Blickwinkel

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Die Räume des Holy Lamps leerten sich und Yuki wiegte noch immer ihre Hüften im Takt der Musik und als sie die Musik ausgestellt hatten, da füllte sie den Raum mit Musik. Leander war ihr vor zwei Wochen durch Zufall begegnet als er einige Arbeiten korrigiert und sie sich im Raum geirrt hatte. Yukino war eine bildhübsche japanische Referendarin, eigentlich nicht sein Typ, aber ihre mutige, intelligente Art zog ihn an.
Ihre Hüften brachten ihn um den Verstand und so brachte er sie auch heute nach Hause. Sie reichte ihm immer die Schlüssel wenn sie vor ihrer Tür standen, nicht weil sie etwa zu viel getrunken hatte um selbst die Tür zu öffnen, sondern weil sie das Gefühl genoss, dass er ihr Einlass gebot. Er umarmte sie von hinten. Sie kicherte wie ein kleines Mädchen und schmiegte sich an ihn, als gäbe er ihr Halt.

*

Am nächsten Morgen kam Leander von seinem Schulausflug nach Hause. Drei Tage Barcelona. Manchmal vertiefte er sich so in die Geschichten die er seiner Frau erzählte, dass er vermeintlich in Erinnerungen kramte und sich fragte warum er vergessen hatte, ob er in der Carrer de Rossend Arus oder in der Carrer Parlament zu Abend gegessen hatte, am letzten Freitag Abend.
Als er in seine vertraute Umgebung kam und seine Frau umarmte ließ er den Rest hinter sich. Er betrog sie auch nicht sagte er sich, betrogen werden konnte nur wer sich betrogen fühlte. Nur konnte sie nicht einmal darüber urteilen ob sie sich betrogen fühlen sollte, weil er nicht mit ihr darüber sprach und wenn er dies in seinen Gedanken tat, dann nannte er es Beichte und nicht Aussprache. Sie würde sowieso nicht verstehen, dass er sie nicht betrog, weil er sie nicht liebte und sie nicht sein Glück bedeutete, sondern nur weil er sich den Alltag gerne abwechslungsreich gestaltete und sie ihn mit ihrer Schönheit doch nur öffnete für alles was ihn ästhetisch berührte.
Er ließ sich zum Essen nieder, hörte sich ihre Probleme an und war der fürsorgliche Mann den sie brauchte, dann liebte er sie und wurde angetrieben vom Gefühl der Bestätigung die ihm zu teil geworden war.

*

Heute begann sein Tag erst zur vierten Stunde. Früher hatten sie die Tage nach einem Ausflug immer ganz frei gehabt, heute begann der Unterricht seiner Frau zuliebe gegen Mittag. Sie hasste es wenn er in der Wohnung die Füße nicht still hielt, wenn sie den Boden wischte. Er war noch nicht lange am Rilke-Gymnasium, bisher unterrichte er nur die Mittelstufe, demnächst sollte ein Geschichts-Leistungskurs folgen. Der Umgang mit den Kollegen und der mit den Schülern bereiteten ihm keine Probleme, er war stets aufgeschlossen und bester Laune, nur die kurzen Röcke der Studentinnen an seiner alten Uni vermisste er.
Vor der Schulstunde beobachtete er, wie sich die Jungs kindisch neckten, wenn sie sich gegenseitig vermeintliche Annäherungen an Mädchen zusprachen. Die betroffenen Jungen fuhren sich mit einer Unsicherheit durchs Haar die ihn an jene Unsicherheit erinnerte als er mit Natascha in die Scheune geschlichen war, damals in Polen. Sie war so fertig gebaut gewesen, ihre Formen so formvollendet. Er hatte sich bereits die ganze Zeit, die sie durch den Wald gewandert waren nicht konzentrieren können, besonders nicht wenn sie vor ihm über Wurzeln und Vorsprünge geklettert war und dabei ihre Schenkel unter dem sommerlichen Rock aneinander gestoßen waren.
Er beobachtete auch wie die Mädchen tuschelten und anschließend schamhaft auf ihre Kugelschreiber bissen, während sie leicht erröteten.
Der Moment an dem sich in der Klasse Stille ausbreitete und die großen Augen der Schüler sich auf ihn richteten liebte er besonders. Er liebte die Autorität die er ausstrahlte und die Erwartung dass er zu sprechen begann.

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