Aideen
Als Erstes fühlte ich die Wärme, die mich umhüllte.
Ich hatte mich oft mit Tante Maery über den Tod unterhalten, schließlich gehörte er zu ihrer Arbeit als Kräuterfrau und Heilerin und somit auch zu meiner. Mal war er kurz und schmerzlos, mal quälten sich die Menschen lange, bis sie endlich entschliefen. Und die wenigen, die das Ringen mit dem Tod gewannen und sich tatsächlich zurück ins Leben kämpften, erzählten alle ähnliche Geschichten: Sie waren von Wärme umhüllt gewesen; hätten ein helles Licht, wie das der Sonne, gesehen und all ihre Schmerzen waren verschwunden.
Nun war mir zwar warm, aber mir tat jeder einzelne Knochen weh. Und dunkel war es auch, vermutlich weil ich die Augen zusammenpresste, um vergeblich die Kopfschmerzen zu unterdrücken. Immerhin: Ich war nicht tot.
Die Erinnerungen an das, was passiert war, schwirrten ungeordnet durch meinen Kopf. Ich hatte die Begegnung mit einer Schneeharpyie überlebt. Ich hatte die Grenzen meiner eigenen Eismagie ausgetestet.
Und ein königlicher Ritter hatte mich gerettet.
Ich schlug die Augen auf, was ich sofort bereute. Die knisternden Flammen eines Feuers blendeten mich und sofort schoss Schmerz durch meinen gesamten Kopf. Ich stöhnte und rollte mich von dem Feuer weg, um meine Umgebung in mich aufzunehmen.
Eine sehr vertraute Umgebung, wie ich feststellte.
Das Bett, auf dem ich in mehrere Lagen Felle eingewickelt war, war mein Eigenes. Auf dem Boden neben meinem Bett stand eine Schüssel Wasser mit einem rötlichen Lappen darin und ich wusste sofort, dass mein Blut den Stoff verfärbt hatte.
Die Hitze stieg in meine Wangen und vermutlich nahm meine Haut einen ähnlich roten Ton an, wie das Tuch, das im Wasser schwamm. Ich trug ein frisches, weiches Hemd, doch mein Mantel lag auf dem Boden, ebenso wie meine zerfetzte Hose und meine Stiefel, an denen immer noch ein wenig Schnee haftete. Ich zog die Decken hoch bis zu meinem Kinn und blickte mich panisch in der kleinen Hütte um.
Als ich mir sicher war, dass sich sonst niemand in der Hütte aufhielt, setzte ich mich langsam auf. Ich ächzte vor Schmerz, doch schließlich saß ich mehr oder weniger aufrecht und ließ den Blick erneut schweifen. Auf dem Tisch lagen verstreute Kräuter und mehrere offene Tiegel mit Salben. Ich runzelte missbilligend die Stirn, denn so würde ich meine Arbeitsstätte niemals hinterlassen. Dennoch erkannte ich, dass mein Retter offensichtlich die richtigen Heilmittel für meine Wunde gefunden hatte. Ich schob die Decke schließlich von mir und betrachtete den Verband, der um meinen Oberschenkel geschlungen war. Er war sauber angelegt und verrutschte auch nicht, als ich die Beine über die niedrige Kante meines Bettes schob und versuchte, aufzustehen.
Kurz überkam mich ein leichter Schwindel. Der Schmerz weitete sich auf jede Zelle in meinem Körper aus und ich drohte, erneut ohnmächtig zu werden. Ich sank zurück auf die weichen Felle und atmete tief ein und wieder aus. Nachdem das Rauschen in meinem Kopf sich etwas gelegt hatte, startete ich einen erneuten Versuch. Ich schaffte es, mich in den Stand zu drücken und stolperte in Richtung des Tisches, den ich augenblicklich als Stütze nutzte. Mein verletztes Bein protestierte, als ich mich um den Tisch herum schleppte und die nur halb angelehnte Tür meines Kräuterschranks öffnete. Ich unterdrückte das Verlangen, die grob beiseitegeschobenen Flaschen und Kräuterbündel wieder zu sortieren und kramte stattdessen auf dem obersten Regalbrett herum, bis ich fand, was ich suchte.
Ich zog das in feinen Stoff eingewickelte Päckchen hervor und ließ mich damit auf einen Hocker neben dem Tisch fallen. Ich wimmerte leise und hob mein verletztes Bein auf den zweiten Hocker und betrachtete meinen Knöcheln, der in allen Farben zwischen blau und grün leuchtete. Glücklicherweise hatte der Eissplitter meinen Knöchel nicht durchschlagen, sondern nur gestreift. Ich wickelte den Stoff auseinander und betrachtete fast ehrfürchtig die getrockneten Eisblumen, deren getrockneten Blüten silbern schimmerten.
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Die Eisdrachen von Helcanór
FantasiaIn einem Land, in dem nur der Adel Magie beherrscht, muss die Geschichtenerzählerin Aideen ihre Kräfte verstecken. Doch die Bestien des Königs wittern ihre Spur. Brendan steht seit seiner Kindheit in Dienst und Schuld des Königs. Doch sein Herz und...