Kapitel 1

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Halte immer an der Gegenwart fest. Jeder Zustand, ja jeder Augenblick ist von unendlichem Wert, denn er ist Repräsentant einer ganzen Ewigkeit"

„Ich schwöre dir, wenn du weiter den Spruchkalender spielst, hau ich dir eine rein. Ich muss mich konzentrieren"

„Eric, das ist Goethe. Und es passt perfekt zu deiner Situation, da du mit deinem Gerede über die Zukunft den ganzen Tag verdirbst"

„Ausnahmsweise muss ich Joshi zustimmen", schaltete ich mich ein. „Du lebst doch sonst auch nach Goethes Weisheit, indem du keine Party auslässt. Nur, weil du demnächst Abi machst und nicht weißt, was danach kommt, heißt das nicht, dass du durchdrehen sollst. Wir lernen jetzt, dann schreiben wir in ein paar Monaten die Prüfungen und bis dahin wird dir schon etwas eingefallen sein"

„Das ist zu einfach gedacht", meinte Eric skeptisch.

Ich ignorierte ihn und fragte Joshi: „Wie berechne ich nochmal den Radius des Schnittkreises der Ebene?"

„Mit dem Satz des Pythagoras, also mit der Strecke zwischen den Mittelpunkten und dem Radius der Kugel"

„Danke"

„Immer wieder gerne, meine Liebe"

„Ich sehe nicht ein, inwiefern mir irgendwann mal was bringt"

„Eric, ich weiß auch nicht, wie mir der Quatsch in meinem Leben helfen soll. Aber es wird schon einen Grund haben"

„Du kannst das System von innen heraus zerstören, wenn du Abi gemacht hast", fügte Joshi hinzu.

Eric grummelte nur und wandte sich dann wieder der Aufgabe zu. Er war garantiert wegen etwas anderem so nervös und nervig. Etwas, das auch mit der Party zusammenhing, aber ich würde ihn garantiert nicht darauf ansprechen.

Ich stand auf, nahm mir ein Glas aus dem Schrank und befüllte es mit Wasser. „Wollt ihr auch was?"

„Ich dachte schon, du fragst nie", kam es prompt von Eric.

„Du wohnst quasi hier und weißt genauso gut wie ich, wo die Sachen sind. Aber okay"

„Ich hätte auch gerne Wasser", meinte Joshi.

Der Grund, weswegen wir an einem Samstagnachmittag bei mir in der Küche saßen und uns mit Analytischer Geometrie quälten, lag übrigens nicht daran, dass wir geistesgestört waren, sondern am Mathe Abi, das in über einem Monat anstand.

„Seht es positiv, Leute. Wir können noch höchstens eine Stunde lernen, bevor wir zu Vivian müssen, um ihr bei den Partyvorbereitungen zu helfen", versuchte ich, die beiden zu motivieren. Schlagartig hellte Erics Miene sich auf: „Das heißt, der Wahnsinn hat bald ein Ende?"

„Ja doch! Und jetzt seid mal bitte ruhig, ich will mich konzentrieren"

„Sorry", meinte ich, stellte die Wassergläser hin und versuchte, die Aufgaben zu machen.

Zwei Stunden später stand ich in der Küche des Hauses meiner Freundin Vivian und spießte Gemüse und Frikadellen auf Zahnstocher. „Wenn die niemand isst, sorge ich persönlich dafür, dass sie es tun", murmelte ich vor mich hin. „Sie werden bestimmt super angenommen. Jeder mag Frikadellen, Gurke und Käse. Nicht zu vergessen meine kreative Kreation", beruhigte Joshua mich. „Deine kreative Kreation sind drei Weintrauben auf einem Zahnstocher. Ich sehe da eher pure Ideenlosigkeit", sagte ich, musste aber grinsen.

Von uns allen hatte Joshi das sanfteste Gemüt und schlichtete ständig zwischen uns Aufbrausenden. Wenn jemand anderes allerdings auch nur ein negatives Wort uns gegenüber fallenließ, wurde er jedoch extrem angepisst.

Leiden der JungenWhere stories live. Discover now