Für die Frau, die ich liebe

14 3 2
                                    

Jay

Ich weiß ja nicht, wie es ihr gelingt, aber meine Freundin sieht einfach verdammt heiß aus, obwohl sie relativ schlicht angezogen ist. Vielleicht sind es die bunten Flicken auf ihrer Jacke oder die abgewetzten Chucks, mit denen sie auf die Bühne geht, als wäre sie auf dem Weg zur Uni oder in die Stadt. Wahrscheinlich aber ist es einfach ihr unglaubliches Selbstbewusstsein, welches sie sich innerhalb des letzten Jahres aufgebaut hat, das sie so unfassbar sexy macht.

Mit einem lässigen Lächeln und ihrer Gitarre geht sie auf die Bühne, auf der sie mit lautem Jubel und Applaus vom Publikum begrüßt wird. Ich komme nicht drum rum zu bemerken, dass heute Abend wieder auffällig viele Männer ohne Freundin am Arm in den Club gekommen sind, in dem Liv seit einigen Monaten regelmäßig auftritt.
Aber dann mache ich mir wieder bewusst, dass ich derjenige bin, der im Backstage-Bereich auf sie wartet und meine angespannten Schultern lockern sich ein bisschen.
Und dann ist der wieder der Moment. Obwohl 4 Tausend Leute vor ihr stehen, die Liv gerade mit ihrer samtigen Stimme begrüßt, dreht sie sich zu mir und schenkt mir ein Lächeln, das mich all meine Sorgen vergessen lässt und unwillkürlich beginnen meine Mundwinkel ebenfalls zu zucken.
Da oben steht mein Mädchen und lebt ihren Traum. Und ihr Zauber, der mich so an ihr fasziniert, zieht auch alle anderen im Club in ihren Bann, sodass sie an ihren Lippen hängen, als sie den ersten Song anstimmt. Es ist das Lied, das sie mir damals im Garten ihrer Tante vorgespielt hat. Merkwürdig, das spielt sie eigentlich gar nicht mehr auf Konzerten. Aber wie sollte es auch anders sein? Es berührt mich direkt im Herzen. Man, dieses Mädel macht mich zu einem verdammten Softie. Dan wäre enttäuscht von mir. Obwohl...vermutlich würde er mich auslachen und meinen, Liv würde einfach mein wahres Selbst zum Vorschein bringen, woraufhin ich ihn in den Arm boxen würde und er noch mehr lachen würde. Ja...das scheint mir realistischer.

Wie auch immer, jetzt gerade zählt nur meine Freundin, die da oben schon beim ersten Song dafür sorgt, dass der Saal von einem Meer aus Handytaschenlampen erleuchtet wird und alle mitsingen. Ich sehe das Funkeln in Livs Augen, sehe, wie sie das Lächeln aus ihrem Gesicht nicht wegzuwischen ist und ich beginne zu träumen. Davon, wie auch ich meine Träume verwirklichen könnte. Ohne, dass sie dabei diesen Glanz verliert, den ihr das Auftreten vor Publikum verleiht. Schon witzig, wie wir uns verändert haben, wenn ich daran denke, dass ich sie damals bei ihrem Abschlussball förmlich auf die kleine Bühne schupsen musste, weil ihr so schlecht vor Aufregung war, dass sie sich die ganze Zeit an mir festgeklammert hat wie ein Äffchen mit Verlustängsten.
Und wie ihre Stimme so über die Menschenmasse schwebt, sickert eine Erkenntnis zu mir durch, die schon lange in meinem Herzen schlummert, ich aber nicht wahrhaben wollte. Wenn ich meine Wünsche verwirklichen würde, raus aus der Stadt und Fotografien von echten Menschen, Menschen mit Geschichten, nicht diesen Großstadt Robotern, machen würde, würde ein Teil von Liv dafür sterben müssen. Und das könnte ich ihr nie im Leben antun. Dann quäle ich mich lieber durch Blitzlichtgewitter und Interviews, bis mir der letzte Funke Friede verloren geht.
Für die Frau, die ich liebe.

Wenn sie dein Lied spielen-Fang an zu tanzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt