Tsuzuku: Abgründe und Sonnenstrahlen

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[Zwei Wochen später]

Manchmal hatte ich schwarze Tage. Oder, besser gesagt, Tage, die noch schwärzer waren, als es für mich in meiner ständigen Depression fast schon normal war. Tage, an denen ich morgens zitternd aus einem Albtraum erwachte und einfach nur noch sterben wollte. An denen ich nicht, wirklich nicht, wusste, warum ich überhaupt noch am Leben war.

So ein Tag war heute, an diesem Morgen.

Ich erwachte aus einem von Schmerz durchdrungenen Traum und blieb darin hängen, konnte gefühlte Stunden lang (vielleicht waren es in Wirklichkeit nur zehn Minuten) nicht unterscheiden, ob das, was ich sah und fühlte, Traum oder Realität war. Ich hatte von meiner Mama geträumt, wirre, schmerzhafte Szenen, von denen ich nicht wusste, ob sie Erinnerung oder Erfindung waren.

Langsam wurde ich wacher, aber der Gedanke an Mama blieb in meinem Kopf hängen, ich fühlte die dunkle Schwere noch stärker als sonst.

Ich vermisste sie unsäglich, und meine Schuld wog ebenso schwer, drückte mich so sehr nieder, dass mein Körper sich wie gelähmt und bleischwer anfühlte. Ich sah, dass meine Hände zitterten, noch bevor ich es überhaupt spürte.

„Warum ... warum bin ich noch hier?", kam es mir über die Lippen. „Ich versteh's nicht ... was soll das, leben? Wozu lebt man?"

Jede kleine Bewegung war schwer, ein Kraftakt, ich hatte fast das Gefühl, mein Körper und ich seien keine ganze Einheit mehr. Es machte mir Angst, irgendwo, und zugleich war es mir so seltsam egal.

Ich kämpfte mich hoch, zumindest ins Sitzen, und griff in das Seitenfach meiner schwarzen Tasche, wo sich, wie ich wusste, mein Messer versteckte. Das kühle, harte Metall unter meinen Fingern beruhigte und entspannte mich sofort, ich schloss meine Hand um das eingeklappte Messer und zog es aus der Tasche, konnte endlich wieder atmen und mich bewegen.

Während ich den Reißverschluss meines Schlafsacks bis zu meinen Füßen runterzog und die Decke beiseite schlug, hörte ich mich selbst laut atmen, und als ich meine Knie anzog und das linke Bein meiner Jeans hochkrempelte, spürte ich meinen eigenen Herzschlag.

Ich klappte die Klinge aus, setzte sie an meine Haut und schnitt, einmal, zweimal, viele Male ... Irgendwann fing ich an zu weinen, fuhr mir mit der Hand über die Augen, wischte dann über die Schnitte an meinem Bein, vermischte Blut und Tränen, es brannte und ließ mich erzittern.

Ich zitterte so sehr, dass ich mein Messer nicht mehr halten konnte, es fiel mir aus der Hand auf den Schlafsack, blieb dort liegen. Blut lief in kleinen, dunkelroten Tropfen über mein Bein, und als der erste Tropfen meine Socke erreichte, sprangen mir wiederum heiße Tränen in die Augen. Ich drehte mich um, griff mein Kopfkissen und presste mein Gesicht hinein, erstickte meine eigenen Schluchzer darin, damit mich niemand hörte.

Mein Herz tat weh, und ich sehnte mich danach, dass Meto seine Hand auf meinen Rücken legte. Aber er war nicht da, ich war allein. Ganz allein. Und so weinte ich, verlor irgendwann das Zeitgefühl, weinte und weinte und weinte, bis ich fast vergaß, warum ...

Irgendwann ging die Sonne auf, leuchtete durch die Bäume, blendete mich. Und bald darauf sah ich die ersten Leute in den Park kommen, und meine Nachbarn wachten auch nach und nach auf.

Ich sah, wie Haruna und Hanako ankamen, und Haruna sah mich. Ich muss wohl ziemlich schlimm ausgesehen haben, hatte mein Hosenbein immer noch oben und die blutigen Schnitte waren zu sehen.

„Tsuzuku!", rief Haruna und rannte auf mich zu, kniete sich sofort neben mich und sah mich heftig besorgt an. „Hast du's schon wieder gemacht?"

Ich antwortete nicht, sah sie nur an.

„Du siehst echt beängstigend aus, weißt du das?", fragte sie und kramte dabei in ihrer Tasche. „Ach Mist, ich hab kein Verbandszeug dabei." Sie fand eine kleine Packung Papiertücher und drückte sie mir in die Hand. „Da, wisch zumindest das Blut ein bisschen weg, ja?"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 06, 2020 ⏰

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