Kapitel 19

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• Z A C H A R Y •

Der Mensch hat drei Gesichter. Das Erste offenbarst du der Welt. Das Zweite zeigst du nur deiner Familie und deinen engsten Freunden. Das Dritte kennt außer dir niemand. Und dieses ist das wahrste Abbild deiner Selbst.

Oft verstecke ich jedes Gesicht meinerseits. Lieber verschließe ich mich vor allen. Es ist wie ein Schauspiel. Ich spiele eine Rolle und das so eindrucksvoll, dass man sie als eine reale Person ansieht.

Und doch tritt manchmal auch mein wahres Ich zum Vorschein. Vor allem nach, wenn ich mich selbst stellen musste, ziehe ich mich gerne zurück. Das wissen vor allem meine Kumpels.

Die gestrige Sitzung bei Dr. Huxley hat mich herausgefordert. Ich musste ihm wieder eine Seite von mir zeigen, die ich ungern meinen Mitmenschen präsentiere - die, die mir Sorgen bereitet.

Wie soll ich mit dem Gedanken leben, dass ich meine Familie verletzen werde? Sie sind das einzige, was mir im Leben wertvoll erscheint. Es gibt schon einen bestimmen Grund dahinter, weshalb ich die Menschen, die ich am meisten liebe, anlüge, nur damit sie nicht traurig sind.

Es ist schon eigenartig, wie viel man an einen einzelnen Tag nachdenkt, wenn man eines bedenkt. Nachdenken zerstört dich. Es macht dich kaputt. Du machst dir nur noch Sorgen. Dinge werden schlechter, als sie schon sind. Und trotzdem kann man nicht damit aufhören.

Als ich um die Ecke laufe, sehe ich ein Häufchen Elend auf dem Boden hockend. Seufzend betrachte ich Mr. Campbell, wie er seine Unterlagen aufhebt. Also entweder ist er verdammt tollpatschig oder er macht das absichtlich, um von anderen beachtet zu werden.

"Brauchst du Hilfe, Jonah?", frage ich, als ich mich ihm nähere. Sein Blick ist warnend, als er zu mir aufschaut. "Übertreibe es nicht, Zachary." "Was tue ich denn?", entgegne ich schmunzelnd und gehe in die Knie, um ihm zu helfen. "Das musst du nicht tun." "Lass mich das entscheiden."

Schweigend sammeln wir die einzelnen Blätter ein. Ein wenig amüsiert stelle ich fest, dass er währenddessen versucht, mir nicht zu nahe zu kommen. Doch andererseits spüre ich immer wieder, wie er mich von der Seite mustert.

"Warum bist du eigentlich nicht im Unterricht?", fragt er mich verwundert, nachdem ich ihm seine Papiere gereicht habe. "Freistunde", antworte ich lediglich achselzuckend. "Und was ist mit deinen Freunden?" "Sind wir hier bei 'Quizduell'?" Das wirkt ein wenig zu schnippig, was ich nicht wollte. Doch lässt es meinen Lehrer nun zurückweichen.

In meinem Inneren tut sich etwas, was mich unbehaglich fühlen lässt. In seiner Nähe erkenne ich mich oft nicht selbst. Der junge Mann scheint etwas an sich zu haben, das meine Gewohnheiten über Distanz zu anderen Menschen über Bord wirft. Und ich weiß noch immer nicht, wie ich das handhaben soll.

Was mich aber mehr verwirrt ist, dass ich nichts dagegen zu haben scheine. Es wirkt sogar ein wenig erfrischend, wenn nicht sogar aufregend. Ich kann es nicht beschreiben.

"Was haben Sie vor?" Ich deute auf den Papierstapel in seiner Hand, in der ich unter anderem eine Liste ausmachen konnte. Mit einem Kopfnicken deutet er auf die Schulbibliothek, vor der wir stehen. "Ich wollte nur die Kapazität der Lektüre an unserer Schule überprüfen. Damit ich einen Überblick darüber habe, was ich womöglich bestellen sollte." "Ich helfe Ihnen. So geht es schneller", meine ich und ignoriere seine leisen Proteste, als ich die Tür zur Bücherei aufreiße.

Mit hochrotem Kopf geht er nach kurzem Zögern an mir vorbei. Mit einem kleinen Schmunzeln um die Lippen folge ich ihm hinein und sehe mich um. Es scheinen nicht viele Schüler hier zu sein.

Das liebe ich an der Bibliothek. Sie gehört zu meinen liebsten Rückzugsorten. Kaum jemand würde hier auftauchen, weil sich die meisten Teenager heutzutage nicht mehr für die guten alten Klassiker interessieren.

Bücher.

Dabei sind sie in meinen Augen ein so großer Wegbegleiter.

"Haben Sie bereits eine Auswahl an Werken getroffen?", frage ich ihn leise, als wir auf die Regale zugehen. Die Bibliothekarin lächelt uns freundlich an. Mr. Campbell kramt in dem Chaos der Unterlagen, bis er mir schließlich eine der Listen gibt. Es ist die Lektüre meines Kurses.

"Also 'Romeo und Julia' scheint für mich noch plausibel. Shakespeare gehört einfach dazu. Aber 'Die Päpstin'?", überlege ich ehrlich überrascht. Der Dunkelhaarige beginnt damit, eine Reihe an Büchern durchzugucken, als er antwortet: "In meinen Augen ist dieses Buch ein absolutes Must-Have! Eine starke Protagonistin in einer patriarchalen Gesellschaft, dort muss sie sich ihr Leben lang verstellen, da sie als Frau in dieser Zeit dem Denken und der Bildung nicht nahestehen sollte. Aber sie hatte diesen gewissen Drang danach und hat ihn über den Roman lang verfolgt, auch wenn es einige Opfer brachte. Diese Figur ist einfach bemerkenswert!"

Ich beobachte ihn dabei, als er spricht. Seine Augen leuchten regelrecht, als er erzählt. Man merkt ihm einfach jedes Mal an, wie sehr er genau das, die Literatur, liebt. Sie ist für ihn nicht einfach ein Bestandteil seiner Arbeit, sondern eine wirkliche Leidenschaft.

Dieser Ausdruck in seinen Augen schwindet aber, als er bemerkt, wie intensiv ich ihn mustere. Belustigt sehe ich, wie sich seine Wangen verfärben, bevor er sich abwendet. "Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie am Montag weniger zurückhaltend, Jonah. Verheimlichen Sie etwas?", ziehe ich ihn spielerisch auf, weshalb er mit den Augen rollt.

"Es war definitiv ein Fehler, mit deiner Familie zu essen." "Warum denn das? Wenn Sie wüssten, wie sehr sie Sie lieben-" "Meine Autorität dir gegenüber scheint nicht mehr so stark zu sein." "Das war sie von Anfang an nicht besonders", gebe ich ehrlich zu, während ich hinter ihm herlaufe und ihm zusehe, wie er einzelne Werke durchschaut.

Als er 'Die Welle' in der Hand hält, stocke ich. "Stehen Sie auf Dramen?" Fragend hebt er den Blick. "Das kommt mir bei Ihrer Auswahl zumindest so vor. Das wird immer interessanter mit Ihnen." Aufschnaufend schreibt er etwas in sein Notizbuch. "An mir ist nichts interessant, Zach." "Das sehe ich anders", erwidere ich und behalte ihm dabei im Auge.

Unsere Blicke treffen und verschmelzen regelrecht ineinander, als er mich anschaut. Wir sehen einander einfach nur an, während wir abgeschottet von allen anderen zwischen Büchern stehen. Und da ist es wieder. Dieses Gefühl, das mich mit ihm verbunden fühlt. Nie habe ich es jemals so gespürt wie mit ihm jedes Mal.

Es fühlt sich berauschend an und gleichzeitig verboten.

Meine Füße bewegen sich von ganz alleine zu ihm. Seine Augen weiten sich ein wenig, als ich ihm näher komme und ihn somit zurückdränge. Es ist wie ein Spiel zwischen Jäger und Gejagter. Er versucht, mir zu entkommen, sieht aber gleichzeitig keine große Chance, zu entwichen. Letztendlich sitzt er in der Falle - eingeklemmt zwischen mir und einer Wand.

Verwirrt über das Chaos in mir, versuche ich meine Gedanken zu ordnen. Doch die Worte sprudeln nur so aus mir heraus: "Es ist eigenartig. Du lässt mich Dinge fühlen, die nur schwer in Worte zu fassen sind, Jonah." Erschrocken legt er seine Hand auf meinen Mund und schaut in jede Richtung. "Das kannst du nicht sagen, Zach! Vor allem nicht hier. Die Wände haben ihre Ohren überall."

Doch davon lasse ich mich nicht beirren. Ich nehme seine Hand von mir. "Oft mache ich komplett zu und lasse niemanden an mich ran. Dann ersticke ich an meinen Problemen und schaffe es nicht, darüber zu reden. Daran zerbreche ich so leicht. Aber, naja, wie soll ich es erklären? Es scheint alles so einfacher, wenn ich mit dir darüber rede, Jona-" "Zachary, ich meine es ernst. Hör damit auf!"

Zur Besinnung kommend trete ich zurück, um Raum zwischen uns beide zu schaffen. "Entschuldigung", murmle ich und wende mich ein wenig benommen zum Gehen, werde aber von dem zögernden Mr. Campbell zurückgehalten.

"D-du kannst mir trotzdem helfen. A-also...nur wenn...wenn du willst, natürlich", stottert er, traut sich aber nicht, mich anzuschauen. Das macht ihn schon wieder echt niedlich irgendwie.

Ich kann nicht sagen, was es ist, aber irgendwas macht mich schon regelrecht verrückt nach ihm. Nur kann ich es nicht ganz zuordnen.






So langsam scheint Zachary zutraulicher gegenüber seinen Gefühlen zu werden. Wo soll das nur hinführen?

Vor allem, wie lange würde Jonah ihn von sich stoßen können, wenn er doch genauso fühlt wie Zach?



Meine Lieben, ihr könnt euch nicht vorstellen, ich habe gerade beim Schreiben wirklich mit den Tränen kämpfen müssen, als ich an die Entwicklung der Story gedacht habe...😢

Broken Heart [boyxman] | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt