Das Blinzelmädchen

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MARIE

Ich wache auf. Es müsste schon Montag sein, aber es ist noch dunkel draußen. Ich überlege, was mich geweckt haben könnte, denn normalerweise wache ich an Schultagen nur 5 Minuten vor dem Wecker auf, aber es ist totenstill im Haus. Irgendwie ist es cool, dass ich als einzige wach bin. Es liegen Abenteuer und Geheimnisse in der Luft.
Ich schleiche zum Fenster und spähe durch den Spalt zwischen den Vorhängen. Der Mond kommt gerade hinter einer Wolke hervor und taucht die Straße, die Häuser und die Bäume in geisterhaftes Licht.
Als ich mich umdrehe und auf meinen Wecker schaue, erkenne ich, dass es kurz nach zwei Uhr nachts ist.
In einem Buch, dass ich mal gelesen habe, kam um drei Uhr nachts ein Riese, der Träume in Einmachgläsern gefangen hat. Wenn ich warte, kann ich ihn vielleicht auch sehen, wie das Mädchen in dem Buch. Das wäre total cool.
Ich beschließe mich auf die Fensterbank zu setzen und zu warten, nur für den Fall, dass es so etwas wie Riesen wirklich gibt.

Ich schlafe schon fast mit dem Gesicht an der Scheibe ein, als ich aus den Augenwinkeln einen Schatten sehe. Es ist kein Riese, dafür ist die Gestalt dort im Dunkeln viel zu klein, aber vielleicht ist es ein Fuchs, oder vielleicht ein Reh, denn es war sehr schnell. Wir wohnen fast direkt am Waldrand und sehen deshalb häufiger Tiere, die sich in die Siedlung verirrt haben und von dem Licht, den Autos und den Gebäuden verwirrt sind.

Ich schaue wieder zu der Gestalt hinüber und kann erkennen, dass sich noch zwei weitere Tiere dazugesellt haben. Sie scheinen orientierungslos und schleichen unruhig im Kreis herum. Ich bekomme Mitleid mit ihnen. Bestimmt haben sie sich verlaufen und finden nicht in der Wald zurück. Los komm Marie, denk nach! Sporne ich mich selbst an. Dir fällt bestimmt etwas ein, wie du ihnen helfen kannst. Ich überlege. Sie werden vor mir weglaufen, wenn sie mich sehen und dann könnte ich sie nicht zum Wald führen. Kurz kommt mir in den Sinn Leckerlies mitzunehmen und sie damit anzulocken, aber ich weiß ja noch nicht einmal was für Tiere es sind, und somit auch nicht, ob sie Käse mögen. Füchse sind glaube ich Fleischfresser und Rehe essen die hellgrünen Spitzen von Tannen. Das weiß ich, weil Bens Mama mal Marmelade daraus gemacht hat, bevor die Rehe alles wegfressen konnten. Das mit dem Essen ist also keine gute Idee, aber wenn sie vor mir wegrennen, kann ich sie in Richtung Wald treiben. Ja, das ist ein toller Plan. Ich muss lächeln. Schnell schnappe ich mir eine Taschenlampe, ziehe Schuhe und Jacke an und verlasse, machdem ich nachgeschaut habe ob die drei Gestalten noch dort herumlaufen, so leise ich kann, das Haus.

So von Nahem sehen die Tiere doch größer aus, als ich erwartet hätte. Es sind eindeutig keine Füchse und für Rehe sind sie nicht dünn genug. Es könnten Wölfe sein.
Ich bewege mich vorsichtig auf sie zu, um sie noch nicht zu erschrecken. Um zum Wald zu kommen müssen sie rechts in die Straße einbiegen,  weshalb ich auf der linken Straßenseite laufe. Die Taschenlampe habe ich noch nicht eingeschaltet. Wenn ich gegenüber der Abzweigung bin und sie genau vor mir sind, schalte ich sie ein, dann werden sie sich erschrecken und in Richtung des Waldes vor mir flüchten.

Das ist zumindest mein Plan, doch plötzlich stößt eines der Wesen ein durchdringendes Heulen aus und richtet seine glühenden Augen auf mich. Ich bin wie gelähmt und kann mich keinen Schritt mehr bewegen. Die beiden anderen richten den Blick ebenfalls auf mich. Mir bleibt das Herz stehen. Das sind keine normalen Wölfe, diese hier sind größer. Ihre langen scharfen Reißzähne sind gefletscht und ihr bösartiges Knurren jagt mir einen Schauer über den Rücken, als sie langsam auf mich zukommen. Meine Hände verkrampfen sich um die Taschenlampe. "Was seid ihr?" ,flüstere ich ängstlich, erhalte als Antwort aber nur ein unterdrücktes Fauchen. Die Wolfsbestien beginnen mich  einzukreisen. Und ich kann erkennen, das einer von ihnen ein weißes Fell hat, während die anderen beiden dunkles Fell haben.
Fieberhaft überlege ich, ob ich noch fliehen kann, aber die Bestien sind mir jetzt so nahe, dass ich sie riechen und ihren heißen Atem im Gesicht spüren kann.

Die Krallen kratzen laut auf dem Aspalt, als der kleinere schwarze Wolf zum Sprung ansetzt. Er schnappt nach meiner Kehle, doch ich kann im letzten Moment ausweichen.
Ich schreie und will weglaufen, da sprigt mich der weiße Wolf von hinten an und wirft mich zu Boden.
Der Aufprall presst die Luft aus meiner Lunge und ein stechender Schmerz durchfährt meine Brust.

Ich will luftholen, aufstehen, um Hilfe schreien, aber schon stürzt sich der Anführer auf mich. Ich versuche seine Klauen und das schnappende Maul mit den Händen auf Abstand zu halten. Die Taschenlampe ist mir aus der Hand gerutscht, als ich hingefallen bin, aber sie liegt außerhalb meiner Reichweite. Ich schreie verzweifelt auf, als meine Arme einknicken und der Schrei verwandelt sich in ein Gurgeln, als das Biest die Zähne in meine Kehle schlägt. Blut füllt meinen Mund und der Schmerz ist so überwältigend, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Ich ertrinke in Schmerzen und meinem eigenen Blut, während die Wölfe ihre Zähne in meinem Fleisch versenken und mich wegschleifen. Ich kann nicht mehr schreien, nicht mehr atmen...

...und dann hört die Welt auf. Die Schmerzen verschwinden und für einen Augenblick bin ich schwerelos.

The Werewolf gameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt