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                                                                 Kennt ihr Weggefährten?

Das sind Menschen, die dich auf deinem Lebensweg ein Stück weit begleiten.

Manche gehen nur wenige Stunden mit dir, andere jahrelang.

Viele Gesichter verblassen, einige willst du vergessen.

Doch hin und wieder nimmt dich einer bei der Hand, berührt dein Herz

und bleibt allezeit in deinen Gedanken.

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Falsche Freunde

Was für ein Meisterwerk! Mein Schloss war gigantisch. Es hatte drei Türme und rundherum schlängelte sich ein Graben mit Wasser. Darüber führte eine Brücke zum Eingang.

Meine Wangen brannten so heiß wie der Sand, jetzt bloß keinen Fehler machen. Noch ein paar Gänseblümchen darüber und fertig war das Kunstwerk. Ich klatschte in die Hände und rubbelte die klebrige Masse ab. Die anderen würden Augen machen. Ich war die weltallerbeste Sandburgen-Bauerin weit und breit.

Ein Kichern purzelte aus meiner Kehle, weil die Ameisen in meinem Bauch so wild herumkrabbelten. Das Schloss war fantastabulös! Wehe dem, der es zerstörte, das würde Krieg bedeuten.

Ein Scheppern hinter mir. Ich blickte mich um.

Vor dem Haus war niemand, nur mein Fahrrad lag vor der Treppe. Martins Dreirad, Bennis Roller und Mamas Besen standen vor der Tür. Auf der Steintreppe zur Haustüre lagen Annas Turnschuhe.

Mein Blick wanderte die Hauswand hinauf. Einige Fenster standen offen, doch keine Gefahr in Sicht. Auch beim Schuppen und der Garage versteckte sich keiner der Banditen. Nur eine Taube pickte auf dem Boden herum. Ich wendete mich wieder meinem Heiligtum zu.

»Hey, kommst du hoch? Wir sind wieder da!«

Verdammt! Wer war das denn? Ich blickte mich um und sah Susi, meine Nachbarin, auf der Mauer hinter mir stehen. Was wollte die denn jetzt?

Susi schob ihren Kugelbauch nach vorne, wippte auf und ab und grinste, als hätte ihr jemand die Mundwinkel nach oben getackert. Vielleicht würde sie wieder verschwinden, wenn ich sie nicht beachtete. Ich wendete mich ab und drückte eine Blume auf eines der Türmchen.

»Hey, was is? Kommst du jetzt?« Susis Stimme klang wie eine quietschende Tür.

»Nö! Muss fertig bauen«, krähte ich hoch und deutete auf mein Meisterwerk. Dann suchte ich nach einem Stein für das Schloss. Ich beugte mich nach vorne, um genauer zu suchen und strich durch den Sand.

»Jetzt komm schon, Hanna!«, hörte ich Susi krähen. »Biitte! Mir ist langweilig.«

Mir doch egal, dachte ich. Sie könnte warten, bis sie schwarz würde, ich wollte einfach meine Ruhe haben. Letztens hatte sie auch keine Lust gehabt, mit mir zu spielen, als ich bei ihr geklingelt hatte.

Ich drehte mich noch ein Stückchen weiter von ihr weg.

Da passierte es. Plötzlich fuhr ein Stich durch mein Ohr. Ein brennender Schmerz breitete sich aus. Meine Hand tastete danach, wurde warm und eine klebrige Masse rann mir über die Finger. Ich fuhr über die Stelle. Was war das? Mir wurde schwindelig. Dann überrollte mich die Übelkeit. Ich hatte einen Kreisel im Kopf und mein Ohr fühlte sich an, als wäre mir jemand mit dem Bügeleisen drübergefahren.

Susi stand immer noch auf der Mauer und grinste, die Arme in die Seiten gestemmt. Warum lachte sie so blöd? Ich suchte weiter und dann sah ich ihn. Den Stein. Er lag neben mir − groß und kantig. Wo war der hergekommen? So ein Brocken war vorher nicht da gelegen und Steine fliegen nicht von allein.

In mir tobten Schmerzen, nicht nur im Ohr, auch in meiner Brust. Ein Ungeheuer erwachte in meinem Körper, ich kniff meine Augen zusammen und ballte die Fäuste. Dann ließ ich los und schrie alles heraus. Eine Wasserbombe platzte in meinem Bauch. Ich wollte Susi von ihrer doofen Mauer herunterbrüllen.

Da packte mich etwas von hinten an den Schultern und schüttelte mich.

»Hör auf zu schreien, Hanna! Was ist denn los?« Ihr Blick wanderte zu meinem Ohr. »Oh mein Gott, du blutest ja?«

Ich spiegelte mich in den Pupillen meiner Mutter, so groß waren sie. Wie glänzende Murmeln. Dann nahm sie mich in die Arme. »Schsch, beruhig dich doch. Alles ist gut ...«

Sie streichelte meinen Rücken, aber ich konnte mich nicht beruhigen. Mein Ohr brannte wie Feuer und meine Wut kochte wieder hoch. Ich drehte mich um und wollte Susi erneut anschreien − doch die Mauer war leer.

KastanienherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt