New York [part 1]

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Ich blinzle. Orangenes Licht fällt durch das kleine Fenster neben mir auf meine Beine, die ich aus Gründen des Komforts wie im Schneidersitz auf dem Sitz liegen hatte. Auf meinem rechten Oberschenkel lag die Hand meines wundervollen Freundes, an den ich mich, während des Schlafens herangekuschelt hatte. Ich versuchte mich zu strecken, soweit es mir bei dem begrenzten Platz möglich war. Als ich mich endlich richtig aufgerichtet hatte, sah ich herüber zu Timo, der mich lächelnd anschaute und seine Kopfhörer aus den Ohren nahm. Auch er scheint geschlafen zu haben, denn seine dunklen Locken waren noch verwuschelter als sonst. Als hätte er meinen Blick bemerkt, strich er sich sogleich mit der Hand durch die Haare, um sie zu richten.

„Du siehst auch nicht besser aus.", lachte er und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Ich grinste nur beschämt und tastete nach meinem Dutt, den ich viel weiter unten hängend wiederfand. Ich machte mich gleich daran ihn wieder richten und während ich versuchte alle Haare darin unter zu bekommen, fiel mein Blick auf den kleinen Bildschirm vor Timo. Dort lief stumm ‚Ice Age'. Ich musste schmunzeln. Doch Timo schenkte dem Film keinerlei Beachtung, sondern sah mir mit einem verliebten Lächeln auf den Lippen dabei zu, wie ich mir einen Dutt machte. Es war wirklich süß wie er mich so beobachtete, so glücklich und verliebt. Seine strahlend grünen Augen funkelten im Licht der aufgehenden Sonne.

„Ich liebe dich.", flüsterte er, „ Du bist das schönste Mädchen auf der Welt." Auch beim Sprechen wich ihm das Lächeln nicht aus dem Gesicht. Mein Herz wurde jedes Mal weich, wenn ich diese Worte von ihm hörte. Und während ich noch ein paar Strähnen zurechtzupfte, lehnte ich mich zu ihm herüber, sodass unsere Nasenspitzen sich fast berührten. „Ich liebe dich auch.", hauchte ich ihm entgegen und küsste ihn. Und wie jedes Mal, wenn ich das tat, kribbelte mein Bauch. Genauso wie bei unserem ersten Kuss. Ich legte meinen Kopf auf Timos Schulter und mein Blick fiel auf den Bildschirm vor mir. Darauf war das kleine animierte Flugzeug zu sehen, das unseren derzeitigen Standort anzeigte. Und zu meiner großen Überraschung waren wir schon fast da. Ich fuhr von Timos Schulter hoch und warf einen Blick aus dem Fenster. Doch enttäuscht stellte ich fest, dass nur ein Wolkenmeer getränkt in das orangene Licht der aufgehenden Sonne zu sehen war. Doch auch dieser Anblick war wunderschön. Ich lächelte. Bald würden wir landen und dann fing die schönste Reise meines Lebens an. Und diese durfte ich zu meinem Glück auch noch mit Timo antreten. Dieser griff genau in diesem Moment nach meiner Hand, lehnte sich zu mir herüber und sah über meine Schulter hinweg ebenfalls aus dem Fenster.

„Schade... Man kann ja wirklich gar nichts sehen.", fiel ihm ebenfalls enttäuscht auf. „Ja leider.", erwiderte ich, „Ohne diese ganzen Wolken müsste man zumindest schon die ersten Hochhäuser sehen können." Ich sah zu, wie die Wolken, wie ein Teppich unter uns hinweg glitten. „Aber dieser Ausblick ist ja auch ganz schön.", fügte ich hinzu und seufzte. Die weichen Konturen der Wolken und die Art wie sie das grelle, orange Licht in sich aufnahmen, verbreitete eine innere Ruhe in mir. Ohne das laute Rauschen der Triebwerke, hätte ich dem Treiben ewig zusehen können. Als ich noch gerade den Moment genoss und versuchte die Geräusche um mich herum auszublenden, riss mich die ruhige Stimme der Stewardess aus meinen Gedanken.

„Meine Damen und Herren, wir befinden uns jetzt unmittelbar vor der Ostküste. Leider versperrt uns die dichte Wolkendecke die Sicht auf unser Reiseziel. In New York ist aktuell 5:37 Uhr Ortszeit bei noch kühlen 12°C. Im Laufe des Tages werden heute noch Temperaturen von bis zu 28°C erreicht. Wir setzen also nun zum Landeanflug aufden John F. Kennedy International Airport an. Ich möchte Sie bitten die Toiletten nicht mehr aufzusuchen, sich in den nächsten Minuten auf Ihren Plätzen einzufinden und dieSicherheitsgurte anzulegen. Bitte bringen Sie ihre Sitze in eine aufrechte Position und klappen Sie Ihre Tische hoch. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Landung." Nach dem die Stewardess das eben Gesagte noch einmal auf Englisch wiederholt hatte, brach die Durchsage mit einem Rauschen ab.

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