Aideen
Ich starrte gebannt auf mein Bein.
Eine Schicht feiner Eiskristalle breitete sich von den Wundrändern her aus und füllte die Wunde, die glücklicherweise recht oberflächlich war, mit leisem Knistern und Knacken aus. Erst fühlte es sich eiskalt an, dann wurde es langsam wärmer. In meinem Knöchel spürte ich ebenfalls ein leichtes Kribbeln unter dem Verband und wusste, dass die Wunden dort ebenfalls verheilten.
Ich betastete die neue Haut an meinem Bein vorsichtig und war überrascht, dass es sich ganz normal anfühlte. Als wäre nie eine Wunde dort gewesen. Mein ganzer Körper war erfüllt von diesem eisigen Kribbeln und mir wurde bewusst, dass mein provisorischer Heiltrank jede Schramme und jeden blauen Fleck an meinem Körper verschwinden ließ.
Lachend entfernte ich den Verband von meinem Knöchel und bewegte begeistert meinen Fuß. Dann sprang ich auf die Beine und wäre beinahe vornüber auf Brendan gestürzt. Doch dieser streckte blitzschnell seine Hände nach oben, sodass ich mich an ihm abstützen und mein Gleichgewicht wiederfinden konnte. Er sah verwirrt zu mir auf und ich blickte zu ihm runter. Die unterbrochene Unterhaltung flackerte wieder in meinem Kopf auf und ich drückte mich von ihm weg. Er machte dieses Gesicht, als wollte er etwas sagen.
Ich wollte mich wirklich gerne der Illusion hingeben, dass wir trotz aller Umstände in einem guten Land lebten und einen guten Herrscher hatten. Doch das stimmte einfach nicht. Er hatte seine Frau und seine Tochter ermorden lassen, aufgrund von den fadenscheinigsten Beweisen und abergläubischen Zeichen. Brendan schien allerdings fest daran zu glauben, dass seine Prinzessin noch lebte. Das konnte ich in seinen Augen lesen.
«Wie auch immer», seufzte ich und tapste an ihm vorbei zu meinem Bett und der Kommode dahinter. Ich griff mir beiläufig eine Hose und zog sie mir so elegant wie möglich über die Beine. Brendan hustete und ich konnte erahnen, wie sein Blick beschämt wieder zu Boden glitt. Das brachte mich unweigerlich zum Grinsen.
«Es ist vermutlich in der Situation unwichtig, was ich denke. Der Gedanke des Königs zählt, nicht wahr?»
Nachdem ich die Hose geschlossen hatte, stopfte ich das lange Hemd in den Bund und drehte mich dann zu ihm um. Brendan nickte und räusperte sich. Dafür, dass er mich in ohnmächtigem Zustand entkleidet und versorgt hatte, hatte seine dunkle Haut einen beachtlichen Rotton angenommen.
«So würde ich es nicht ausdrücken, aber im Grunde habt Ihr Recht», stimmte er mir zögernd zu, wobei er scheinbar großes Interesse an der kargen, wenn auch praktischen Einrichtung meiner Hütte gefunden hatte.
«Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was dieser Tage in König Rians Kopf vorgeht. Womöglich kann das niemand. Seit seine zweite Frau im Kindbett starb, reagiert er nicht mehr rational. Seitdem leitet sein Berater Ceallach die Staatsgeschäfte.»
Der Ritter schnaubte und ich konnte die Verachtung in seiner Stimme heraushören. Ich hob eine Augenbraue, während ich ein dickes Wams über das Wollhemd zog und verschnürte.
«Das klingt, als würdet Ihr den Mann nicht sonderlich schätzen.»
«Er ist sehr wortgewandt und weiß sehr viel. Aber er ist kein guter Mensch.»
Brendan ließ einen vorsichtigen Blick in meine Richtung gleiten und als er sah, dass ich schon im Begriff war, mir dicke Socken über die Füße zu ziehen, fiel ein wenig seiner Anspannung von ihm ab. Ich lachte schnaubend auf und ließ mich auf mein Bett sinken, sodass Niah schläfrig den Kopf hob und kurz die Lage sondierte. Dann rollte dieses faule Tier sich wieder auf Brendans Mantel ein.
Ich konnte nicht anders.
«Wisst Ihr, Brendan, ich weiß Euren Anstand wirklich zu schätzen. Doch langsam frage ich mich, wie Ihr es bewerkstelligen konntet, meine Wunden zu versorgen.»
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Die Eisdrachen von Helcanór
FantasyIn einem Land, in dem nur der Adel Magie beherrscht, muss die Geschichtenerzählerin Aideen ihre Kräfte verstecken. Doch die Bestien des Königs wittern ihre Spur. Brendan steht seit seiner Kindheit in Dienst und Schuld des Königs. Doch sein Herz und...