Alles wirkte so klein.
Alles was Sie meinen bisher erlebt zu haben und wütend drüber wurden, ist nun nichtig. Man sah sich plötzlich einer Situation gegenüber, die man so noch nie erlebt hatte. Niemand kann einen auf so etwas vorbereiten.
Hollywood Filme? Vergessen Sie es. Im Drehbuch steht, was gleich passieren könnte, wenn der Held nicht vorher handeln würde. Es gibt kein Minority Report. Das Verbrechen kann nicht vorhergesehen werden. Vor allem nicht aus dieser Situation heraus, wie sie vorher war. Wie ist jetzt zu handeln?
Der Rumäne verlor diese Diskussion. In seiner Fantasiewelt zutiefst gekränkt sagte er die Sätze zwar ernsthafter als das vorher gesprochene, aber es war nur gesagtes, oder?
„...Töte ich jetzt!"
Wären da nicht diese Augen... die Augen sind das Fenster zu Seele. Aber da war keine Seele. Ich starrte den Rumänen an. 2 Sekunden die zur Ewigkeit wurden. Diese Augen werde ich nie vergessen.
Mein Herz schlug schneller. Ich spüre es noch heute. Als hätte es so hart gegen die Innenwand der Haut geschlagen und dort vernarbte Haut zurückgelassen. Knochen waren keine mehr da, ich spürte zumindest keine, so weich stand ich auf den Beinen.
Der Rumäne schlug die Tür zu. Von Innen. Der Motor startete.
Er wird wegfahren, dachte ich mir, er wird jetzt definitiv wegfahren.
Der Motor heulte auf. Er spielte mit dem Gas. Lies den Wagen ein paar Zentimeter schwungvoll nach vorne kommen. Der Rumäne strich mit dem Zeigefinger über seinen Hals und zeigte dann auf meinen Sohn.Scheiß Angstgemache, schoss es mir durch den Kopf, was soll das, mein...
„...Sohn ist in dem Auto!" schrie ich. „Fahren Sie jetzt bloß weg!" Ich gab ihm mit ausgestreckten Arm und Zeigefinger die Geste zu verschwinden.
Das Fahrzeug setzte sich in Bewegung.Irgendwann im Frühjahr 2017.
Ich brachte mit dem Auto meine Frau nach Geldern. Unser Sohn fuhr mit. Nachdem wir uns verabschiedeten, fuhr ich mit meinem Sohn wieder zurück nach Hause. Ich ließ einen VW Touran durch und fuhr nach ihm direkt auf die Straße. Hinter dem Touran her.
Mein Sohn und ich erzählten, was wir gleich noch alles Schönes machen würden. Malen und spielen. Und essen.
Der Wagen vor mir fuhr dabei in einer 50 km/h Zone sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten. Mal 20 km/h... mal 15 km/h... dann plötzlich wieder 50 km/h nur um dann wieder auf 35 km/h zu drosseln.
Verärgert war ich nicht. Schließlich hatte ich keinen Zeitdruck. Und auch der Fahrer gab mir mit seinen Kopfbewegungen, von rechts nach links und wieder zurück, den Eindruck er würde etwas suchen. Die richtige Straße. Das richtige Haus.
Doch irgendwann ergab sich für mich die Möglichkeit zu überholen. Völlig ohne Risiko Innerorts. Schließlich fuhr er gerade mal wieder 15 km/h.
Doch irgendwie ging der Überholvorgang zu lange. Der Touran beschleunigte mit. Ich schaute nach rechts weil ich auf Höhe des Touran-Fahrers war... und er zeigte mir doch tatsächlich den Mittelfinger.
Ja was soll ich sagen. Jetzt war ich verärgert. Was für ein Spinner. Ich gab also etwas Gas, um ihn so schnell wie möglich zu überholen und ließ mich wieder auf 50 km/h fallen. Der Touran hing mir dabei ganz nah an der Stoßstange und ich sah im Rückspiegel nur noch wie er „in die Eisen" ging und dann abbog.
Er wird wohl seine Straße gefunden haben, dachte ich noch.
Ein paar Wochen später öffnete ich einen Brief von der Polizei. Schriftliche Äußerung als Beschuldigter. Wegen Nötigung.
Mit dem Anwalt besprochen was zu tun war und der Bogen wurde ausgefüllt. Dann die Antwort der Staatsanwaltschaft. Mit folgenden Worten:
„Der Staatsanwalt beschuldigt Sie, einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt zu einer Handlung genötigt zu haben."
Ein Strafbefehl. Eine Geldstrafe von 600,00 EUR wurde festgesetzt.
Der Anwalt meinte, dass hierbei noch ein Rattenschwanz folgen könnte: Fahrverbot.
Diesmal wollte ich also nicht so leicht aufgeben und der Anwalt sprach mit der Richterin. Diese meinte aber, dass meine Erfolgsaussichten sehr schlecht Stünde, da der Touran-Fahrer noch am selben Tag die Anzeige bei der Polizeistelle in Geldern gemacht hätte. Der Mann machte einen seriösen Eindruck auf die Polizei.
Wie der Anwalt mir sagte, unterschieden sich die Aussagen der Insassen innerhalb des Touran stark voneinander.
So meinte der Fahrer, dass er bis zum vollständigen Halt abbremsen musste. Und die Frauen, dass die Fahrt nur gedrosselt wurde und es nicht zum Stillstand kam.
Trotz alledem... Der Mann war gehobenen Alters und Seriös.
Ein Deal wurde ausgehandelt.
Unter folgenden Auflagen erwägt das Gericht das Strafverfahren einzustellen:
„Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 800,00 EUR an die Gelderner Tafel."
Ich stimmte dem zu. Zahlte die Spende an die Gelderner Tafel und das Verfahren wurde eingestellt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO). Die dem Angeschuldigten entstanden notwenigen Auslagen trägt dieser selbst (§ 467 Abs. 5 StPO).
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Requiem auf die Gerechtigkeit
RandomWahre Begebenheit. Wieviel kann ein Mann ertragen, nachdem er seinen Sohn vor dem Tode rettete, bis er sagt: Es reicht! Durch die Tat eines Täters wird mein Leben völlig durcheinander gewürfelt. Alles woran man glaubte, wurde ab diesem Zeitpunkt in...