caput tertium - Selbstfindungsphase

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Guten Abend geschätzte Leserin, geschätzter Leser, alle künstlichen Intelligenzen, liebe außerirdische Lebensformen!

Ich befinde mich auf Abraten eines Anwaltes in einer Selbstfindungsphase.
Okay, das mit dem Anwalt war geflunkert. Aber wenn es einen gäbe, hätte er mir sicher abgeraten. Ich fühle mich etwas verloren in der großen, weiten Welt und kompensiere das Gefühl der Einsamkeit mit diesen Dingen, die Teenagermädchen immer nachgesagt werden, dass sie sie tun. Zumindest versuche ich einfach alles (un)mögliche, um herauszufinden, wer oder was das hier ist, ob mein Geist und mein Körper zusammengehören, ob ich wirklich nur dadurch bin, dass ich denke. Oho, gewagt, wird sich der ein oder andere denken. Dem kann ich nur ein schlichtes "Nein" trotzig entgegenhauen; erst einmal einfach aus Prinzip. Im zweiten Step wird man erkennen, dass das für meinen "Zustand" obligate "nein" sogar Sinn ergibt, denn: Ich rede einfach nur Müll und habe keine Ahnung, was ich mit mir anfangen soll. Ich denke, das Gefühl der Leere, des Verlorenseins im Kosmos, das Umherströmen meiner gehaltvollen Gedanken, die ich hier für die Nachwelt festhalte, schlicht und ergreifend von meiner Beschäftigungslosigkeit herrührt. Ich bin "au chômage", wie der Franzose sagen würde, ein unbeschäftigter Mensch, gelangweilt.
Gebt mir Arbeit und Stress, ich bin durch die Schule dazu konditioniert, zu leiden! Nicht Brot und Spiele, Brot und Hiebe verlangt das Volk, wenn es wahrhaftig beschäftigt sein will und auch ja nicht auf die Idee kommt, dass man mal etwas neues probieren sollte.
(Bei mir wäre letzteres sowieso mal von Nöten, aber dazu vielleicht ein andermal.)
Ich bin vor den Halbjahreszeugnissen, also doch nicht "au chômage". Verdammt.
Diese Schulwochen, die sich dahinstrecken, in denen man sich zum Gelände der Edukation nur so hinquält, die Stunden siechen wie mein trüber Verstand, der ohne Druck von anstehenden Arbeiten gar nicht einsehen kann, zuzuhören. Es ist ein Gräuel: Ich will mich nicht langweilen, muss aber in die Schule. Direkte Lösung wäre: Zuhören und Mitarbeiten, wie sonst auch; es handelt sich nunmehr nicht um die letzten Wochen vor Schuljahresende, in denen man schwitzend und Karten spielend draußen sitzt und wirklich nichts mehr zählt, sondern der Stoff ist RELEVANT.
Nur wie erwähnt, ich bin perfekt konditioniert- brauche den Stress und das Damoklesschwert über mir, um meine Leistung zu erbringen. ( eine Ausführung über meine Konditionierung schreibe ich wahrscheinlich ein andermal auf.)

Und in der Langeweile, die hier entsteht, in der Lethargie, die meinen Körper durchfließt, enststehen Nutzlosigkeit, Weltschmerz, Heuleritis und vor allem dumme Ideen. Typisch Teenager, wie ich bereits sagte. Nun erwartet man doch von einem Teenager in der Findungsphase, dass er sich mit neuen Kleidern eindeckt (nicht gut fürs Klima und zu teuer), dass er sich die Haare schneidet und/oder färbt (wieso sollte ich das meinen Haaren antun), sich meinetwegen ein Tattoo sticht (OH MEIN GOTT!!!!) oder zumindest sich besinnungslos trinkt (mein Gewicht, meine Leber!). Nun ja, an den absolut unauffälligen Klammersätzen kann man erkennen, dass ich ein sehr langweiliger Mensch bin. Ich bin zu vorsichtig, zu vernünftig, zu langsam, zu unfähig, schnell genug Entscheidungen zu treffen, zu informiert, zu Streber halt.
Und das geht mir selbst manchmal echt auf den Sack. Ähem, die Eierstöcke. Entschuldigung.
Nun gut, schön, dass du uns das erzählst, werdet ihr sicher denken, aber was ist denn dann jetzt Merkmal deiner als selbige identifizierte Selbstfindungsphase?
Nun ja, meine Freunde, ich dachte, es ist eine gute Idee sich im tiefsten Winter sehr markante Sommersprossen mit Henna zu machen. Nun ja, ich finde, es steht mir sogar ein wenig.

Zusätzlich zu der ganzen Misere kommt auch noch, dass man mich Komplex-Autismus-Kind in eine völlig unbekannte Situation geworfen hat. Mit "man" meine ich Gott, das Schicksal oder deine Mudda, je nachdem, an was du glaubst.
Und mit Situation meine ich, dass sich, nach anlaufenden Studien meinerseits, ein XY-Chromosomträger das erste mal ernsthaft für mich interessiert. Halleluja, gunnacht Kat, mein lieber Herr Jesangsverein, ach du liebe Güte, wie auch immer du dazu sagen willst: Ja, der Ausdruck trifft es sehr gut.
Das Schlimmste ist, dass ich auch Interesse habe und nun mein Leben, wo ich keine Verpflichtungen außer das werktägige Aufstehen und mich unter Leute Quälen, sich absolut nur noch um genau zwei Personen dreht: Um mich selbst und um den jungen Herren.
In gewisser Weise sollte ich froh sein, denn hier schließt sich der Kreis: Ich habe wieder ein Damoklesschwert über mir. Und wieder ist die Angst vor Versagen das, was dieses Kackschwert, das immer als Metapher benutzt wird (ich mag die Metapher eigentlich), darstellt.
Nur mein Problem jetzt: Für 'ne Mathearbeit kann man lernen, Männer verstehen kann keiner.

Einen schönen Abend (Morgen/Mittag) noch.

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