Chapter 8

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Charly

„Bis morgen, Charly!“, rief Greg mir aus dem Auto hinterher und ich ging langsam auf das riesige Haus zu. Geschickt schloss ich das Tor auf, betrat das Gelände und die Haustür wurde von dem Au-Pair geöffnet. Falsch lächelte sie mich an, doch ich donnerte meine Tasche in den Flur und stellte meine Schuhe ordentlich daneben. Aus dem Bereich meiner Eltern kam mir Gestöhne entgegen, doch mittlerweile war es Alltag, weshalb ich es ignorieren konnte und in der Küche Bescheid sagte, dass sie für mich nicht mitkochen mussten, mir war noch immer kotz übel von der Viertel Pizza, welche ich mir zu Mittag reingezwungen hatte, und erst dann verzog ich mich in mein Zimmer und holte meine heilige Gitarre aus dem Versteck im Kleiderschrank. Sanft strich ich über die Seiten, setzte mich aufs Bett und stimmte diese erstmal, bevor ich dann zu dem neuen Song überging. Während des Singens fühlte ich mich frei wie ein Vogel, niemand konnte mir in diesem Moment die Laune verderben, nicht mal meine Eltern mit ihren ganzen sinnlosen Verboten, Regeln und Erwartungen, es war mir alles egal, denn die Musik war das, was ich zum Leben brauchte, durch meine Adern floss Musik, ohne Singen und das Gitarre spielen wäre ich verloren, könnte mich selbst nicht mehr finden. Es war mir egal, wer mich hörte, das einzige, was zählte, war die Musik, das Singen und ich, wir waren eins. Doch dann wurde alles durch das nervige Klopfen an der Tür unterbrochen. „Du sollst zum Essen kommen, Anwesenheitspflicht, jetzt, Charlotte.“

Schnell schob ich die Gitarre unter mein Bett, versteckte die Noten in meinen Schulsachen und sah mich noch einmal prüfend um, bevor ich dem Au-Pair in den riesigen Saal folgte. Links am Ende des riesigen Tisches saß mein Vater, für mich stand ein Stuhl an der Mitte und am rechten Ende saß meine Mutter –  beide mit recht zerzausten Frisuren. „Wieso isst du nicht mit uns, Charlotte? Du weißt genau, dass es unverschämt ist, wieso tust du es dann?!“ Wütend sah sie mich an, doch ich ignorierte ihren Blick und ließ mich auf den für mich vorgesehenen Stuhl nieder. „Ja, es tut mir wirklich leid, aber ich hab schon in der Schule gegessen und hab daher noch keinen Hunger.“ Wie oft hatte ich diese Ausrede schon benutzt, und jedes Mal hatten sie es mir aufs neue abgekauft, es tat schon irgendwie weh, zu wissen, wie wenig sie sich um mich sorgten, aber ich hatte früh gelernt, damit umzugehen. „Schade um das köstliche Essen.“ Ja, wirklich so schade um das arme Essen, das hat ja auch mehr Gefühle als ich, ist klar. Ohne mir einen Blick zu widmen fing er an, zu essen und ich sah augenverdrehend auf den Tisch, wie sehr ich es doch hasste, hier zu sein, für sie das brave Mädchen spielen und mich so anpassen zu müssen, dass ich in ihre Welt passte, die Welt, in die ich eigentlich gar nicht wollte, die ich verabscheute und für so vieles in meinem Leben verantwortlich machte, einfach nur aus Prinzip.

Und vor allem hasste ich es, dass es sie nicht interessierte, wie die Schule war, ob ich mit irgendwem Stress hatte oder so, wenn sie beim Essen sprachen, dann entweder über die Noten oder über meine so sorgfältig geplante Zukunft, wie stolz sie doch auf mich seien –  doch in Wahrheit kannten sie mich gar nicht, sie meinten ein Mädchen zu kennen, das gar nicht existierte, nein, es war alles, was sie glaubten und was mich betraf, Show, nichts davon war echt, aber sie schluckten es und ich tat es weiter, denn sonst würde ich sie nur noch mehr enttäuschen. „Wir sind heute Abend beide außer Haus, ich lass dir was kaltstellen, dann isst du mit den Bedienstenen zusammen, macht dir ja nichts aus, aber denk dran, wechsel kein Wort mit ihnen, außer du brauchst was, denn sie sind minderwertige Menschen, die es nicht verdienen, von einem solch wohlhabenden Menschen wie dir angesprochen zu werden, hast du verstanden?! Und den Fraß, denn sie bekommen, der ist so billig, ich frag mich, wie man sowas überhaupt essen kann, das stinkt ja bis hierhin!“ Wie er ihr auch noch zu stimmen konnte, es war mir echt ein Rätsel, denn zugegeben, ich fand die Pommes eigentlich viel leckerer als das komische Essen, das mir vorgesetzt wurde. Eigentlich ist es ganz simple, sie leben in ihrer eigenen, verwöhnten und absolut perfekten Welt, während ich in der realeren, nicht perfekten und auch mal wirklich grausamen Welt lebe, nur dass die in ihren Augen verboten ist.

Es klingelte und mit dem Nicken meines Vaters stand ich auf und ging zur Tür. Da es erneut klingelte, öffnete ich die Tür und sah die beiden Polizisten verwirrt an. „Sind Ihre Eltern zuhause?“ Fassungslos nickte ich und trat einen Schritt zur Seite, da hörte ich die Stimmen meiner Eltern hinter mir. „Was ist denn hier los? Charlotte, was hast du angestellt?“ Meine Mutter wurde viel schriller als sonst und ich zuckte erschrocken zusammen. „Wir sind nicht wegen ihrer Tochter hier, sondern wegen Ihnen und Ihrem Gatten, ich bitte Sie, mir auf das Revier zu folgen.“ Unsanft krallte sie ihre Fingernägel in meine Schulter und ich verkniff mir ein schmerzhaftes Stöhnen. „Wieso denn?“ Es musste etwas dran sein, wenn mein Vater schon so nachfragte, als ob er es nicht exakt genug wusste. „Verdacht auf Betrug und Bestechung.“ Unsanft wurde ich zur Seite gedrängt und das nächste, was ich wahrnahm, war das Klicken der Handschellen um die Handgelenke meiner Eltern. Ein Polizist, der erst dazugekommen war und der, der nur schweigend dagestanden war, nahmen sie mit, der andere sah mich skeptisch an. „Was machen wir jetzt mit dir? Deine Eltern werden so schnell nicht wiederkommen.“ Schulterzuckend senkte ich meinen Blick, es war mir eigentlich egal. „Maura würde sie bestimmt gerne aufnehmen.“ Erst jetzt bemerkte ich Greg, welcher hinter dem Polizisten stand und mein Mathebuch in der Hand hielt. „Sie ist meine Mutter, Sir, und kennt Charlotte schon ewig, sie würde das bestimmt gerne machen, glauben Sie mir das.“

No Control [Book 1/1D FF]Where stories live. Discover now