Von Drachen tötenden Prinzessinnen und Ziegen

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Die junge Frau, der Hexer und der Barde hatten bereits die große Brücke von Oxenfurt überquert und bald schon mussten sie feststellen, dass der Boden abseits des gefestigten Weges immer sumpfiger wurde. Ein feuchter Nebelschleier überzog das Land. Dieser mag der abendlichen Stunde geschuldet sein, doch Aranea wusste, dass der grün-gräuliche Anblick sie auch am helllichten Tag erwarten sollte.

Velen war ein trostloses Land. Angrenzend an das Königreich Redanien und verbunden mit der freien Stadt Novigrad sowie mit der Stadt Oxenfurt, galt die temerische Provinz als wichtiger Handelsdurchgang. Doch abseits dieser Handelsroute war es das Niemandsland. Wer nicht hart arbeitete, verhungerte. Wer nicht Acht gab, wurde von Wölfen oder schlimmerem getötet. Und dort, wo Velen nicht vom Küstengebiet oder vom Flussufer des Pontars geprägt war, erstreckten sich freie Flächen, die sich nur dürftig für den Ackerbau eigneten, hagere Wälder und Sumpfgebiete. Viele Sumpfgebiete.

Aranea erinnerte sich noch gut an die morastigen Schuhe, die nass-kalten Socken und den ebenso nassen Saum des Kleides ihres jüngeren Ichs, wenn dieses vom Spielen nach Hause kam. Und daran, wie langweilig die Gegend mit zunehmenden Alter wurde; als die Phantasie eines Kindes der nüchternen Feststellung eines Jugendlichen weichen musste, dass man schon alles gesehen hatte und das Leben hier keine Überraschungen für einen bereithielt. Bei diesem Gedanken musste sie ein wenig über sich schmunzeln, denn jetzt - fast ein Jahrzehnt später - war sie dem törichten Gerede eines heranwachsenden Mädchens überlegen und wusste, dass sie es eigentlich gut hatte.

Ihr Blick wanderte ziellos durch die Botanik, streifte den Hexer und blieb einen Moment lang an diesen haften. Die letzten Worte, die sie miteinander gewechselt hatten, drehten sich um die Reisedauer und lagen auch bereits eine Zeit lang zurück. Es bedarf ihr ebenso wenig an Konversation, wie ihm.

Dennoch wunderte sie es, dass er sich nicht mehr nach den Umständen seines neuen Auftrages erkundigte. Vielleicht galten Schattenkreaturen auch einfach als solch eine Standartprozedur für Hexer, dass er gar keine weiteren Informationen benötigte.

Oder eben nicht... Und Aranea war kurz davor folgendes auszusprechen: »Wisst Ihr Geralt, ich bin nicht auf den Kopf gefallen.

Diesen Kommentar hätte er wahrscheinlich unerwidert stehen lassen, vielleicht hätte er ein Brummen von sich gegeben oder wenn er wirklich höflich sein wollte, hätte er etwas gesagt wie: »Nein, so wirkt Ihr auch nicht.« Aber eher nicht, warum hätte er ihr schmeicheln wollen. Vermutlich hätte sie einfach nach kurzem Schweigen weitersprechen müssen.

»Ihr seid der Überzeugung, dass es einzig und allein Hirngespinste sind, die mich verfolgen und habt letztlich nur wegen Eures Freundes oder eher wegen des leichten Geldes zugestimmt.«

Geralt hätte vielleicht zu ihr rüber geschaut, geschmunzelt, weil sie ihn durchschaute. Oder weil ihn ihr Misstrauen paranoid erschien und amüsierte. Sie konnte den dunklen Klang seiner Stimme förmlich hören, wie sie ihr mit an Süffisanz grenzender Seelenruhe zugeredet hätte: »Macht das einen Unterschied?«

Aranea hätte Luft geholt, um zu protestieren, weil diese Antwort nicht zufriedenstellend war. Sie verriet nämlich nichts über seine Absichten oder darüber, was er dachte. Dann aber, wenn sie sich seiner Worte gewahr würde, hätte sie innegehalten und festgestellt, dass er recht hatte.

»Alles in Ordnung?« Es war Geralt, der sie just aus ihren Grübeleien riss. Nun erst begriff die junge Frau, dass sie ihn während ihres surrealen Dialogs über angestarrt hatte. Unangenehm berührt räusperte sie sich.

»Ich habe mich nur etwas gefragt.«

»Sprecht Euch ruhig aus«, erwiderte er.

Aranea wich in eine rhetorische Pause aus, welche sie nutzte, um ihre nächsten Worte zu überdenken. Jedoch kam sie schnell zu dem Entschluss, dass es wahrlich keinen Unterschied machte. So oder so - sie waren hier. Also sei's drum.

𝓕𝓮𝓻𝓷𝓪𝓫 𝓭𝓮𝓼 𝓛𝓲𝓬𝓱𝓽𝓼 || 𝖳𝗁𝖾 𝖶𝗂𝗍𝖼𝗁𝖾𝗋 𝖥𝖥Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt