2. Tag: Versammlung

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FREDDY

Das laute Klingeln meines Weckers reißt mich aus dem Schlaf. Ich fühle mich wie gerädert und könnte auf der Stelle wieder einschlafen, aber kaum habe ich es geschafft das nervige Scheppern abzustellen, kommt meine Mutter ins Zimmer. "Steh auf, Frederike! Du bist spät dran!"
Ich werfe einen Blick auf das Zifferblatt des Weckers. Scheiße,sie hat recht! Es ist schon sieben Uhr!
Ich springe aus dem Bett, schnappe mir meine Klamotten und schlittere den Flur in Richtung Badezimmer hinunter. Im Bad rutsche ich, weil ich es so eillig habe, fast auf einem Bademantel aus, den jemand einfach vor der Dusche auf den Boden geworfen hat. Da ich aber keine Zeit zum duschen mehr habe, mache ich kurz eine Katzenwäsche und benutze reichlich Deo.
Danach sprinte ich zurrück in mein Zimmer, schnappe mir alle Schulhefte, stopfe sie in meinen Rucksack und hetze nach unten in die Küche, wo ich meine Brotdose und Trinkflasche ebenfalls einpacke und mir eine Scheibe Brot nehme, die ich unterwegs essen will. Ich bin schon halb zur Tür hinaus, als mir das Notizbuch wieder einfällt. Schnell laufe ich nochmal rein und ziehe es in der Abstellkammer hinter zwei Einmachgläsern mit Gurken hervor, hinter die ich es letzte Nacht noch geistesgegenwärtig gesteckt habe. Mein Vater sieht mich fragend an, als ich aus der Abstellkammer herauskomme, aber ich winke ihm nur zu und mache, dass ich loskomme.

Als ich schwer atmend, aber noch geradeso pünktlich, die Schule  erreiche, habe ich noch keinen Bissen von dem Brot gegessen, das ich mitgenommen habe. Ich musste den ganzen Weg rennen und die anderen sind alle schon längst im Klassenraum. Ich gehe mit schnellen Schritten ebenfalls hinein und lasse mich auf meinen Platz fallen. Erst da fällt mir siedendheiß ein, dass ich die Hausaufgaben immernoch nicht habe, aber dafür ist es jetzt sowieso zu spät, denn unser Deutschlehrer betritt den Raum.

In der Pause sitzt die ganze Clique auf den Steinen am westlichen Rand des Schulgeländes. Die Sonne scheint und es ist ziemlich warm, aber ein großer Baum spendet uns Schatten. Ich hatte Glück. Bis jetzt haben die Lehrer die Hausaufgaben noch nicht kontrolliert, aber man soll den Tag nicht vor der letzten Eule loben, wie Dumbledore sagt.
Ok, was ich vorhin gesagt habe war nicht ganz richtig. Die Clique ist zwar versammelt, allerdings fehlt Marie. Dafür ist Mara wieder mit dabei und sie und Ben werfen sich immerwieder verstohlene Blicke zu. Da habe ich wohl das Liebespaar gefunden. Allerdings ist das echt blöd, weil ich Ben jetzt nicht mehr vertrauen kann. Er spielt mit Mara zusammen und die ist ja ein Werwolf. So ein Mist! Jetzt muss ich mein Notizbuch jemand anderem geben, aber das kann ich ohne weitere Informationen noch nicht.
Da fällt mir ein, was ist eigentlich mit Marie? Ich will gerade fragen, doch Toni kommt mir zuvor. "Hey Lisa, wo ist eigentlich Marie? Ist sie krank?" Er sieht besorgt aus. Ahnt er etwas? "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.", antwortet Lisa, "Ich hab sie heute morgen garnicht gesehen." Sie überlegt kurz. Ich kann erkennen, wie sie zu einer Erkenntnis zu kommen scheint. Sie verzieht das Gesicht und schüttelt den Kopf. "Wahrscheinlich ist sie krank." ,bestätigt sie, sichtlich um einen gleichgültigen Tonfall bemüht. Doch eigentlich dürften wir alle wissen, warum sie nicht da ist. Die Werwölfe haben sie letzte Nacht getötet. Ich muss schwer an mich halten um nicht zu heulen wie ein Schlosshund. Ausgerechnet Marie! Warum nur? Wie konnten die Werwölfe so grausam sein?
"Ist doch gut, dass die kleine Nervensäge nicht da ist. Sagt nicht, dass ihr es ernsthaft so schlimm findet, dass sie weg ist." ,feixt Mara und guckt in die Runde. Wir starren sie entgeistert an. Sie müsste es doch eigentlich besser wissen. Meint sie das ernst?
"Was willst du eigentlich?" ,bringt Toni hervor. Er zittert vor Wut. "Du kommst hier an und denkst du wärst was Besseres." Er sieht aus, als würde er sich gleich auf sie stürzen. Das wundert mich. So unausgeglichen ist er sonst eher selten! Olli greift zum Glück ein, bevor Ben sich verteidigen und damit alles noch schlimmer machen kann. Ben ist für Toni irgendwie ein rotes Tuch. Seit wann das so ist und weshalb, weiß ich nicht. Sie gehören trotzdem beide dazu und kommen auch ganz gut klar, weil sie beide seit Langem mit uns anderen befreundet sind.
"Ganz ruhig, Toni." ,beschwichtigt Olli. Er sieht Mara nachdrücklich an. "Ich halte dich für ganz in Ordnung. Entschuldige dich und wir vergessen das Ganze. Aber ich will nie wieder eine doofe Bemerkung von dir hören. Über keinen von uns. Sonst darfst du dir andere Freunde suchen! Klar?" Mara murmelt eine Entschuldigung und rutscht näher an Ben heran. Es klingelt zur nächsten Stunde und unsere Gruppe löst sich auf.
Wir sind nicht alle in der gleichen Klasse und Olli, Mara, Ben und ich haben heute eher Schluss, weshalb wir uns für drei Uhr im Freibad verabreden.

Als ich mittags nach Hause komme, hat Papa gerade den Aufsitzmäher in unserer Einfahrt aufgebockt und fuhrwerkt laut an ihm herum. "Was machst du da?" ,rufe ich ihm zu. "Wonach siehts denn aus?" ,fragt er zurrück. "Du hast wieder einen von Mamas Rosenbüschen überfahren und der hat Rache geübt, indem er den einen Reifen zerstochen hat." ,mutmaße ich. Papa sieht mich verblüfft an. "Reine Schlussfolgerung. Ich bin an dem Busch vorbeigekommen, sieht echt übel aus!" ,erkläre ich ihm auf seinen überraschten Gesichtsausdruck hin. Er sieht zum Schreien komisch aus! Kichernd gehe ich rein, um etwas zum Mittag zu essen und meine Schwimmsachen in den Leinenbeutel zu packen, den ich seit ich denken kann immer mit ins Freibad nehme, es sei denn ich leihe mir was von Lisa oder Lilith.

Ich komme kurz nach der vereinbarten Uhrzeit am Freibad an. Es hat etwas länger gedauert, dafür habe ich heute die Hausaufgaben tatsächlich schon erledigt. Die anderen sind bereits da. Sie haben sich schon an der selben Stelle wie gestern breitgemacht, aber es sieht so aus, als wollten sie noch nicht ins Wasser. Die Stimmung ist gedrückt. Selbst Lisa kann sich nicht auf ihr Buch konzentrieren, obwohl sie sonst immer so versunken in die Geschichten ist, dass man sie dreimal ansprechen muss, bis sie reagiert.
Olli blickt uns ernst an. Wenn wir eine Bande wären, dann wäre Olli unser Anführer. Er besitzt eine natürliche Autorität, weshalb er auch unsere Streits immer sehr schnell schlichten kann, allerdings ist die Situation gerade auch für ihn ungewohnt. Wir alle warten nur darauf, dass etwas passiert, wissen aber gleichzeitig, dass es wahrscheinlich nichts Gutes sein wird.
Als es gerade richtig ungemütlich zu werden beginnt, melden sich plötzlich alle unsere Handys gleichzeitig. Wir schauen auf die Nachricht des Spielleiters.

Da das 'Dorf ' nun so schön versammelt ist, stimmt ihr jetzt ab, wer sterben soll. Das Urteil wird durch den Tod am Galgen vollstreckt, allerdings muss das Opfer die Mehrheit der Stimmen haben und jeder hat nur eine Stimme.
Also, nicht den Kopf verlieren!

Ich bin geschockt. Ich weiß nicht genau, was ich erwartet habe, aber dass ist eindeutig zu viel. Ich blicke meine Freunde an. Einer von uns muss heute umgebracht werden. Und die anderen werden zu seinen Henkern. Mir wird schlecht. Für Lilith muss das hier am grausamsten sein. Sie kann es schon nicht ab, wenn sich jemand streitet. Olli hingegen versucht sich nichts anmerken zu lassen. Er hat eine undurchdringliche Miene aufgesetzt und nickt entschlossen. "Okay, das hier wird eine demokratische Abstimmung. Es gibt keine Enthaltungen." Er macht eine kurze Pause. "Wer wird verdächtigt ein Werwolf zu sein?" Lilith schnappt entsetzt nach Luft und Lisa blickt ihn entgeistert an. "Du willst das wirklich durchziehen?" ,fragt sie ungläubig. "So, wie es aussieht, haben wir keine andere Wahl." ,wirft Ben ein. Und in diesem Punkt muss ich ihm leider Recht geben. Uns bleibt nichts anderes übrig, als mitzuspielen, bis wir genug Informationen haben, um den Spielleiter zu überlisten. Ich weiß aber nicht, wie ich das den anderen begreiflich machen soll. "Gib es zu, du hast einfach Spaß daran, Leute sterben zu sehen!" ,beginnt Toni Ben zu beschuldigen. Man, was hat der denn heute? Ben reißt den Mund auf um sich zu verteidigen, aber Olli geht dazwischen. "Hört gefälligst damit auf, euch gegenseitig irgendwas zu unterstellen!" Er wirft vor allem Toni wütende Blicke zu. Lilith verzieht das Gesicht, Mara blickt abwesend zur Seite und Lisa ist immernoch mit der Verarbeitung der Situation beschäftigt. Alle schweigen.
"Ben hat recht!" ,unterbreche ich die angespannte Stille, "Wir können nichts tun, außer den Anweisungen Folge leisten, also lasst uns abstimmen."

The Werewolf gameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt