Nachtigall

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Die Nacht über wollte und konnte sie einfach nicht schlafen. Sie lag eingerollt in ihrer dicken Lieblingsdecke auf dem Sofa, hatte nur die kleine, warme Lampe auf dem Tischchen angemacht und starrte gefühlt stundenlang aus dem Fenster, das unweit des Sofas war. Der Fernseher lief nur im Hintergrund, denn sie konnte die drückende Stille nicht ertragen.


Schwanger und verlassen.


Was gab es da noch mehr zu sagen? Sie fühlte sich, als sei sie in einen tiefen Abgrund gefallen, aus dem sie nie wieder herauskommen würde. Seltsame Bilder von sich selbst kreisten und geisterten ihr regelrecht im Kopf herum – so sah sie sich selbst, mit Lockenwicklern und ungepflegt in einer Küche stehen, um sich herum ein Haufen plärrender Kinder, die an ihrem Morgenrock rissen und unausstehlich kreischten.


Hermine seufzte und ließ den Kopf auf ihre angewinkelten Beine fallen – das war eine Horrorvorstellung. Auch wenn sie wusste, dass sie etwas überzogen war – sie trug nie Lockenwickler – so zogen sich diese Bilder immer wieder durch den Kopf.


Was tat man in so einer Situation? Sie war wie gestrandet. Kein Ausweg. Die Karriere? Konnte sie vergessen. Freunde, Leben, Erfolg? Abgehakt. Wenn sie sich denn für das Kind entschied.


Sie hatte eine Gänsehaut bei dem Gedanken bekommen, als sie an Abtreibung gedacht hatte. Der Gedanke war ihr nur kurz gekommen, ganz flüchtig, und sofort hatte sie ihn schärfstens wieder vertrieben. Es war immerhin ein menschliches Wesen, mit einem Herz, einer Seele, und es trug immerhin einen Teil von ihr in sich. Wenn man jedoch bedachte, wer der Vater war...


Sie schüttelte sich und griff geistesabwesend nach ihrem Handy, das seit dem Kommen griffbereit gelegen hatte. Es hätte ja sein können, dass Ron anrief – oder Harry. Nach Stunden inmitten der kriechenden Dunkelheit jedoch hatte sie genug und wählte mit eisigen Fingern Harrys Nummer. Dass es bereits 3 Uhr nachts war, registrierte sie nicht wirklich.


„Was... Hallo? Was zur Hölle...", murrte Harry äußerst verschlafen ins Handy – er raschelte mit der Bettdecke und atmete aus.


Hermine biss sich auf die Lippe, dann setzte sie leise an.


„Ich bin's, Harry. Ich... es tut mir leid, dass ich mitten in der Nacht anrufe, aber.. ach, mir geht es beschissen. Es ist etwas passiert."


Harry raschelte noch einmal mit der Bettdecke, dann klang er viel aufgeweckter. „Es ist etwas passiert? Was ist los?"


„Ich... es gab einen Unfall auf der Arbeit, und es geht mir wieder gut, aber.. da war... die Schwester, sie hat...", Hermine stockte; heiße Tränen brannten in ihren Augen und rannen ungehindert die Wange hinab. Es war doch nicht zum aushalten! In was für einen Bockmist hatte sie sich nur gebracht? Jedes Kind wusste, dass man verhüten sollte!


„Ist alles okay? Soll ich vorbei kommen?"


Hermine stockte und schluchzte. Sollte er? Mitten in der Nacht, wo er doch morgen arbeiten musste? Sie fuhr sich durch die Haare, die Stimme immer noch versiegend unter den Tränen.


„Nein, ich.. aber wunder dich nicht, dass ich die nächsten Tage nicht da sein werde. Ich brauche Ruhe. Aber herkommen musst du nicht. Vielleicht morgen Nachmittag... Ich war gerade nur so verzweifelt, ich musste einfach eine freundliche Stimme hören. Im Moment kann ich einfach nicht mehr."


„Himmel, Hermine, was ist los?", raunte Harry; er klang mehr als besorgt, und Hermine konnte anhand der Hintergrundgeräusche am Telefon erkennen, dass er sich aufgesetzt hatte. Sie wartete ab; es bereitete ihr große Panik, es ihm zu sagen. Doch was sollte sie tun? Alleine kam sie da nicht durch. Dafür fehlte selbst der sonst so taffen Gryffindor der Mut. Drachen reiten? Kein Problem. Gefoltert werden? Auch auszuhalten. Aber schwanger von Draco Malfoy sein? Nein.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 31, 2020 ⏰

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