Prolog: Legenden Und Mythen Helcanórs

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Wenn die Sonne aufgeht, wird die ganze Welt in ein leuchtendes, rotes Feuer gehüllt. Sie strahlt heller und wärmer als jedes Feuer, das je auf der Erde brannte und kann doch nicht alles schmelzen.

Nicht den ewigen Schnee, der in ihrem Licht funkelt und glänzt wie ein Meer aus tausenden Diamanten.

Der Schnee bedeckt jeden Flecken Erde im Reich Helcanór. Er hüllt alle Bäume in weiße Mäntel und bedeckt alle Seen mit einer kristallklaren Eisfläche.

Der ewige Schnee, so erzählt man sich, setzt sich auch in den Herzen der Bewohner dieses Landes fest, macht sie stark und ausdauernd, damit sie in der Kälte überleben können. Denjenigen Menschen, die er für würdig befindet, schenkt der ewige Schnee magische Kräfte. Sie werden Eismagier genannt und sie sind die großen Helden Helcanórs, die Schnee und Eis zu ihrem Vorteil nutzen und formen können.

Ihre Eismagie befähigt die mächtigen Krieger auch dazu, Schneebestien zu bändigen. Schneebestien waren einst normale Tiere, denen der Schnee in die Adern gekrochen ist, sodass ihr Fell nun reinweiß erstrahlt und ihre Augen eisblau leuchten. Sie sind schneller, größer und weitaus gefährlicher als ihre Artgenossen und gehorchen, wenn gebändigt, nur den Befehlen ihres Herren.

Die großen Helden der Vergangenheit waren die ersten Könige von Helcanór, die den Legenden nach sogar Eisdrachen bändigen konnten und auf ihnen in Schlachten flogen. Diese ersten Eismagier schafften es den Legenden nach, den ewigen Schnee zeitweise zum Schmelzen zu bringen, sodass die Menschen für einige Wochen im Jahr Felder bestellen und ernten konnten, ehe der Schnee mit aller Macht zurückkam.

Doch diese Zeiten sind längst vergangen, Eisdrachen sind genauso verschwunden wie die Eismagier, die sie angeblich bändigen konnten. Da schriftliche Quellen fehlen, werden die Geschichten von Generation zu Generation wilder, romantischer und auch immer ein bisschen mythischer. Keiner kann mehr sagen, wie lange der Schnee nun wirklich schon da ist und ob es überhaupt je so mächtige Eismagier gegeben hat.

Schneebestien sind wohl real, doch ob sie wirklich magisch sind, oder eben einfach nur größer, schneller und angriffslustiger als andere Tiere, das will keiner näher erforschen. All die Geschichten von den großen Heldentaten der ersten Könige sind nur noch Gute-Nacht-Geschichten, die man den Kindern vor dem Schlafengehen erzählt.

Zum Beispiel die Geschichte von König Haran dem Bärtigen, der auf einem riesigen Schneebären in die Schlacht ritt und dessen Gefolge aus bestimmt weiteren zwei Dutzend Schneebären bestand, die alle ihm gehorchten. Andere beliebte Geschichten sind die der Prinzessin Halatir, die auf ihrem mächtigen Schneeadler jede Nacht dem Turm des Eispalastes entfloh und allerlei Abenteuer in Helcanór erlebte.

Schauergeschichten über Schneebestien sind beliebte Erzählungen unter Halbstarken oder von Großmüttern, die ihren Enkeln Respekt vor der eisigen Natur des Landes einbläuen wollen. Geschichten über Schneeharpyien, die ihre Opfer aus der Luft greifen und in ihre Nester tief im Frostgebirge verschleppen, sollen jeden vor den weiten Schneewüsten warnen, in denen man orientierungslos auf ein eisiges Ende zulaufen kann. In den Untiefen des Frostwaldes sollen Schneespinnen hausen, monströse achtbeinige Wesen, die Netze aus Eis zwischen den Bäumen weben und so ihre Beute fangen. Aber gesehen hat sie noch keiner, nicht in dieser Generation und auch nicht in der davor.

Natürlich gibt es immer wieder Trunkenbolde, die behaupten, sie wären schon einmal von einer Schneeharpyie gegriffen oder von einer Schneespinne in ihr Netz gewoben worden, aber da sie lebten, um diese Geschichten zu erzählen, bleiben die Erzählungen eben das: Geschichten und Legenden, denen jegliche Wahrheit abhandengekommen ist und denen keiner außer kleinen Kindern mehr Glauben schenkt.

Die Eisdrachen von HelcanórWo Geschichten leben. Entdecke jetzt