35 - This could be the moment

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Rahles POV:

Gegen Abend saß ich wieder in meinem Zimmer und war noch ganz berauscht von unserer Versöhnung. Meine Beine waren noch immer schlaff und kribbelig. Es war der perfekte Abschluss für unsere Aussprache. Ich musste Maria versprechen mehr mit ihr zu reden, vor allem wenn mich etwas belastete. Sie wollte Auslöser für meine Selbstverletzung vermeiden, sie war für mich da. An diesem Abend sprachen wir nicht mehr darüber, wir tobten uns lieber im Bett aus, doch das war vollkommen angebracht gewesen.

Frau Allers POV:

Das Treffen mit Felix war komisch. Es war komisch ihn nach so vielen Jahren wieder zu sehen. Ich fühlte nichts, ich war nicht mal aufgeregt. Aber trotzdem habe ich mich nach unserer Trennung immer um ihn gesorgt wenn er in Krisengebiete gezogen ist. Ich wollte mir gar nicht ausmahlen wie das für seine Frau und Tochter war. Sein letzter Einsatz lag schon länger zurück, aber ich hoffe Felix wird irgendwann zur Besinnung kommen und in Deutschland bleiben. Das konnte er seiner Familie nicht antun, nicht mehr. Er trug nun Verantwortung. Damals war das in Ordnung. Direkt nach unserer Trennung ließ er sich verpflichten, vielleicht habe ich ihm damals auch schon im Weg gestanden bei seinen Plänen für die Bundeswehr. Felix jedoch sah es einfach als perfekten Zeitpunkt um ins Ausland zu gehen. Ich war seine erste Freundin gewesen und es bestand damals einfach keine Chance mehr auf eine Réunion. Bestimmt hat auch er damals schon gespürt, dass ich auf Frauen stehe. Sobald sich unsere Wege nach der Schule trennten warf er mir vor, mich total zu verändern.

„Die Universität verdirbt dich." - seine Worte.

Er war mein erster Freund und ich dachte es sei normal nicht die typischen Schmetterlinge im Bauch zu spüren. Das änderte sich erst, als ich Anna auf der Uni traf. Deswegen trennte ich mich auch von ihm, es war nur fair gewesen. Die Universität hat mich nicht verdorben, aber sie öffnete mir die Augen, dafür war ich dankbar. Felix dagegen nicht. Er erfuhr durch Freunde, dass seine Ex-Freundin nun mit einer Frau zusammen war. Ich konnte ihm nicht verübeln sauer auf mich zu sein, aber er wurde sehr unfair zu mir. Er sagte Dinge zu mir die mich jahrelang beschäftigten, doch vor drei Tagen entschuldigte er sich bei mir. Deswegen war ich auch so geschockt und überwältigt gewesen, als ich seine Nachricht bekommen hatte.

„Ich habe viel nachgedacht in den letzten Jahren, Maria. Wie unfair ich dich behandelt habe, wie engstirnig und unreif ich gewesen bin. Mir tut das schrecklich leid, weißt du? Im Irak hast du viel Zeit zum nachdenken, du denkst über alles in deinem Leben nach. Über das Gute, das Schlechte, vergangene Romanzen, Beziehungen, dumme Streitigkeiten und auch tolle Momente. Du siehst das ganze Leid, du kämpfst und plötzlich erscheint dir alles so nichtig in deinem Leben. Ich wollte dich treffen um mich zu entschuldigen. Ich kam damals nicht damit klar, von einer Frau ersetzt worden zu sein. Ich habe es auf die Uni geschoben, auf das verdorbene Leben dort. Die vielen Parties, Drogen, Alkohol. Doch wenn ich ehrlich zu mir gewesen wäre...ich habe es irgendwie schon immer gewusst. Schon auf dem Gymnasium in der 9.Klasse. Du hast immer lieber über Mädchen geredet als über Jungs. Du hast mich nie mit diesem Blick angesehen, mit dem du Melanie aus der 10a bereichert hast. Wie lange wollte ich so von dir angesehen werden? Ich weiß es nicht mehr, es müssen Jahre gewesen sein. Ich wollte es nie wahrhaben, deswegen habe ich gekämpft für unsere Beziehung. Ich habe dafür gekämpft überhaupt ein Date mit dir zu bekommen. Und weißt du was? Erst jetzt habe ich erkannt, ich habe zu viele Kämpfe gekämpft. Ich habe zu viele Kämpfe alleine gekämpft. Du hast oftmals einfach in der Ecke gestanden und zugeschaut wie ich mich selbst bekämpft habe. In einer Beziehung sollte nicht alles aus Kämpfen bestehen Maria. Das weiß ich jetzt. Jetzt bin ich schlauer."

Das waren die schönsten aber auch schmerzhaftesten Worte seit langem, vor allem aus seinem Mund. Er war mir wichtig, er ist mir noch immer wichtig. Ich kenne ihn schon viel zu lange und all die Jahre ohne Kontakt waren schmerzhaft. Ihn jetzt wieder in meinem Leben zu haben, auch wenn es nur für dieses eine Gespräch war, war eine Bereicherung. Es war eine Bereicherung seine Ansicht der Dinge zu hören, seine Gefühle und Emotionen, seine Erlebnisse. Felix redete an diesem Abend kein Wort über seinem Einsatz im Krieg und ich wollte ihn nicht dazu drängen. Wir redeten über alte Zeiten, Zeiten in denen wir noch kein Paar gewesen waren. Von der Grundschule bis zur Oberstufe, ab da hörten die Gespräche auf. Anscheinend wollte er nicht alle Gedanken mit mir teilen und das war okay, es war wirklich in Ordnung. Auch ich redete nicht über die Zeit auf der Uni, oder mit Anna. Ich wollte es ihm ersparen. Er war im Leben weiter gekommen, da bringt es nicht alte Geschichten aufzuwärmen. Doch nachdem er mir von Frau und Kind erzählte, wollte er mehr von mir wissen.

„Sag mir Maria. Wer bereichert momentan dein Leben? Ich habe dich noch nie so strahlen sehen, nicht mal mit Anna... Eine Frau? Oder?"

„Deine Beobachtungsgabe war mir schon immer unheimlich Felix. Ja es ist eine Frau...und ich bin wirklich verdammt glücklich."

„Du hast meine Beobachtungsgabe geliebt! Vor allem wenn du wissen wolltest ob Melanie dich auf dem Flur der Schule beachtet hat. Aber egal... Wer ist sie? Wie heißt sie?"

„Hör mir auf mit ihr, das waren doch nur Schwärmereien. Sie heißt Rahel."

„Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Und weiter? Woher kennt ihr euch? Was macht sie beruflich?"

Ich habe mit solchen Fragen gerechnet, trotzdem hatte ich keine Antworten parat.

„Können wir über was anderes reden?"

„Oh okay. Ich wollte dir nicht zu nah treten. Wahrscheinlich würde ich es mir selbst auch nicht verraten. Wie geht es Sophie?"

„Der geht es prima, sie ist tatsächlich in festen Händen."

„Unsere Sophie ist in festen Händen? Das kann ich gar nicht glauben! Sie ist doch ein kleiner Wildfang, aber es freut mich für sie."

Unser Gespräch handelte von alten Bekannten, Freunden und zur heutigen Zeit Fremden. Er versuchte nicht mehr mich auf Rahel anzusprechen und dafür war ich dankbar. Meine Abfuhr war wahrscheinlich ein wenig harsch gewesen, jedoch vertraute ich ihm nicht mehr. Es war zu viel passiert, egal wie viel er mir im innersten noch bedeutete.

Als ich Tage später endlich mit Rahel darüber reden konnte war ich heilfroh. Es ihr nicht vorher sagen zu können war merkwürdig. Im Endeffekt war sie selbst schuld, sie blockte mich seit Tagen ab, aber mein schlechtes Gewissen zerfraß mich in dieser Zeit. Vor allem zerfraß mich die Schuld, ihre Wunden nicht vorher bemerkt zu haben. Wieder nicht für sie dagewesen zu sein. All ihre Erklärungen machten Sinn, aber sie änderten nichts in mir. Ich war schuld für ihre Wunden. Wir konnten es drehen und wenden wie wir wollten, doch eins blieb immer: Ich war schuld. Rahel wollte mir nicht dieses Gefühl geben und nahm alles auf sich, doch ich wusste es besser. Aber mich immer und immer wieder für sie aufzuopfern wenn sie mich abblockte, erinnerte mich an das Gespräch mit Felix.

Ich konnte nicht alleine kämpfen, sie musste mit mir kämpfen. Wir mussten zusammen diesen Kampf antreten um ihre Krankheiten zu besiegen, um ihre Sucht zu besiegen. Ich konnte das nicht alleine, es konnte sich auch nicht mehr nur um sie drehen. Nur weil sie mit ihrem zarten Finger schnippte, sollte und konnte ich nicht springen. Ich werde immer für sie da sein und sie lieben, aber wir mussten an einem Strang ziehen -

Plötzlich riss mich Bernd aus meinen Gedanken.

„Maria? Hast du in der nächsten Stunde deinen Grundkurs aus der 12?"

Wir standen im obersten Stockwerk und überblickten das Forum der Schule. Ich betrachtete von oben den blonden Schopf von Rahel. Sie lachte und alberte mit ihren Freundinnen rum und aß einen Apfel.

„Ja, warum?"

„Ich habe gleich mit meinem Leistungskurs eine Doppelstunde und wir würden gerne einen Versuch machen. Hast du Interesse mit deinem Kurs mitzumachen? Ich habe auf dem Plan gesehen, was du heute durchnehmen möchtest. Das würde richtig gut dazu passen."

Manchmal war mir Bernd ein Rätsel. Las er von jedem Lehrer die Lehrpläne im Lehrerzimmer? Ich machte das nie.

„Natürlich können wir das machen. Was macht ihr für einen Versuch?"

Während er redete beobachtete ich weiter Rahel. Ich dachte an unsere letzte Nacht zurück. Es war unglaublich gewesen. Noch immer schien ich Rahels Lippen auf meinem Körper zu spüren, was mir sofort die Röte ins Gesicht schießen ließ. Genau in diesem Moment schaute sie nach oben und lächelte mich an. Ertappt. Ich fühlte mich ertappt. Wie ein kleines Mädchen drehte ich mich schnell zu Bernd herum und stand nun seitlich zum Geschehen im Forum. Bernd redete ohne Punkt und Komma und wieder schweifte ich mit meinen Gedanken ab. Meine Augen blieben auf einem Mädchen hängen, welches ein Stockwerk tiefer stand und mich anstarrte. Als ich in ihre Augen blickte drehte sie sich weg und verschwand im Trakt der Oberstufe. Lexi. Was war nur ihr Problem? Seitdem Rahel mir von ihren Beobachtungen erzählt hat, war ich paranoid. Ich erinnerte mich an den Moment zurück, in dem Lexi ihre Hand auf meinen Arm legte und mir vorsichtig näher gekommen war. Jetzt war alles klar und deutlich, aber in diesem Moment habe ich es nicht bemerkt. Ahnte sie etwas?

Gedankenverloren ging ich mit Bernd zurück in die Biologie-Räumlichkeiten. Die Pause war gleich um.

„Du kennst meinen Kurs ja schon, die freuen sich richtig darauf. Die werden sich bestimmt auch freuen mit euch zu arbeiten. Ist mal ein bisschen Abwechslung. Wann werdet ihr den Zoobesuch machen?"

„Mein Kurs wird sich bestimmt auch freuen, hoffe ich zumindest. Versprich dir nicht zu viel von ihnen, sie hassen dieses Thema und das geben sie mir auch jedes Mal zu spüren. Es ist eine Qual mit ihnen den Unterricht durchzuziehen. Ich hoffe mit dem Zoobesuch werde ich sie wieder mehr für die Biologie begeistern. Schulleiterin Baum meinte, wir könnten in einem Monat dorthin. Ich muss aber noch Zettel für die Eltern fertig stellen."

„Wirklich so schlimm? Deswegen unterrichte ich so gerne den Leistungskurs, die haben es alle freiwillig gewählt. Obwohl ich zugeben muss, ich habe auch so ein paar Leute die nicht wirklich mitmachen. Was heißt mitmachen. Ich glaube die schnallen es nicht wirklich, sie kommen nicht so gut mit. Aber sie waren schlau genug sich mit den Besten hier zu verbünden. Lena, Rahel und Helene. Kennst du bestimmt. Ein hübsches Trio, aber eine davon hat ziemliche Probleme glaube ich."

Rahel. Er redete von Rahel. Bei seinem Kommentar „hübsches Trio" musste ich meine Emotionen im Zaum halten. Es reichte schon, dass er versuchte mich anzubaggern, aber jetzt auch noch Rahel und die Anderen? Ich presste meine Lippen zusammen.

„Probleme? Was meinst du damit?"

Ich ignorierte alles was er sonst sagte, ich wollte wissen was er wusste.

„Ja. Ich glaube sie hat ziemlich ungesund abgenommen. Weißt du... Vor den Sommerferien war sie noch ein wenig dicker. Dann kam sie wieder und war etwas dünner. Aber mittlerweile habe ich das Gefühl, sie nimmt von Woche zu Woche immer mehr ab."

Immerhin wusste er nichts von ihrem anderen Problem und er wusste auch nicht wie sie so viel abgenommen hat.

„Au okay. Aber sie lässt bestimmt nicht mit sich reden, oder? Immerhin ist es ein schlaues Trio, ich würde mich wahrscheinlich auch den Besten anschließen."

„Tja. Sind eben Realschüler, da sollten sie sich besser an die Erfahrenen halten. Ob sie mit sich reden lässt? Keine Ahnung, woher soll ich das wissen? Warum sollte ich sie darauf ansprechen? Wenn sie eine Diät oder sowas macht, will ich ihr nicht zu nahe treten."

In mir stieg sofort Wut auf. Rahel hat mir schon einige Male von der Benachteiligung von den Realschülern erzählt. Bisher konnte ich mir nur nicht vorstellen, einer meiner Kollegen würde das wirklich tun. Aber anscheinend benachteiligten nicht nur die Mitschüler die Seiteneinsteiger, sondern auch die eigenen Lehrer, na klasse.

Ja genau, warum sollte Bernd eine Schülerin ansprechen, die augenscheinlich mit Problemen kämpfte? War ich die einzige Lehrerin die so dachte? Ich habe mich schon des Öfteren um Schüler gekümmert die mit Problemen zu mir kamen. Egal ob sie sie versteckten, oder offen damit umgingen. Ich konnte nicht ignorieren wie sie sich kaputt machten, in ihren Problemen regelrecht ertranken. Das war nicht nur bei Rahel so.

„Ach so, ich dachte nur. Auch egal. Sollen wir schon die Materialien zusammen suchen?"

„Nein, das machen die gleich schon."

Schweigend gingen wir in den Sammlungsraum um noch eine Kleinigkeit zu essen. Als Bernd nach dem Versuchswagen griff, kam er mir näher als nötig. Ich hörte ein Glucksen, dann verschwand er im Kursraum. Was war das bitte? Machte er jetzt dort weiter, wo er beim Weihnachtsmarkt aufgehört hatte? Ich konnte keine weiteren Gedanken daran verschwenden, vor unserem Raum wurde es unruhig. Bernd ließ seine Schüler rein. Ich trat hinaus auf dem Flur um meinen Kurs heranzuwinken, sie standen vor dem anderen Bioraum.

„Kommt mal her!"

Alle scharrten sich um mich und aus den Augenwinkeln sah ich Rahel die im Raum verschwand.

„Wir machen heute einen Versuch mit dem Leistungskurs von Herrn Rolfes. Er wird euch gleich die Anweisungen geben."

Allgemeines Gegrummel von der Seite meines Kurses.

„Ist dieser Versuch wichtig? Ich habe vergessen meine Pflanze zu gießen." Sophia ließ wieder den Klassenclown raushängen.

„Deine Pflanze kann warten. Rein mit euch."

Ich hielt die Tür auf und zählte meine Schüler durch. Alle waren da, unglaublich.

„-...also holt ihr das aus dem Raum nebenan. Gut. Ach ja. Bildet bitte gemischte Gruppen. Jeweils vier aus dem LK und vier aus dem GK."

Bernd und ich begleiteten die Gruppen in den Raum mit den Materialien.

„Frau Aller? Wo stehen die Mikroskope? Also wo stehen die Träger dafür?"

„Dort hinten, im dritten Schrank von links. Wir haben die Türen schon geöffnet, also kannst du sie nicht verfehlen."

„Danke! Sie sehen heute übrigens umwerfend hübsch aus."

Rahel stand einige Meter von uns entfernt und runzelte die Stirn bei Jonas Kommentar. Das konnte sie auch nicht überhört haben. Jonas war in meinem Grundkurs und baggerte mich seit dem Anfang an. Schon mehrmals habe ich ihn ermahnt, Gespräche mit ihm geführt, doch er tat es immer wieder.

„Sie sehen heute umwerfend hübsch aus? Ehrlich jetzt?", Rahel kriegte sich nicht mehr ein vor Lachen.

„Schön, dass du darüber lachen kannst. Ich finde es mittlerweile nicht mehr lustig."

„Aber Frau Aller, seien Sie doch nicht so ernst. Lachen Sie mal ein bisschen mehr, steht Ihnen besser als dieses Griesgrämige. Denken Sie doch nur an letzte Nacht."

Mit diesen Worten ließ Rahel mich einfach stehen. Sofort wurde mir wieder unerträglich heiß, das Blut schoss mir in Kopf und Unterleib. Das Feuer begann zu lodern und meine Lust war erweckt. Klasse, Rahel. Wirklich. Und nun sollte ich zwei Schulstunden mit ihr in einem Raum verbringen? Ohne ihr zu viel Beachtung zu schenken? Ohne eine Berührung? Sie stellte mich immer wieder vor Herausforderungen, aber es war schön sie so glücklich zu sehen. Sie wirkte aufgeweckter als sonst, befreiter. Das machte mich glücklich.

Schweigend beobachtete ich die Schüler beim Zusammensuchen der Materialien. Selbst mein Kurs wirkte aufgeweckter als sonst, vielleicht tat ihnen diese Abwechslung wirklich gut. Obwohl ich nicht behaupten würde, reinen Frontalunterricht zu machen. Meine Schüler liebten meinen Unterricht, ich gehörte zu den Lehrern, die gerne als Vertretung bei anderen Klassen gesehen wurden. Nur dieser Kurs nicht. Sie liebten es mit mir zu scherzen, sie arbeiteten auch gut mit, aber sie für etwas zu begeistern war unheimlich schwer. Vielleicht mochte ich deswegen lieber die Unterstufe in Biologie. Kindern gingen ganz anders an Biologie heran, mit viel Freude und Wissbegierde. Als alle ihre Materialien zusammen hatten, gingen wir zurück in den anderen Raum. Rahel bildete eine Gruppe mit Helene, Lena und einer mir unbekannten Person. Aber ich kannte sie noch von der Vertretung, Lena und Rahel haben von ihr abgeschrieben.

„Wir wäre es wenn du die linken Tische unterstützt und ich die rechten?"

„Aus unserer Sicht links, oder deren Sicht?"

„Unserer."

„Alles klar, an die Arbeit! Fragen beantworten wir, oder? Wir liefern ihnen nur nicht die ganze Antwort, richtig?"

„So ist es. Sie sollen es selbst herausfinden. Ich schreibe noch gerade was an die Tafel."

Er schrieb ihnen ein paar Buchseiten auf, um das Experiment zu erleichtern. Die linken Tische. Natürlich war Rahels darunter. Heute wurden wir also das erste Mal seit langem wieder getestet. Klar war Sport die größte Herausforderung, aber ich kannte die Mädels mittlerweile. Hier kannte ich einen Großteil des Kurses nicht, auch wenn ich sie bei dem Zoobesuch begleitet habe. Das bedeutete für mich doppelte Vorsicht. Bernd durfte ebenfalls keinen Verdacht schöpfen. Deswegen entschied ich mich erst den hinteren Tisch zu besuchen.

„Braucht ihr Hilfe? Ist alles klar? Versteht ihr die Aufgaben?"

„Ja natürlich, vielen Dank.", antwortete Michi aus dem LK.

„Also Frau Aller, mir können Sie gerne behilflich sein.", Jonas. Es schüttelte mich.

„Jonas. Wir haben darüber schon mehrmals gesprochen. Wenn ihr ein ernstes Anliegen habt, sagt mir Bescheid. Ich bin heute für euch zuständig."

Jonas grinste schelmisch und nickte seinem Freund Tobias zu. Jungs in diesem Alter waren manchmal schlimmer als Jungs in der Pubertät.

„Frau Aller?" - der andere Tisch. Meine Rettung. Oder auch nicht?

„Was liegt an?"

Rahel schaute mich mit ihren durchdringenden, wunderschönen Augen an. Sie beobachtete genau wie ich mich verhielt, was mich ein wenig verunsicherte. Dann ergriff Helene das Wort.

„Wir wissen nicht genau, ob wir die zweite Frage richtig verstanden haben. Können Sie die uns vielleicht noch einmal erklären?"

Ich merkte wie ich immer nervöser unter Rahels Blick wurde, sie wandte sich nicht ab. Sie wandte sich nicht mal ab, als ich sie ermahnend anschaute.

„Also...ich...eh..." - ich versuchte meine Gedanken zu ordnen und setzte neu an. Das klappte schon viel besser. Ich musste einfach versuchen Rahels Anwesenheit auszublenden, das schaffte ich in Sport doch auch. Was war los mit mir?

„Können Sie mir zeigen wie ich das in die Tabelle eintragen muss?", meinte Rahel das ernst?

Meine Knie wurden weich als ich mich hinter sie stellte und ihren Duft einatmete. Sofort fühlte ich mich zum gestrigen Tag zurückversetzt. Ich stützte mich an ihrem Stuhl ab um nicht einfach umzuknicken. Stark bleiben, Maria.

„Natürlich. Du musst in diese Spalte die Messergebnisse eintragen..."- ich zeigte mit dem Finger auf die Spalten um es ihr besser erklären zu können. Bei der dritten Spalte berührte ich plötzlich ihren Finger. Stromstöße durchzuckten meinen Körper, ruckartig zog ich meine Hand zurück. Ich versuchte ohne Hast ihr den Rest zu erklären, machte mich dann schnell auf den Weg in den Sammlungsraum. Dort musste ich einige Male durchatmen um wieder runterzukommen. Seit wann war es so schwer geworden ihr zu widerstehen? Doch nicht erst seit gestern?

„Läuft richtig gut oder? Ich glaube unsere Kurse haben Spaß zusammen!" - Bernd. Natürlich. War er mir gefolgt? Vorhin stand er doch noch beim hintersten Tisch im Raum.

„Ja das stimmt. Vielleicht können wir das öfters machen. Meine Leute arbeiten tatsächlich mit."

Bernd kam näher und legte mir seine Hand auf meine Schulter. Es war so falsch seine Berührung zu spüren und noch erregt von Rahel zu sein. Unsicher bewegte ich mich unter seiner Berührung heraus.

„Ach da liegen meine Schlüssel, die habe ich gesucht."

„Deine Schlüssel liegen doch immer dort? Na egal. Auf jeden Fall können wir das in Angriff nehmen. Da wir thematisch momentan ja eh auf einer Wellenlänge sind, bietet sich das echt super an."

Er machte zwei Schritte auf mich zu. Bevor er mir wieder zu nah kommen konnte, hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Schnell ging ich zurück in den Kursraum um nach dem Rechten zu sehen. Jonas Tisch schien eine Frage zu haben. In den Raum zu gehen war eine Erlösung, die Spannung die von Bernd ausging, war mir nicht geheuer. Er war verheiratet und Vater zweier Töchter, ich kam nie auf seine Flirtversuche klar, doch das heute überschritt gewisse Grenzen. Als ich in der Mitte des Raumes war, richteten sich sofort zwei Augenpaare auf mich. Bei Rahels Blick lief mir ein warmer Schauer den Rücken herunter, bei Jonas verschwand dieser sofort wieder. Ich fühlte mich wie im falschen Film. Bisher habe ich Rahel nie von Jonas Versuchen erzählt, es waren eben auch nur Versuche eines 18-Jährigen. Jedoch versuchte er es immer öfters und wurde auch offensiver, ein weiteres Gespräch war unausweichlich. Innerlich seufzte ich auf.

Die zwei Stunden waren ziemlich schnell vorbei, wir machten aus, eine weitere Schulstunde nächste Woche für die Nachbesprechung der Ergebnisse zu nutzen. Noch eine weitere Stunde mehr, in der ich Rahel im Unterricht sehen würde. Die Schüler strömten in Scharen an uns vorbei, auch Bernd ging mit ihnen. Er konnte schon nach Hause, ich musste den Raum wohl alleine aufräumen. Gedankenversunken räumte ich Papierreste weg.

„Brauchen Sie Hilfe beim aufräumen?"

Mit einem Grinsen schloss Rahel die Tür und kam auf mich zu. Sie trug heute einen weiten Ausschnitt, der mir die beste Aussicht bescherte.

„Hilfe bei was?"

Lächelnd zog ich sie näher und küsste sie. Noch nie habe ich sie im Schulgebäude geküsst, die Angst war immer zu groß gewesen. Die einzige Ausnahme war die Sporthalle, ich wusste in- und auswendig wann wer in der Halle war. Doch heute konnte ich ihr nicht widerstehen, diesmal nicht. Sie war so betörend, ich musste sie einfach küssen. Ihr zauberhaftes Lächeln bescherte mir einen großen Schub an Glücksgefühlen.

„Rahel. Du machst mich so glücklich, das ist unglaublich. Mir ist es noch nie so schwer gefallen wie heute, dich normal zu behandeln. Aber du hast es auch provoziert!"

„Provoziert? Niemals würde ich das tun, Frau Aller. Wie können Sie nur sowas von mir denken."

Wieso machte es mich so an, wenn sie mich mit meinem Nachnamen ansprach? Rahel vergrub ihre Hand in meinen Haaren und zog mich vorsichtig zu sich heran. Sie biss sich auf ihre eigene Lippe, nur um kurz danach meine zu küssen. Ich drückte sie gegen das Pult und hob sie auf dieses hinauf. Mit meinen Händen umschloss ich ihren Hals um sie näher heran zu ziehen. Unsere Küsse wurden leidenschaftlicher und unsere Hände waren überall. Es war unheimlich aufregend sie im Klassenzimmer zu küssen, auch wenn mich das daran erinnerte, etwas Verbotenes zu tun. Wahrscheinlich reizte es mich genau deshalb...und dabei musste ich zugeben, Angst vor den Konsequenzen zu haben, falls wir jemals erwischt werden. Bisher haben Rahel und ich noch nie darüber gesprochen, aber warum sollten wir uns auch mit etwas beschäftigen, was uns die Laune verdirbt?

Plötzlich hörten wir einen Schlüssel der in das Schloss des Nebenraumes gesteckt wurde. Rahel sprang mit einem lauten Satz vom Pult und richtete sich hastig die Haare. Scheiße! Wie konnten wir nur so unvorsichtig gewesen sein.

„Maria, bist du noch da? Ich habe mein Handy hier irgendwo vergessen, hast du es gesehen?"

Bernd zog erstaunt die Augenbrauen hoch als er Rahel sah, die in der hinteren Ecke des Raumes den Besen schwang. Ich stand hinter dem Pult und ordnete die Versuchsblätter.

„Dein Handy? Nein das habe ich nicht gesehen. Hast du schon im Sammlungsraum auf dem Versuchstisch geschaut?"

Bernd drehte sich um und wollte zum gehen ansetzen, mein Herz schlug mir bis zum Hals.

„Mensch du hättest auch mich fragen können, ob ich dir beim aufräumen helfe. Ich wollte dir das jetzt nicht absichtlich alleine überlassen! Aber du hast ja zum Glück jemanden gefunden, der sich leicht überreden lässt die Drecksarbeit zu machen."

Langsam machten mich seine Kommentare wütend, ich zog ihn in den Sammlungsraum und schloss die Tür hinter uns.

„Ich habe sie nicht überreden müssen! Sie hat es von ganz alleine angeboten und da bin ich wirklich froh drüber, dein LK hat nämlich einen ziemlichen Saustall hinterlassen! Es ist eigentlich nicht meine und auch nicht Rahels Aufgabe, denen hinterher zu räumen. Bernd! Du hättest das auch einfach anordnen können!"

„Woah. Okay okay, tut mir leid. Beim nächsten Mal denke ich daran. Ich helfe euch?"

„Nein lass gut sein. Wir sind fast fertig."

„Tut mir wirklich leid, ich bin bei dem LK wohl einfach immer zu lasch. Ich danke euch für das Aufräumen, ehrlich. Hab noch einen schönen Tag, wir sehen uns morgen."

Bernd wollte mich umarmen, aber im letzten Moment schien er es sich anders überlegt zu haben. Seufzend ging ich zu Rahel.

„Das war knapp. Das dürfen wir nicht noch mal riskieren!"

Rahel grinste mich an, nahm meine Hand und küsste sie.

„Ganz wie Sie wünschen. Ich muss jetzt los, ich habe gleich Englisch."

Rahel war heute wirklich gut drauf, beflügelt von der guten Laune ging ich ins Lehrerzimmer.

So wie es kam (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt