Teil 1

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Ich lächelte.
Dieser Samstag, der 10.02.2018, war bis dahin ein Samstag wie jeder andere. Meine Frau war arbeiten, an einer Tankstelle von Freunden und ich fuhr mit meinem Sohn zu meiner Station in Bottrop.
Tiere an ihren Grunz-, Brüll- und Schnaubgeräuschen zu erkennen war unser Spiel auf der Fahrt. Wie Sie sich sicherlich vorstellen können, ist das nachgemachte Schnaub Geräusch eines Pferdes, in den Ohren eines dreijährigen, eine Symphonie an Tönen die ihn so zum Lachen bringen, dass man als Vater sein Glück kaum fassen mag. Ich habe einen Lebensfrohen aufgeweckten Sohn, der unbekümmert seine Kindheit genießen kann.
Ich lächelte. Der Versuch meines Sohnes meine Pferdlaute nachzumachen, brachte mich dann schließlich auch zum Lachen.

Die Einfahrt der Tankstelle liegt direkt an der Hauptstraße. Von der Kreuzung aus befuhr ich, wie jeden Tag, das Gelände der Aral Station auf der Friedrich-Ebert-Str. 113 in Bottrop. Mein Parkplatz liegt auf der anderen Seite der Einfahrt, so dass ich am Gebäude und an den gesamten Zapfsäulen vorbeifuhr.
Und da stand er. Das Auto. Eine Mercedes C-Klasse mit dem Kennzeichen BOT- Y 2017. Unverkennbar. Einprägend. Eindeutig.
Sie müssen wissen, zu diesem Zeitpunkt lagen bereits 2 Schuldanerkenntnisse (Kein Geld dabei und Kunde versichert am nächsten Tag zu bezahlen) und 3 Tankquittungen, als Wegfahrer markiert, im Büro. Alle, laut Kamera, mit genau diesem Auto begangen. Mit diesem Kennzeichen. Mit diesem...
- Ich pausiere hier, da mir als Erzähler, der zu diesem Zeitpunkt die Geschichte kennt, mehrere Worte einfallen für dieses Individuum. Aber das Wort, ganz objektiv gesehen, dass ich zu diesem Zeitpunkt nur kannte war – Kunde. Ja, er war ein Kunde.

September 2001.
Ich fing einen Nebenjob an der BP in Geldern an. Morgens ging ich noch zur Höheren Handelsschule im Bereich Wirtschaft und Verwaltung und fuhr mittags mit dem Fahrrad an die Tankstelle.
Es war ein Job wie jeder andere. Man bekam Aufgaben und erledigte diese Sorgfältig. Für Aufgaben die in den Augen des Arbeitgebers nicht vernünftig erledigt waren, gab es Belehrungen. Ich nutzte diese zum Positiven. Immerhin war mir bewusst, dass die Seele völlig unbeschrieben ist und nur durch Erfahrung beschrieben wird.
Wie jeder andere auch, kann ich mich genau erinnern wo ich am 11.09.2001 war. An der BP Tankstelle in Geldern. Wir hörten die Durchsagen im Radio.
Zwischendurch ging ich meine Aufgaben nach: Unkraut pflücken.
Einige Monate später kam ein neuer Pächter auf die von BP zur STAR umgeflaggten Station, dessen Vorgänge mir immer etwas suspekt waren. Ich hatte zwar zu diesem Zeitpunkt nicht viel Ahnung von den Tätigkeiten hinter dem Vorhang, aber ich wusste, dass nicht alles so ablaufen kann wie es sollte. Dieser Pächter blieb auch nicht lange. Die Pächter die dann kamen, sparten an Personalkosten. Mein Job wurde gestrichen und ich musste mich neu umgucken. Meine Mutter zeigte mir eine Stellenanzeige in der Zeitung: In Issum wurde für alle 14 Tage, Samstag und Sonntag, eine Aushilfe gesucht.
Ich gab meine Bewerbung dort ab und wurde nach einer Einladung zum Bewerbungsgespräch eingestellt.
Diese Pächter dort. Sie wurden meine Mentoren. Meine Freunde. Meine Zieheltern.
Der Wille, auch mal eine Tankstelle zu leiten, war geboren.
Und so musste ich nur die verschiedenen Stationen des Lebens durchstreiten um an mein Ziel zu gelangen.
1. Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel
2. Zivildienst, ja es war das letzte Jahr in dem es noch Pflicht war.
3. Future Hero, ein internes Ausbildungssystem von Aral für junge Menschen die Tankstellenpartner werden wollen

Dann war es soweit. Am 31.01.2013 übernahm ich die Tankstelle in Bottrop.
Und was soll ich sagen. Man wächst auch hier mit seinen Herausforderungen. Hätten Sie gedacht, dass es für einen Arbeitgeber gar nicht so einfach ist jemanden zu kündigen der Diebstahl begeht?
Ich zu dieser Zeit jedenfalls nicht.
So war es gang und gebe bei den Mitarbeitern die von mir gekündigt wurden, zum Arbeitsgericht zu gehen.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Diese Option sollte jedem Arbeitnehmer offen bleiben. Denn mit Sicherheit gibt es auch Gründe die eine Kündigung überhaupt nicht rechtfertigen würden. Und da darf sich ein Arbeitnehmer schützen.
Aber wie sieht es bei Diebstahl aus? Wenn aus einem Anfangsverdacht, anschließend eindeutigen Beweisen, eine Kündigung wird, sollte doch eigentlich hier an diesem Punkt der Geschichte Schluss sein.
Denn immerhin ist dies doch Gerecht.
Nein. Der Arbeitnehmer bekommt im gerichtlichen Vergleich vor dem Arbeitsgericht Geld zugesprochen. Damals war ich noch ohne Anwalt zu diesem Termin erschienen, so sicher war ich mir meiner Sache.
Doch wenn man vom gegnerischen Anwalt die Theorie zu hören bekommt, dass seine Mandantin gar nicht sehen könne, wer sich an die Kasse zu schaffen macht wenn sie im Lager sei, fängt man an zu zweifeln.
Zum Verständnis: Die Mitarbeiter bezahlen die Sachen im Shop, welche sie während der Schicht verzehren, am Ende ihrer Schicht. Die Ware wird sofort an der Kasse registriert und solange „geparkt".
Die Idee des Anwalts war folgende: Ein Kunde könnte sich an die Kasse zu schaffen machen, während sein Mandantin im Lager ist und im Menü die geparkten Sachen der Mandantin wieder in die Verkaufsfläche des Systems holen und diese dann dort Storniert haben können. Am Ende der Schicht hätte seine Mandantin dann nachgesehen und nichts mehr im System gefunden und nach 8 Stunden Arbeit, könne man nicht verlangen, dass sich jeder daran erinnert was er genommen hatte.
Ich belächelte diese Theorie. Nicht lange. Denn die Richterin gab dieser Theorie Recht und ich verlor. Die fristlose Kündigung wurde unwirksam und wurde auf eine fristgerechte Kündigung umgewandelt. Die Arbeitnehmerin selber arbeitete erst ein paar Monate, über Probezeit hinaus, bei mir. Trotz allem musste ich bis zum Ende ihrer Arbeitszeit bei mir, Lohn auszahlen. Zur Arbeit brauchte sie aber nicht mehr kommen.
So zog es sich ganze Drei Jahre lang durch meine Weltansicht von Gerechtigkeit. Natürlich hatte ich aus dem ersten male nur eines gelernt. Habe einen Anwalt an deiner Seite!
Aber auch damit wurde es nicht besser.
Es gab nur einen Unterschied. Man bekam nicht mehr direkt beim Richter zu hören wie wenig ich mich gegen von Mitarbeitern begangen Diebstahl an mein Eigentum wehren kann, sondern schon vorab beim Anwalt.
Also wurden Strategien entwickelt. Ein genaues „Amtsdeutsch" geschrieben. Und mit genau den wahnvollsten Theorien gespickt, wie sie unmöglich in der Praxis vorkommen würden, wie sie auch die Gegenseite auffuhr, um bestmöglich aus der Sache herauszukommen. Ja, Sie merken es bereits. Um Gerechtigkeit geht es hier nicht. Ein Formfehler und Sie sind raus. Es ist ein Granatenspiel, den der Richter bewertet.
Irgendwann nach drei Jahren, beherrscht man dieses Spiel. Es geht nicht um Gerechtigkeit oder Bestrafung. Es geht um einen Freikauf.
Arbeitgeber möchte so wenig wie möglich an den gekündigten zahlen. Gekündigter Arbeitnehmer möchte so viel wie möglich bekommen.
Würden Sie sich nach drei Jahren noch Gedanken darüber machen warum Sie einem Dieb ein wohlwollendes Arbeitszeugnis schreiben sollen?
Ich nicht. Sie schauen im Internet nach einem Arbeitszeugnisgenerator, geben mehr oder wenig geistesabwesend die entsprechenden Daten ein und suchen sich, nach Schulnotenkategorie sortiert, die Sätze aus wie Sie meinen: „Das passt schon so". Fügen das Ergebnis auf Ihr Blanko Briefpapier, drucken es aus um es dem Ex-Mitarbeiter via Post zu schicken. Dann gehen Sie in das Online-Banking-Programm Ihrer Bank und überweisen den Betrag der vor Gericht von der Partei durchgesetzt wurde, bei der die Granate nicht in die Luft flog. Und oh, falls Sie daran denken sollten was passiert wenn das Spiel von Ihnen als Arbeitgeber vor Gericht gewonnen wird. Sie zahlen trotzdem!
Wie oben erwähnt. Es geht um einen Freikauf. Oder wie mein Anwalt es mal passend ausdrückte: „Um Schadensbegrenzung."
Man könnte jetzt einwenden, dass man eine Instanz weiter gehen könnte. Dort entschieden werden könnte, dass man als Arbeitgeber nichts zahlen muss. Und so weiter.
Aber als ein junger Unternehmer, der Erfolgsorientiert arbeitet und sich in der Aral-Welt etablieren möchte, hat man für sowas keine Zeit. Und damit hat man auch persönlich keine Zeit mehr sich für die Gerechtigkeit, ja, eben diese Zeit zu nehmen.
Ohne ins Detail gehen zu wollen, wurden mal 2.000,00 EUR durch eine ausgeklügelte wie simple Methode von einer Mitarbeiterin meines Vertrauens geklaut. Schlussendlich musste ich mich vor Gericht beweisen, die 2.000,00 EUR nicht selbst geklaut zu haben und dies nicht nur als Vorwand nutzen zu wollen, die Mitarbeiterin „los zu werden". Dass ich die Mitarbeiterin kurz vor ihrer Tat für ihr Engagement an der Tankstelle durch Aral habe auszeichnen lassen, zählte nicht. Und für die Arbeitnehmerin war es ein leichtes auf die Frage der Richterin: „Haben Sie das Geld entwendet?" zu sagen: „Nein!"
Und dann geht's ja los. Als Kläger fühlen Sie sich vor Gericht wie der Beklagte. Und die erste Instanz des Arbeitsgerichtes ist ja nur dazu da, einen Vergleich zu finden. Also die Summe auf die sich beide Einigen dem Arbeitnehmer für seine Kündigung zu zahlen.
Beweise. Fotos. Abläufe der Umstände. Interessieren dort gar nicht.
Die Verhandlung musste unterbrochen werden, weil ich ein Vier-Augen-Gespräch mit meinem Anwalt wollte. Im Flur dann die bittere Ernüchterung. Mein Anwalt: „Ihre Ex-Mitarbeiterin hat gemerkt, dass sie nur 'Nein war ich nicht' sagen braucht und wird mit jedem ausgesprochen Satz im Selbstvertrauen stärker. In der nächsten Verhandlung wäre dies nicht anders, weil Sie als Pächter jetzt schon kaum vor Gericht beweisen konnten, warum Sie das Geld nicht entnommen haben. Jetzt ist der günstigste Moment aus der Sache herauszukommen."
An dieser Stelle lasse mich mal offen wie ich gehandelt habe. Nicht weil ich Angst davor hätte, was Sie über mich meinen könnten. Sondern nur, damit Sie sich Gedanken machen, wie sie weiter gehandelt hätten. An diesem Punkt glauben Sie ja vielleicht noch an Gerechtigkeit. Und dies möchte ich ihnen hier noch nicht nehmen.
Selbst der lange Abend mit den beiden Flaschen der Marke Laphroaig, konnten mir den glauben an Gerechtigkeit nicht nehmen. Oder gerade deswegen? Wie auch immer, finde ich nach wie vor, den Griff zur Flasche, als dauerhafte Lösung, für eine Schwäche.

Requiem auf die GerechtigkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt