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Verschlafen reibe ich mir die Müdigkeit aus den Augen.
Nach diesem seltsamen Traum konnte ich kein Auge mehr zu bekommen. Ich musste die ganze Zeit an den kleinen Alex denken, der ganz allein in einem dunklen Raum fest saß und einfach nicht raus kommen konnte.
Ich frage mich, wessen Blut er an den Händen hatte.
Sollte ich ihn darauf ansprechen?
Lieber nicht.
Ich habe es gerade mal geschafft, mit ihm Kontakt aufzubauen, da will ich ihn nicht mit irgendwelchen Fragen quälen, welche er höchstwahrscheinlich nicht mal beantworten wird, natürlich nur, wenn dieser Traum auch wirklich der Wahrheit entspricht.
Vielleicht habe ich es auch nur einfach so geträumt und der Traum hat nicht's zu bedeuten.
Aber etwas in mir sagt, das hinter dem Traum mehr steckt als ich denke.
Immer wieder kommt mir das Bild vom kleinen Alex, weinend und mit blutigen Händen, in einem dunklen Raum, in den Kopf.
Könnte es sein, dass in Alex's Vergangenheit etwas so Schlimmes passiert ist, das es verantwortlich für Alex's distanziertes Verhalten ist?
Noch in Gedanken versunken, sehe ich aus den Augenwinkeln, wie Lydia mit verschränkten Armen vor mir steht.
》Steig gefälligst vom Bett und mach dich bereit oder ich gehe ohne dich los.《
》Komisch, eigentlich bin ich doch immer die jenige, die dich aus dem Bett zerren muss.《
》Genau, eigentlich ist es immer so gewesen, aber diesmal muss ich mich mit einem gutaussehenden Jungen treffen bevor der Unterricht beginnt, darum will ich pünklich sein.《
》Ahhh, so ist das also.《
》Ja so ist es! Und jetzt steig verdammt noch mal aus dem Bett und mach dich bereit oder ich zerre dich aus dem Bett!《
》Ok ok. Gib mir 15 Minuten.《
Ich springe aus meinem Bett und sprinte ins Badezimmer.
Ich mach mich frisch und zieh mir dann meine Schuluniform an.
Ich kämme mir das Haar und binde es zu einem Pferdeschwanz.
Zu guter letzt schminke ich mich ein bisschen und nimm mir meinen Rucksack.
》Können wir jetzt gehen?《
》Ja können wir.《
Wir verlassen das Zimmer und gehen zu unserem Klassenraum.
Wir haben jetzt zusammen Englisch.

...

Beim Schulende begebe ich mich auf die Suche nach Alex.
Ich habe ihn den ganzen Tag nicht gesehen und mache mir ein bisschen Sorgen, da ich ihn mindestens einmal am Tag sehe.
Im Hof und im Gebäude ist er nicht.
Vielleicht ist er krank, ich sollte ihm mal einen Besuch abstatten.
Aber ich weiß gar nicht, wo sein Zimmer ist.
Ufff...
Naja ich könnte im Sekretariat nachfragen, aber so weit ich weiß, sind die Gesprächszeiten schon vorüber!
Aber einen Versuch ist es Wert.
Entschlossen und mit ein wenig Hoffnung gehe ich zum Sekretariat.
Ich klopfe an der Tür und drücke nach dem ich kein Wort höre, die Türklinge runter, doch die Tür ist abgeschlossen, wie ich befürchtet habe.
Traurig trotte ich zurück in mein Zimmer und nehme mein Handy zur Hand.
Warte mal...
Ich hatte es geschafft, Alex zu überreden, mir seine Nummer zu geben!
Ich umklammere das Handy fester und suche nach seiner Nummer in den Kontakten.
Nachdem ich sie gefunden habe schreibe ich ihm:
"Hey ;)"
Wenig später schreibt er mir auch schon zurück.
"Hey"
"Wo ist dein Zimmer eigentlichen?"
"Warum willst du das wissen?"
"Naja... Du bist heute nicht zur Schule gekommen und ich dachte mir, ich besuch dich mal"
"Von mir aus. Mein Zimmer ist im 2. Stock Zimmer 31"
"Oki ich komm jetzt rüber, bis gleich ;)"

Ich lege das Handy weg und zieh mich schnell um.

Zufrieden mit meinem Aussehen, nehme ich ein paar Medikamente mit, für den Fall, falls er keine hat und etwas zum Essen.
Bevor ich in mein Zimmer ging, habe ich in der kleinen Küche im Erdgeschoss, schnell eine warme Suppe gekocht.
Ich nehme mir eine kleine Tasche zur Hand und tue mein Handy und ein paar Süßigkeiten rein. Anschließend nehme ich den Suppentopf zur Hand und verlasse das Zimmer.
Vor dem Raum 31 bleib ich stehen und klopfe an.
Wenig später höre ich Schritte.
Alex öffnet die Tür und guckt mich erwartungsvoll an.
》Darf ich rein?《
》Ähm...klar.《
Er macht mir Platz und ich betrete das Zimmer.
Es sieht gemütlich aus.
Ein Schreibtisch, Bett, Schrank, Kommode und zur rechten Seite eine Tür, was vermutlich zum Badezimmer führt.
An einer Ecke stehen zwei kleine Sessel, bei denen ich mich auf einen fallen lasse.
Alex nimmt auf dem anderen Sessel Platz.
Erst jetzt guck ich mir ihn genauer an.
Er hat knallrote Augen und sieht ein bisschen blass aus, aber er scheint nicht wirklich krank zu sein.
》Warum bist du heute nicht zur Schule gekommen, ist alles in Ordnung?《
》Ja alles gut, ich war nur ein wenig erschöpft.《
Ich runzel verwirrt die Stirn.
Ich frage mich, warum er so erschöpft ist. Doch ich gehe nicht weiter darauf ein sondern halte ihm nur den Topf mit der Suppe entgegen.
》Was ist das?《
》Ich habe dir eine warme Suppe gekocht, damit es dir besser
geht.《
Er guckt mich verdutzt an.
Anscheinend hat er das nicht erwartet.
》Ou...Ähm.....vielen Dank, das wär doch nicht nötig gewesen.《
》Aber ich wollte es tun, und keine Ursache.《
Er nimmt die Suppe und holt aus einer Schublade zwei Löffel hervor, von denen er mir eine hinhält.
》Nein, die Suppe hab ich doch für dich gekocht, ich will sie nicht essen.《
》Und ich will sie nicht alleine essen. Bitte...《
Er guckt mich ernst an, doch sein Tonfall ist weich und bittend, deswegen kann ich nicht anders als den Löffel anzunehmen.
Er setzt sich neben mich auf den kleinen Sessel, was dafür sorgt, dass wir dicht beieinander sitzen.
Ich werde etwas nervös, ich war noch nie so nah an einen Jungen. Ich habe bis jetzt nur ein paar mal Jungs umarmt, mit denen ich sehr gut befreundet war, aber ich habe noch nicht meinen ersten Kuss oder mein erstes mal gehabt.
Er hält mir die Suppe hin und wir beginnen beide schweigend die Suppe auszuschlürfen.
Als der Topf leer ist, stellt Alex ihn auf den Schreibtisch ab und sagt:
》Vielen Dank für die Suppe, die war echt lecker.《
》Kein Problem, freut mich, dass sie dir geschmeckt hat.《
Alex setzt sich wieder neben mich.
Äh...Er weiß schon, dass er wieder auf den anderen Sessel Platz nehmen kann?
Ich will ihn gerade darauf ansprechen und ihm sagen, dass es mir ein bisschen unangenehm ist, da fragt er mich ohne Vorwarnung.
》Hattest du schon mal deinen ersten Kuss?《
Mir stockt der Atem.
Hat er das gerade wirklich gefragt?
Ich hab das jetzt echt nicht kommen sehen.
Wie von automatisch sage ich:
》Nein...《
Er guckt mich mit einem intensiven Blick an, doch sein Blick fällt von meinen Augen zu meinen Mund.
Gerade als ich dachte, das er zu einem Kuss ansetzt, steht er blitzschnell auf und geht zu Tür rüber.
》Na dann, vielen Dank für deinen Besuch, du bist jederzeit willkommen.《, und mit diesen Worten deutet er auf die Tür.
Ist das gerade wirklich sein Ernst?!
Verwundert und ein bisschen enttäuscht gucke ich auf meine Hände runter.
Ich versuche mich zusammen zu reißen, nehme mir meine Tasche und den leeren Topf, und gehe anschließend zur Tür.
Ich mache im Türrahmen halt und gucke ihn aus fassungslosen Augen an.
》Ok... na dann...schönen Tag noch und ruf mich an, falls du was brauchst.《
》Ja mach ich, bis morgen.《
》Bye.《
Er macht die Tür zu und ich bleibe wie angewurzelt stehen.
In mir tobt ein einziges Chaos.
Ich bin einerseits erleichtert darüber, dass er mich nicht geküsst hat, aber gleichzeitig bin ich auch so enttäuscht.
Wie geht das überhaupt?
Eine ganze Weile bleibe ich nur reglos stehen, bis ich mich von seiner Tür entferne und mich, in Gedanken versunken, auf mein Zimmer begebe.

A beautiful Nightmare  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt