caput octavum- Essen& Ich

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hach, ich war gerade dabei, friedlich an FSoL weiterzuschreiben, da wallte in mir das Bedürfnis auf, hier einen kleinen Eintrag zu verfassen. Klein, auch wenn es viel zu sagen gibt, ich aber müde bin und morgen früh aufstehen muss, habe ich mir doch sinnvollerweise einen Tagesablauf und Struktur selbstauferlegt. Ist gesund, glaubt mir.

Ich möchte vorausschicken: Das hier könnte arg triggern. Okay, bei dem anderen Kapitel habe ich nicht gewarnt, aber es geht hier um mich, Essen und meine Relation dazu, die sich doch in recht kurzer Zeit sehr stark gewandelt hat.
Eigentlich hatte ich geplant, im  gleichen Atemzug noch über Körper und körperliche Nähe zu sinnieren, das verschiebe ich aber auf einen zweiten Teil.

Vielleicht ist es bekannt, aber ich habe im Herbst bzw. Winter 2018 beschlossen, meinem unglücklichen Dasein ein Ende zu setzen. Wie ihr aus vergangenen Kapitel vielleicht herauslesen konntet, bin ich nicht der fröhlichste Mensch und ich sage euch eins, heute bin ich gegen früher ein Honigkuchenpferd.
Ich will niemanden für sein Gewicht und seine Gewohnheiten judgen. Vielleicht wäre alles anders gelaufen, wäre die Gesellschaft nicht so und so gepolt auf bestimmte Schönheitsideale, aber im Endeffekt muss jeder sein eigenes Päckchen tragen.

Ich war nie dick. Eher pummelig. Und das hat auch erst mit meinem Eintritt in die Grundschule begonnen. Lange, lange Zeit hat es mich nicht gestört und ich habe weiter Waffeln mit Nutella gefrühstückt. Irgendwann, es war ein Prozess mit mehreren auslösenden Situationen, ist mir langsam bewusst geworden, dass ich anders aussehe als andere Kinder in meinem Alter. Also es gab nicht den Punkt, an dem ich gemerkt habe: Ups, ich bin aber pummelig. Meh.
Eher war es ein schleichender Prozess der Selbstreflektion, hier ein Spiegel, hier ein T-Shirt, dass an mir einfach anders aussah. Seltsam. Und wenn du findest, dass du seltsam aussiehst, dann guckst du dich so oft an, bis dir auffällt, was dich stört. Und als mir klar war, dass ich einfach etwas kräftiger war, habe ich es schulterzuckend zur Kenntnis genommen.
Ich will weiter essen und ich bin halt so. Das ist mein Körperbau, ich muss nichts ändern.
Aber es hat mich irgendwann gestört. Mich hat gestört, wie viel ich gegessen habe, wie ich aussah, am meisten hat mich beeinflusst, welche Kleider ich nicht anziehen konnte. Trotz meiner sich langsam entwickelnden und verstärkenden Unzufriedenheit habe ich es als gottgegeben angesehen und einfach akzeptiert, was ich alles nicht tragen konnte. Hab einen Tunnelblick entwickelt. Auch was Sport angeht. Ich dachte: Du bist pummelig, also kannst du keinen Sport machen, du kannst es eh nicht, also macht es auch keinen Spaß. Wieso versuchen? Ich bin dein innerer Schweinehund und du überwindest mich nicht.

Und das habe ich nicht. Lange, lange Zeit. Ich wechselte die Schule und immer häufiger rieben mir Menschen oder Situationen unter die Nase, dass ich ein Handycap habe.
Grober Unfug! Im Gegensatz zu Blindheit o.ä. ist Einschränkung durch Körpermasse Definitionssache. Aber ich habe mich in die Rolle pressen lassen und sie angenommen, ich war doch schon gut vorgeformt. Es war ein Teil von mir, so habe ich mich identifiziert. Ein bisschen wie Justus Jonas von den drei Fragezeichen- gut in Wissensfragen, aber pummelig und einfach unsportlich. Es gibt so oft diesen Stereotypen und ich habe ihn nicht hinterfragt!
Ich habe Neid entwickelt und riesige (Minderwertigkeits)komplexe.

Irgendwann war Schluss. Mein Aussehen war Zielscheibe für neidische, asoziale Mitmenschen geworden; mein Gewicht zum Grund für meine Unglücklichkeit. Ich trete zwar offen auf, nur nicht bei Menschen, die ich wirklich beeindrucken will und so stellte ich mich selbst in den Schatten, während ich einen enormen Selbsthass entwickelte, der sich gebündelt gegen mein Äußeres richtete. Mehrere Versuche, es zu ändern, halbe Sachen, wenig essen, Inkonsequenz, Ungeduld, mein ach so toller Perfektionismus. Alles gescheitert.
Bis ich die Sache wirklich angepackt, meine Ernährung, mein Verhalten, alles umgestellt habe. Peu à peu, aber kontinuierlich. Um mich vor Enttäuschung und Desillusionierung zu schützen, hielt ich mich über Monate von einer Waage fern und das war mein Glück. Ich erwarte von mir selbst, immer umgehend perfekte Ziele zu erreichen, aber bei Gewichtsverlust gilt, und zwar bei jedem, dass das Zeit und Geduld braucht und nicht gerade hinab geht sondern auch mal hoch, mal stagniert usw, ihr wisst es (hoffentlich).
Nun ja, lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe mein Körpergewicht um bis zu 12 kg reduziert und das alleine durch Sport und bewusste Ernährung. Zumindest dachte ich das.
Durch das Internet habe ich besonders in den letzten Monaten erfahren, dass ich vieles falsch gemacht habe und schneller größere Ziele hätte erreichen können. Das hat mich deprimiert und zwar nicht wenig.
Zudem kommt, dass die Abnehmerei nicht die Heilsbringung war, wie ich die ganze Zeit gehofft hatte. Ich hatte immer als Ziel: Wenn du abgenommen hast, sagen wir 10kg, bist du glücklich, zufrieden, selbstbewusst und bekommst einen Typen ab. So einfach ist das nicht. Jetzt habe ich 11- 12 (fluktuierend) abgenommen, Muskeln aufgebaut und bin immer noch nicht zufrieden. Mein Selbstbewusstsein und meine Selbstliebe vor allem turnt scheinbar noch in Alaska herum und der eine Junge (Mann), der sich scheinbar kurzfristig für mich interessiert hat, hat es sich anders überlegt und mir das auch auf sehr unnette Weise beigebracht (bzw gar nicht, juhu! <3).
Das war so ein herber Schlag.

Und dann die Zahlen. Die Kalorien. Ich zähle sie mit, muss mich zwingen, nicht alles genau zu tracken, meine Schritte, meine Workouts, meine Literanzahl. Die Zahlen bestimmen meinen Tag, lenken meine Gedanken. Zeitweise ist es so schlimm, dass ich in Gedankenspiralen komme, die mich total an den Boden bringen.
Und das gefällt mir nicht.
Ich wollte eine gesunde Einstellung zu Essen- die habe ich verloren, weil ich gemerkt habe, dass ich, um zumindest annähernd so gut wie andere zu sein, drastischere Maßnahmen ergreifen muss. Und das habe ich bis jetzt in keiner Facette meines Lebens geschafft (in denen, in denen meine echten Begabungen liegen, strenge ich mich nicht an, da werkele ich so rum). Weder beim Zeichnen, noch beim Musizieren, beim Sport nicht und auch nicht beim Körperkult. Und das beutelt mich ziemlich.
Zum Glück lenke ich mich viel ab und so kann ich einige Dinge abwenden, aber nicht alles und meine Selbstliebe kommt so auch nicht von alleine.

Trotzdem habe ich Essenskomplexe und Aussehenskomplexe entwickelt:
Ich hasse es, mit anderen Menschen zu essen (außer Mutti, Papi und vielleicht zwei, drei Freunde). Ich schäme mich für die Art, das Tempo, die Mengen, wie ich esse. Wie das passiert ist, wäre zu lange zu erklären.
Am schlimmsten ist es vor Menschen, die ich beeindrucken will, die ich als eventuelle Partner oder Feinde ansehe. Aus Angst, es könnte zur Zielscheibe werden.
Außerdem hasse ich es, wenn ich mit jemandem unterwegs bin und Hunger habe und man sich verständigt, dass man nun speisen will, wenn der/diejenige dann nichts isst. Ich esse sich nicht alleine etwas!
Und überhaupt, ich darf nicht mehr essen als die andere Person, sonst fühle ich mich hundselend.

Eigentlich muss ich stolz sein auf das, was ich geleistet habe. 15 Jahre futtern lassen sich nicht ganz in eineinhalb Jahren runterkriegen, zumindest nicht ohne Hungern.
Lebensumstellungen brauchen Studien zufolge mehrere Monate, also bin ich auf dem rechten Weg. Ich sehe viel besser aus, fühle mich besser in meinem Körper und bin auch um einiges gesünder.
Meine Bitte an euch: Ändert euch nur für euch selbst und nie für andere, ihr geht daran kaputt. Vergleicht euch nicht so oft mit anderen, das macht euch kaputt.
Geht euren Weg, gerne mit Unterstützung von treuen Seelen, sonst macht ihr selbst euch kaputt. Mit Lethargie oder mit ungesundem Ehrgeiz oder am schlimmsten: beides phasenweise. Versucht euch objektiver zu sehen und reflektiert im Ganzen, also auch über alles Positive.
Und wenn es euch schlecht geht, lest diesen Abschnitt wieder und werdet euch dessen bewusst.

Das habe ich nicht gemacht und mache es viel zu selten. Aber ich arbeite daran. Denn wenn ich eine Sache gelernt habe: Selbstliebe muss man sich beibringen und sie sich erarbeiten, die kommt nicht einfach so, nur weil man ein Ziel erreicht hat, denn am Ende des Tages ist der Weg das Ziel und eure Gesunheit, Zeit und Glücklichkeit zählt.

Gebt auf euch (und eure Mitmenschen!) Acht! <3

Hoffen- sterchen (Blog) || ✏️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt