Kapitel 3

12 0 0
                                    

Ich drehte mich um und stand vor dem bestaussehenden Jungen, dem ich je begegnet war. Er war größer als ich, was selten vorkam, hatte dunkelbraune Haare und dunkle Augen. „Eigentlich wollte ich gerade meinem Arbeitgeber Bericht über die Party erstatten. Ich bin eigentlich Geheimagentin" Was redete ich da?

„Wow, okay, dann hatten wir ja beide dasselbe vor", grinste er. „Ich bin Agent Max und arbeite für dem MI6 und du?"

„Anfängerfehler, dass du deinen Geheimdienst nennst", meinte ich.

„Scheiße, stimmt. Darf ich trotzdem deinen Namen erfahren, bevor du mich enttarnst?"

„Agent." Ich machte eine Pause. „Lieke"

„Also Lieke, was machst du denn hier, abgesehen von arbeiten?"

„Ich tanze, esse und trinke. Was man eben auf einer Party so macht, um sich normal zu verhalten. Und was machst du hier? Und woher kennst du Vivian?"

„Ich kenne Vivian nicht. Mein Kumpel hat mich mitgeschleppt, weil er hier nur wenige Leute kennt und Unterstützung braucht, um sich Mädels aufzureißen" Bei den letzten Worten malte er Anführungszeichen in die Luft.

Ich zog eine Braue nach oben: „Klingt ja super-sympathisch, dein Kumpel"

„Ja, was das angeht, ist er ein bisschen speziell. Aber sonst er der beste Freund, den man sich wünschen kann. Aber genug davon. Woher kennst du Vivian denn?"

„Sie ist eine meiner besten Freundinnen"

„Ich höre da ein „aber""

„Aber in letzter Zeit nicht mehr so", winkte ich ab. Dann schwiegen wir eine Weile, aber es war kein unangenehmes Schweigen, sondern eins, wo jeder seinen Gedanken nachhing. „Wollen wir wieder reingehen oder noch hier draußen bleiben? Dann würde ich nämlich vorschlagen, dass wir uns irgendwo hinsetzen. Ich hatte heute ein Handballspiel und meine Beine tun ziemlich weh", unterbrach Max die Stille.

„Dann lass uns doch nach hinten gehen, da steht eine Bank", meinte ich.

„Gute Idee"

Sobald wir saßen, streckte er sich und seufzte: „Erwähnte ich schon, dass ich morgen den Muskelkater des Todes haben werde? Meine Beine fühlen sich schon jetzt an, als wären sie aus Beton" Er verstummte kurz, redete dann aber weiter: „Ich jammere zu viel, stimmt's? Oder warum sagst du nichts?"

„Nein, alles gut. Ich habe gerade nur ein schlechtes Gewissen, weil ich auch mal wieder zum Handballtraining gehen sollte, aber ich hab halt in der Schule im Moment so viel zu tun"

„Ah, der Klassiker der Ausreden"

„Ey, das stimmt wirklich. Ich..."

Und so kamen wir ins Gespräch. Ich erfuhr, dass Max 18 Jahre alt war, genau wie ich Stress wegen des Abiturs hatte, Kreisläufer war, Mandarinen abgrundtief hasste und noch mehr.

„Soll ich dir was zu trinken besorgen? Und eine Jacke?", fragte er irgendwann.

„Ja gerne. Ich habe gar nicht bemerkt, wie kalt es eigentlich ist"

„Na ja, für April ist es schon ziemlich warm. Bis gleich"

Ein paar Minuten saß ich einfach nur da und betrachtete den dunklen Garten, bis plötzlich ein Rufen von Max die Stille unterbrach. „Lieke? Dein Freund braucht dich!" Er klang besorgt und auch ein wenig eifersüchtig.

Mein Freund? Hä? Trotzdem ging ich in Richtung Haustür, wo Max mich zusammen mit Joshua erwartete. Beide blickten ernst. „Was ist los?", fragte ich verwundert, denn Joshi wirkte nicht so, als hätte er irgendwelche Probleme.

„Eric", sagte Joshi nur. Ich begriff und lief zur Garage.

Eric lag auf dem Boden und hatte offenbar gekotzt. Zumindest stand ein Eimer neben ihm, aus dem es übel roch und sein Gesicht war verschmiert. Er war ziemlich weggetreten. „Okay, Eric, Zeit zu gehen", murmelte ich und wandte mich an Max, der mir gefolgt war. „Du hast nicht zufällig noch nichts getrunken und bist mit dem Auto hier, oder"

„Zufällig bin ich beides. Ich fahre ihn nach Hause"

„Ich sollte wohl besser mitkommen. Das Haus findest du nur, wenn du weißt, wo es ist und außerdem will ich ihn nicht alleine lassen"

„Okay, dann hol deine Sachen. Hilfst du mir, Eric ins Auto zu laden?", fragte er Joshi.

Ich nahm mir meine Jacke von der Garderobe und folgte den beiden. Um ehrlich zu sein, war ich froh, Eric nicht schleppen zu müssen, denn das hatte ich schon oft genugtun müssen.

Wir fuhren schweigend durch die Dunkelheit. „Ich habe übrigens keinen Freund", sagte ich nach einer Weile, denn ich hatte das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. „Schön, dass dir ausgerechnet das einfällt, um das Schweigen zu brechen", meinte Max amüsiert und grinste: „Aber gut zu wissen. Wo fahren wir eigentlich hin? Nicht, dass alles nur Show ist und du eigentlich nur meine Leiche irgendwo vergraben willst, weil ich für den MI6 arbeite."

„Nein, da haben wir bei uns bessere Methoden", grinste ich zurück. „Eric wohnt auf dem Gut ein paar Orte weiter" „Ach, Johannes Arnolds Sohn? Deren Haus würde ich wirklich niemals finden. Ich weiß ja nicht mal, wie man im Hellen dorthin fährt"

Ich war nicht weiter verwundert darüber, dass er Erics Vater kannte. Das war eben das Leben auf dem Land. Jeder kannte jeden, auch die dazugehörigen Eltern und Großeltern. Meistens war man sogar verwandt.

„Ich weiß manchmal wirklich nicht, ob es ein Fluch oder Segen ist, wenn jeder alles über einen weiß", sprach ich meinen nächsten Gedanken aus. Max' Miene verdüsterte sich. „Das weiß ich auch nicht. Auf der einen Seite fühle ich mich geborgen und sicher, auf der anderen Seite ist es unglaublich nervig, dass man besonders von den Alten immer noch als der Kleine wahrgenommen wird und sich jeder an deine Dummheiten erinnert"

„Sind wir bald da?", murmelte Eric von der Rückbank. „Ich will schlafen"

Ich seufzte leise. „Da vorne musst du links abbiegen und einfach die Allee runter, dann sind wir da", sagte ich zu Max. „Okay. Brauchst du noch Hilfe? Ich würde sonst dableiben" „Musst du nicht"

„Aber?"

„Aber es wäre schön, Gesellschaft zu haben", sagte ich und meinte es auch so.

„Na dann lass uns mal den Babysitter spielen", meinte er und parkte das Auto ein paar Minuten später vor dem Anbau, den Eric allein bewohnte. So mussten wir ihn nur über eine kurze Distanz stützen. Nachdem wir ihn umgezogen, ins Bett bugsiert und einen Eimer sowie eine Wasserflasche daneben gestellt hatten, gingen Max und ich in Erics Wohnzimmer, worin sich - typisch Jungs - nur eine große Couch, ein Sideboard mit einer Playstation und ein großer Flachbildschirm befanden.

Max sah auf seine Uhr und gähnte herzhaft: „Ich bin definitiv kein Partymensch. Es ist halb drei und ich bin todmüde. Also es liegt nicht an dir, wenn ich einschlafen sollte."

„Was hältst du davon, wenn wir einen Film gucken?", fragte ich, denn ich war auch etwas müde. „Was hat Eric denn so da? Saw 2, Gladiator, Es, Annabelle...", murmelte Max, während er das Sideboard untersuchte.

„Igitt, bloß keine Horrorfilme. Gladiator ist zwar gut, den habe ich aber letztens erst gesehen." Ich guckte auch: „Was hältst du von Avengers?"

„Gute Wahl, Captain America ist der beste Avenger"

„Natasha Romanoff", konterte ich.


Leiden der JungenWhere stories live. Discover now