke zugeworfen, aber ich versuche sie, so gut es geht, zu ignorieren. Nach kurzem Klopfen wird die Tür geöffnet und Reed erscheint. "Pünktlich auf die Minute. Wie ungewohnt von..." Als er mich in der Tür stehen sieht, verstummt er für einen Moment, bevor er stirnrunzelnd hinzufügt: „Eliana...Wie schön dich zu sehen.". Er lächelt sarkastisch und lehnt sich seitlich an die Tür, wobei seine definierten Armmuskeln zum Vorschein kommen. Ich schlucke kurz und wende meinen Blick von seinen Oberarmen ab, um ihm in die Augen zu schauen. Er schmunzelt leicht. Anscheinend hat er mein Starren mitbekommen. Ich spüre, wie mir heiß wird und ich wahrscheinlich knallrot anlaufe. „I-ist Kyle da?", stammle ich. „Ne, der ist vorhin zu einem Freund zum Lernen gegangen oder so". „Achso, dann gehe ich einfach..." bevor ich meinen Satz beenden kann, unterbricht Reed mich. „Du kannst gerne reinkommen und auf ihn warten. Er müsste jede Minute wiederkommen." Ich zögere bevor ich antworte. Ich würde Reed gerne besser kennen lernen, vor allem, weil alle unsere Begegnungen bisher sehr merkwürdig verlaufen sind, aber genau deswegen sagt mir mein Verstand einfach wieder zu gehen. Außerdem sind meine Nerven für heute schon am Boden. Doch bevor ich nachdenken kann, nicke ich und gehe an Reed vorbei in sein Zimmer. Er schließt die Tür hinter mir, während ich zu Kyle's Bett gehe und mich hinsetze. „Und wie war das Essen mit deinem Vater? Kyle hat mir erzählt, er ist spontan vorbeigekommen." Ich seufze. „Ehrlich gesagt ziemlich beschissen." Er lacht. „Das klingt ja super." Ich nicke lächelnd, obwohl ich mich innerlich elendig fühle. Der Abend mit Dad war wirklich ein einziges Desaster. Leider arten unsere gemeinsamen Essen immer ziemlich aus. Niemals könnten wir wie eine normale Familie essen gehen und über etwas anderes als Schule reden. In Gedanken versunken, bemerke ich nicht wie Reed sich neben mich auf das Bett setzt.. „Willst du mir vielleicht erzählen was passiert ist? Du siehst ganz schön aufgelöst aus." Ich räuspere mich leise und muss loslachen. Reed schaut mich verwirrt an. „Was ist los?" „Du willst mit mir über meine Probleme reden? Ernsthaft?" Ich schaue ihn belustigt an. „Seit wann interessierst du dich für mein Leben, eingeschlossen meine Gefühle?" „Du bist die Freundin meines Bruders. Ich wollte nur freundlich sein." Ich springe vom Bett auf. „Erstens bin ich nicht mit Kyle zusammen und zweitens brauchst du mir nicht vorspielen, was für ein Gentleman du bist, wenn du mit mir alleine bist aber dann mit deinen ach so coolen Freunden mich auslachst." Er runzelt die Stirn. „Wann habe ich das gemacht?" Ich kann nichts dagegen tun, dass meine Augen glasig werden. Ich drehe mich zur Tür um um zu gehen und vor allem, damit Reed mich nicht weinen sieht. „Ist auch egal. Mein Abend ist schon beschissen genug." Genau als ich die Tür aufmache, will er etwas erwidern. Doch in diesem Moment kommt Kyle um die Ecke. Er sieht fragend zwischen Reed und mir hin und her. „Was ist hier los?" Ich reibe mir schnell die einzelne Träne auf meinem Gesicht weg und stammle dann: „Nichts...ich habe auf dich gewartet." Im gleichen Moment kommt Avery den Gang herunter gestöckelt. Als Reed sie sieht, schnappt er sich seine Jacke und verabschiedet sich mit einem knappen Tschüss ohne mich nochmal anzuschauen. Kyle betritt verwirrt das Zimmer. „Was war das denn?" Ich hole tief Luft. „Ich wollte nach dem Essen mit meinem Vater nochmal bei dir vorbei kommen, aber du warst nicht da. Also hat Reed mir angeboten hier auf dich zu warten." Er schaut mich stirnrunzelnd an. „Hast du geweint?" „Nein...ich hatte...", stammle ich, doch er unterbricht mich. „Was hat er dir erzählt? Eliana, bitte glaub ihm nichts. Er kann manchmal..." „Kyle!", unterbreche ich ihn diesmal. „Er hat nichts gesagt. Ich hatte nur einen beschissenen Abend mit meinem Vater. Das ist alles." Er rauft sich die Haare und lässt sich auf den Stuhl fallen. „Es tut mir leid, dass ich so aufgebraust bin, aber...Reed... ich...ach ist auch egal." Nun bin ich diejenige, die ihn fragend anschaut. „Was soll er gesagt haben?" Doch er antwortet nicht. Sein Blick geht in die Leere. „Was soll er gesagt haben, Kyle?", wiederhole ich meine Frage. „Ach nichts. Ich bin ein bisschen durch den Wind. Es war ein langer Tag heute. Können wir morgen weiter reden?" Ich nicke, obwohl die Frage auf meiner Zunge brennt, was Reed hätte zu mir sagen sollen. Es ist mir schon öfter aufgefallen, dass Kyle seltsam reagiert, wenn es um Reed geht. Vor allem wenn ich darin eingewickelt bin. Da ich Kyle aber nicht nerven will, wünsche ich ihm eine gute Nacht und mache mich schließlich auf den Weg zu meinem Wohnheim. Ich habe Schwierigkeiten einzuschlafen, da ich die ganze Zeit an mein Gespräch mit Kyle denken muss. Was verheimlicht er mir, was so schlimm ist, dass ich es auf keinen Fall wissen darf?

Am nächsten Morgen wache ich um halb zehn auf. Ausnahmsweise sind mal alle Mädels da. Ava und Lina schlafen noch, während Sky in ihrem Bett sitzt und liest. Sie begrüßt mich mit einem kleinen Lächeln. „Wie geht's?" „Ganz gut. Außer, dass das Essen mit meinem Vater mal wieder eine Katastrophe war gestern Abend.", antworte ich und gähne. Sie schaut mich mitleidig an. „Willst du darüber reden?" Ich schüttle meinen Kopf. „Lieber nicht. Ich versuche es heute einfach mal zu verdrängen." Sie nickt zustimmend, doch bevor sie antworten kann, kommt ein lautes Grunzen aus der anderen Ecke des Zimmers. „Es wäre lieb, wenn ihr eure Probleme nicht mitten in der Nacht besprechen könntet." Sky und ich lachen. „Es ist halb zehn, du Morgenmuffel!" Ava gähnt laut und ich werfe ihr mein Kissen ins Gesicht. Sie kreischt laut auf und erhebt sich um es zu mir zurück zu schleudern. Ich fange es aber gekonnt auf. Doch als Sky auch eins auf mich abfeuert, sind meine Reflexe zu langsam und es trifft mich genau im Gesicht. Ich schnappe spielerisch empört nach Luft. „Sky, wie kannst du dich einfach so gegen mich wenden?" „Tut mir leid, aber hier gilt 1 gegen 1.", antwortet sie grinsend und feuert das nächste Kissen auf Ava ab, die nun aufspringt und zurück feuert. Ich werfe Lin ab, die noch schläft. Doch sie regt sich keinen Millimeter. Ich gebe den anderen ein Zeichen und laufe ins Bad um ein Glas kaltes Wasser zu holen. Als ich wiederkomme, stehen Ava und Sky schon neben Lin's Bett. Kichernd kippen wir das Wasser über ihr Gesicht. Plötzlich schießt Lin's Kopf in die Höhe. Sie braucht einige Sekunden um sich zu orientieren, doch als sie unsere lachenden Gesichter sieht, versteht sie langsam die Situation. Sie stöhnt und legt sich wieder hin. „Was gibt es Schöneres, als morgens von seinen lieben Freunden mit kaltem Wasser geweckt zu werden?" „Eigentlich nichts", antworte ich unter Lachen. „Außer"-Ava hebt ihren Finger- „mit besagten lieben Freunden frühstücken zu gehen." Sky's Magen grummelt zustimmend. „Das ist keine schlechte Idee.", antwortet sie und wir brechen erneut in Lachen aus. Nachdem wir uns wieder eingekriegt und angezogen haben, machen wir uns auf den Weg in die Cafeteria. Schließlich entscheiden wir uns einen Ausflug mit den Fahrrädern zu machen, da wunderschönes Wetter ist. Obwohl es erst März ist, ist es fast 20 Grad draußen. Das liebe ich an Savannah. Es wird nie richtig kalt, auch nicht im Winter. Ich hasse die Kälte. Ich hasse Regen und trübes Wetter. Das Einzige, was ich vermisse ist der Schnee. Auch wenn ich Kälte nicht ausstehen kann, hat Schnee etwas Magisches für mich. Deswegen ist die Reise nach New York in der Vorweihnachtszeit ein Muss für mich. Als ich sechs war, ist meine Mum das Erste Mal mit mir nach New York gereist. Es war kurz vor Weihnachten und die Straßen waren alle wunderschön dekoriert und überall roch es nach Punsch und Weihnachtsgebäck. Damals ist es zu einer Art Tradition von Mum und mir geworden. Doch als ich zehn war, hatte sie ihren Unfall, nach dem sie dann verschwand. Die Jahre danach war ich nicht mehr in New York, bis ich Lin kennen gelernt habe. Sie liebt Weihnachten über alles und als ich ihr von meiner Zeit in New York erzählt hat, wollte sie unbedingt selber hin. Seitdem ist es eine neue Tradition von uns.

Als wir am späten Nachmittag von unserem Trip zurückkommen, sehe ich Kyle und Reed vor ihrem Wohnheim diskutieren. Kyle hat eine Sporttasche in seiner Hand und ich frage mich, ob er vor hat irgendwo hinzugehen und mir nichts davon erzählt hat. Ich verabschiede mich von meinen Freundinnen und gehe auf Reed und Kyle zu. Als ich näher komme, kann ich Gesprächsfetzen mitbekommen. „Hör auf... nein...es ist aber passiert..", fängt Reed an, aber Kyle unterbricht ihn: „...stimmt nicht... nichts mit ihr zu tun..." Ich bekomme das ungute Gefühl, dass sie über mich reden. Aber ich kann den Kontext ihres Gespräches nicht verstehen. Als ich nur noch einige Meter von ihnen entfernt bin, entdeckt Reed mich. „Da kommt ja deine kleine Freundin. Du kannst ihr ja gleich mal erzählen, warum..." „Halt dein Maul, Reed!", unterbricht Kyle ihn erneut. Reed hebt grinsend seine Arme. „Na dann, lass ich euch mal lieber alleine." Ich schaue Kyle stirnrunzelnd an. „Alles gut?" „Nur der übliche Stress unter Brüdern", stöhnt er, aber ich glaube ihm nicht, dass es nur das ist. „Was ist es wirklich?" Kyle läuft los, Richtung Parkplatz. „Kyle? Was ist passiert zwischen dir und deinem Bruder? Du kannst doch mit mir reden!" Nachdem keine Antwort kommt, laufe ich vor ihn, sodass ich ihm den Weg versperre. Ich schaue ihm in die Augen, doch er versucht meinem Blick auszuweichen. „Es ist alles gut. Wirklich. Ich brauche nur ein bisschen Auszeit von ihm gerade." Und damit geht er um mich herum und läuft weiter. Ich wirble herum. „Wohin gehst du?", schreie ich ihm nach. Er dreht sich noch einmal um und antwortet: „Es tut mir leid. Ich bin bald wieder da." Er wirft seine Sporttasche in den Kofferraum seines Autos uns steigt ohne ein weiteres Wort ein. Als er vom Parkplatz rast, lässt er mich verwirrt stehen.

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