Teil 6

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Möglichkeiten.
Möglichkeiten wie ich nach diesem Vorfall weiter leben kann gab es viele.
Einige davon wurden während den Therapiestunden besprochen. Doch egal für welchen Schritt ich mich entscheiden würde, immer würde er an einer Sache scheitern. Dem Ende. Denn es gab keins. Ich brauche, um nur daran zu denken, dass es mal besser werden könnte, einen Abschluss der den Rumänen als Schuldigen vor dem Gesetz darstellt.
Welche Bestrafung er bekommen würde wäre mir egal.
Doch was wäre wenn es nie dazu kommen würde? Wenn ein Rechtsstaat durchgehen lässt, dass ein Rumäne versuchen konnte ein Kind zu töten.
Solche Dinge sollten, nein, sie müssen bestraft werden. Und nochmals, mir wäre egal wie die Bestrafung aussehen würde, Hauptsache er würde es.
Schlussendlich wurde die Tat als solches von mir verhindert. Ich habe meinen Sohn aus dem Auto geholt während der Rumäne in dieses Fahren wollte. Ich war es der zur Seite sprang und nicht überfahren wurde. Ich habe bis zum heutigen Tage richtig gehandelt.
Wieso also nicht auch den Rest erledigen? Wieso nicht das ganze selbst zu einen Abschluss bringen und wieder als Retter da stehen?

Jemanden zu bestrafen der nichts hat, ist auf legalen Wege nicht möglich. Ich rede also von Selbstjustiz. Aber da wo andere versagen, sollte man doch helfen und die Sache selbst erledigen. Ehrenamtlich.
Bei dem Rumänen gab es auch mehrere besuche der Polizei wegen häuslicher Gewalt. Die Familie anzugreifen würde also nichts bringen. Diese ist bereits genug bestraft.
Und ihn könnte man damit überhaupt nicht bestrafen, was ja auch der Sinn an der ganzen Sache gewesen wäre.
Wie in den meisten Fällen bleiben die Ehefrauen bei ihren Männern. Das einzig Gute an solchen Beziehungen ist, dass es keine normalen Abläufe gibt.
Der Rumäne macht was er will. Er trinkt wann er will. Er geht aus dem Haus wann er will. Er kommt nach Hause wann er will.
Eine liebevolle Ehefrau die zu Hause auf ihn wartet gibt es nicht. Im Gegenteil. Eher wäre sie beruhigt mal ein paar Tage ruhe zu haben wenn er nicht nach Hause kommt. Also würde eine Vermisstenmeldung erst viel später als normal gemeldet werden.
Immerhin müsste das Kind des Rumänen jetzt auch bereits ein Jahr alt sein. Die Mutter wäre also wirklich froh für jeden Moment, den der Rumäne nicht da wäre.
Doch wie würde man ihn wegbekommen?
Es gibt so viele variablen wenn man es mit einer solch niederen Person zu hat. Nicht jede Handlung ist ganz schlüssig bei ihm. Jede Sekunde könnte es umkippen und es würde ein zu großes Aufsehen erregen.
Ein gezielter Schlag würde ausreichen. Er würde zu Boden fallen. Aber jemanden der am Boden liegt muss aufgehoben werden. Wenn diese Zeit nicht da ist, muss er liegen gelassen werden. Zu Auffällig wäre alles.
Würde der Schlag nicht gezielt dort landen wo er sollte, wäre man darüber hinaus in einem Kampf verwickelt. Der Rumäne tickt völlig aus. Aufhören würde dieser erst bis mein Schlag treffen würde oder die Aufmerksamkeit zu groß geworden wäre, dass es für mich keinen guten Ausgang hätte. Zeugen.
Und wer möchte schon Zeugen für die Tat die man vorhat? Keiner.
Wie bekommt man also einen total verrückten Verstand dazu gefügig zu werden? Mit Alkohol natürlich. Ja natürlich, Alkohol wirkt bei jedem anders und bei dem Rumänen wohl geradewegs in die Aggressivität.
Aber in kleinen Mengen verabreicht würde es irgendwann zu einem sehr guten Verhältnis. Alkohol verbindet.
So wäre es ein leichtes mit Alkohol dem Rumänen gegenüber zu stehen. Mit ihm zu trinken. Wer sollte da schon nein sagen.
Ihn abzufangen wenn er das Haus verlässt wäre einfach. Irgendwo zu sitzen und Alkohol zu trinken und dabei wie ein Penner auszusehen... das würde heutzutage gar nicht mehr auffallen. Weil es zu einem normalen Bild geworden ist.
Man passt sich dem verrotteten Straßenbild an. Diesem Moorloch. Sie stinkt nach pisse und Scheiße und nach einiger Zeit bekommt man den Gestank nicht mehr aus der Nase. Man wird Teil einer Gesellschaft die man verachtet. Aber dies nur für einen Zweck.
Kenne deinen Feind. Sein Verhalten. Seine Beziehungen. Sein tägliches Dasein. Dann schlage zu. Es wäre nur Abschaum was ich da beseitige. Und diese Welt braucht Männer die bereit sind schwere Entscheidungen zu treffen. In dieser unehrbaren Welt dachte ich ein ehrbarer Mann zu sein. Aber entweder sterben wir als Held oder leben so lange bis wir selber zum Bösewicht werden.
Ich werde ihn beseitigen und er würde unten bleiben. Die Justiz lässt ihn wieder aufkeimen, doch ich sorge dafür, dass er nie wieder auf der Straße landet. Darauf wäre ich stolz.
Die Justiz bringt den Rumänen ins Gefängnis und feiert sich als Helden. Einen Monat, eine Woche, einen Tag später wäre er aber wieder auf der Straße und würde denselben scheiß machen. Ich denke, der Rumäne den ich töte, muss getötet werden.
Ich bin nicht der Böse.
Ich tue eben was ich tue, weil es nötig ist.
Nicht jeder verarbeitet seine Ängste auf dieselbe Art.
Ich kann mir nicht aussuchen was mich wieder ganz macht. Mich heilt. Meinen Leben Sinn gibt. Jeder ist nur einen miesen Tag davon entfernt wie ich zu werden.
Bis dahin kann niemand verstehen was ein solcher Vorfall in einem auslöst. Alle verstehen nur einen Scheiß.
Er wollte mein Kind töten.
Und was passiert dann? Er würde einen fairen Prozess bekommen. Dieser Weg funktioniert nicht. Er muss tot sein. Es muss für immer sein. Es muss Endgültig sein.
Sobald ich auf diese Seite getreten bin, würde es kein Zurück geben. Nie mehr.
Doch jetzt würde ich hier sitzen und vor mir der Rumäne.
Viele unmissverständliche Sätze würde er von sich geben. Der Alkohol hätte ihn so aufgelockert, dass er sogar anfangen würde Lieder zu singen.
Ich würde ihn mir ansehen, diese erbärmliche Kreatur. Welchen Nutzen hat er für die Gesellschaft?
Er wollte ein Kind töten.
Das passt überhaupt nicht in ein zivilisiertes Weltbild.
Wenn ein Schuldiger gefasst wird und vor einem Richter gestellt wird; Dieses zusammenkommen versteht die zivilisierte Gesellschaft als Gerechtigkeit. Wenn ich mir den Rumänen aber, wie jetzt gleich, selber packen würde und ihn ermorden würde, dass würde man Selbstjustiz nennen.
Wie aber zur Gerechtigkeit gelangen, wenn es niemals durch einen Richter geschehen würde? Ich müsste mein Schicksal einfach akzeptieren.
Ich kann es der zivilisierten Welt nicht recht machen. Ich kann ihr nur die Augen öffnen.
Wenn man mich für den Tot des Rumänen verklagt, würde es für mich in dem Verfahren nicht um Selbstjustiz gehen. Sondern um das Versagen unseres Rechtssystems. Ich würde als Sündenbock benutzt um die Fehler dieses Systems zu vertuschen.
Ich war angreifbar weil ich einen Sohn habe. Denn nur die Menschen die einem auch wirklich nahe stehen, können einen verletzen.
Wäre ich im Gefängnis, könnte er mich nie wieder verletzen. Nie wieder würde ich in einen solchen Vorfall geraten.
Meinen Sohn hätte ich vor Abschaum gerettet. Wenn ich nicht sofort gefasst werden sollte vielleicht sogar vor noch mehr Abschaum.
Er würde es verstehen. Ebenso meine Frau. Denn es wäre Notwendig gewesen.
Eine Posttraumatische Belastungsstörung, wie sie ja auch diagnostiziert wurde, würde man dafür verantwortlich machen. Die Strafe würde sogar milder ausfallen als sonst. Aber das wäre nur Erniedrigend für alle anderen mit Posttraumatischer Belastungsstörung. Denn meine Entscheidung war frei gewählt.
Diesen Rumänen den ich getötet habe. Ich würde es wieder tun.
Eine Gerichtsverhandlung darüber wäre ein Zirkus. Eine Farce. Alles gespielt. Dieses scheiß Gelaber ich wäre verrückt. Ich bin nicht verrückt. Ich weiß was ich tue. Ich weiß wer ich bin und ich würde keine Hilfe gebrauchen, weil ich so dermaßen bei Verstand wäre wie nie.
Den Rumänen, diesen Abschaum, das beschießende Stück Scheiße habe ich abgeknallt weil ich es wollte. Geliebt habe ich es.
Und jetzt juckt es schon wieder in meinen Fingern. Man würde mich versuchen ins Irrenhaus zu stecken, damit ein Quacksalber mich davon abhält zu tun was ich will? Das würde nicht klappen. Niemals im Leben.

Niemals im Leben würde ich jemanden töten.
Durch die Kraft meiner Familie konnte ich die Ängsten und Sorgen, die mich Belasteten, unter Kontrolle bringen.
Der erste Ausflug nach dem Vorfall in einen Freizeit Park war wie die ersten Schritte eines Babys. Mühevoll und wackelig. Aber mit ein wenig Übung ging es.
Meine Frau hielt meine Hand und wir hatten Mühe unserem Sohn zu folgen, der von Attraktion zu Attraktion ran um ja alles zu sehen.
Seine Augen strahlten und wurden immer Größer.
„Ich liebe dich Papa."
Viele solcher Momente könnten wir durchleben. Langsam aber sicher würde das freie Gefühl wieder zurückkommen. Der Körper würde sich entspannen und nicht den ganzen Tag angespannt sein. Meine Gedanken könnten sich auch mal auf schönere Dinge länger konzentrieren und nicht jedes Mal ins Dunkle ausweichen.
Der Rumäne hatte etwas in mir ausgelöst. Aber er hat mich nicht in seiner Gewalt seit dem. Er konnte mir nichts nehmen. Und darauf sollte ich mich konzentrieren.
Das unbeschwerte Leben mit meiner Familie gehörte nur uns und niemand konnte dies nochmal auseinanderreißen.
Irgendwann würde die Gelegenheit kommen, mit meinen Sohn wieder zu meiner Tankstelle zu fahren.
Er würde wieder den Schreibtisch in Beschlag nehmen und mit dem Firmenstempel rumzuspielen.
Ich würde dabei mit meinen Mitarbeitern lachen und gemeinsam über geplante Ziele reden. Kurz nur würde ich hochzucken wenn ich daran denke was hier mal passiert ist. Aber dann würde ich lächeln. Es würde nie wieder passieren.
Die Gefahr, sie war vorbei.
Der Rumäne würde weiter leben. Genau wie ich.
Und mein Leben war meine Familie. Durch den langsamen Einstieg zurück in das Arbeitsleben, würde auch dieser Teil wieder in Ordnung gebracht.
Die Mitarbeiter backten mir einen „Willkommen zurück" Kuchen und freuten sich auf den neuen alten Kurs mit mir als Chef.
Es ging wieder Bergauf.
Der einzige der dabei auf der Strecke blieb war ein nicht verurteilter Rumäne. Und das war gut so. Seit ich diese Fesseln von mir abnahm, war die Belastung viel weniger und viel mehr Wärme und Geborgenheit, von meiner Familie ausgehend, nahm ihren Platz ein.
Nach einiger Zeit bemerkte ich gar nicht mehr, wie sehr ich bereits in den Alltag gerutscht war. Wie oft ich mit meinen Sohn alleine unterwegs war. Einkaufen, Arztbesuche. Alles was damals stärkste Angstzustände auslöste wurde jetzt zur Selbstverständlichkeit.
Selbst die Gedanken, dass ich sonst Ängste gehabt hatte und dies mit einem Lächeln quittiert wurde, waren nicht mehr so oft da.
Bis zu dem Abend, als ich gerade nach Hause kam. Mein Sohn rannte zur Tür und umarmte mich. Ich nahm ihn auf den Arm und ging mit ihm in die Küche. Meine Frau sah einfach nur bezaubern aus und ich küsste sie.
„Ohhhh" sagte mein Sohn und schlang seine Arme direkt um mich und meine Frau. Ich stolperte dabei nach vorne und wurde gegen das Gesicht meiner Frau gedrückt. Es war so warm. Die Haare meines Sohnes kitzelten mich dabei.
„Vorsichtig." Lachte ich.
„Familie." Sagte mein Sohn.
Wir blieben einen Augenblick so umarmt bis mein Sohn sah, wie ich die gerade von meiner Frau geschnittenen Gurkenscheiben wegnahm.
„Papa hat nichts genommen." Sagte mein Sohn und legte direkt einen unwissenden Blick auf. „Wir gehen jetzt einfach. Du brauchst nicht gucken was Papa in der Hand hat." Sein schelmisches Lachen verriet ihn genau wie seine Worte.
Wir lachten und ich ging mit meinem Sohn ins Wohnzimmer. Die Gurkenscheiben teilten wir uns. Dabei schaltete ich den Fernseher an.
Die Nachrichten erschienen und ein Bericht über Bottrop kam im Fernsehen. Ein Kleinkind wurde getötet und über den verdächtigen gab es ein Phantombild. Es war der Rumäne.
Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Es war die meiner Frau. Auch sie starrte auf den Fernseher. Ich griff zu ihrer Hand und streichelte sie.
Unser Sohn sprang auf meinen Schoss.
„Papa, gehst du mit mir ins Legozimmer spielen?"

Gerechtigkeit wird nie zu bekommen sein. So ist die Welt in der wir leben. Es muss nicht immer zu solch schlimmen Taten kommen, aber wenn sie kommen, sollten wir das tun was uns heilt.
Mein weg zur Heilung hatte begonnen.
Ich lächelte.

Requiem auf die GerechtigkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt