Kapitel 5

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Gerade als die Klingel schrill durch die Schulflure schallte, öffnete Peter die Tür seines Spindes. Der Englischlehrer hatte die Klasse früher rausgelassen, als es die meisten taten – er war einer der wenigen Lehrer, bei denen man dachte, dass er Kinder tatsächlich mochte -, weshalb es dem Teenager möglich gewesen war bereits vor den meisten anderen Schülern auf den Flur zu gelangen. So würde er schnell seine Sachen wegpacken und als einer der Ersten in der Cafeteria auftauchen können. Das ersparte ihm zumindest heute die gefühlt endlose Warterei in der Schlange, da die Lunchladies offensichtlich genauso ungern hier waren, wie ein Teil der Schülerschaft.

Er setzte seinen Rucksack ab und stopfte ihn in den Schrank hinein. Als er die Tür zuschlug, stand plötzlich Tony neben ihm und ließ ihn zusammen zucken. Der Mann hatte sich mit dem Rücken gegen die anderen Spinde gelehnt und hielt die Arme vor der Brust verschränkt.
„Mister Stark? Boah, haben Sie mich erschreckt", reagierte er mit deutlicher Überraschung in der Stimme.
„Ja, ich weiß", ein breites Grinsen erschien auf seinen Lippen. Sein Gesicht hatte einen jungenhaften Zug angenommen.
„Komm, wir gehen in die Cafeteria", forderte er ihn dann auf und nickte mit dem Kopf den Gang hinunter: "Ich brauche dringend einen Cheeseburger. Cheeseburger gibt es hier doch, oder?"
„Ich weiß es nicht", Peter dachte kurz nach: "Ich habe heute noch nicht auf den Speiseplan geschaut. Unsere Schule ist momentan aber eigentlich eher auf dem Gesundheitstrip."  
„Was?", Tony verzog das Gesicht, während er sich von den Spinden abstieß: "Ich habe noch nie gerne an Grünzeug geknabbert und werde damit jetzt sicher auch nicht anfangen."
„Darüber können Sie sich ja gerne mit dem Schulleiter unterhalten", erwiderte Peter und musste sich ein leichtes Lachen verkneifen. Er schloss die Tür seines Schließfaches und bewegte sich dann mit Tony zusammen den Gang hinunter auf den Eingang der Cafeteria zu.

„Du kannst übrigens gerne aufhören mich zu siezen, Peter", erklärte der Mann nach einigen Schritten: "Immerhin bin ich jetzt gerade ja nicht viel älter als du und es wirkt komisch, wenn meine Mitschüler mich siezen. Außerdem fühle ich mich alt, wenn du mich so nennst."
„Ähm, okay", er wusste nicht so recht, wie er darauf reagieren sollte. Immerhin hatte er nie gedacht, dass er sowas jemals anbieten würde: "Dann eben ... Tony."

Beim Eingang der Cafeteria angekommen, gingen sie zusammen auf die Essensausgabe zu. Tony streckte seinen Kopf dabei automatisch ein Stück aus, um einen Blick auf das Essen zu erhaschen. Als er anstelle von Cheeseburgern allerdings nichts als Spinat und Kartoffeln sah, verdunkelte sich sein Gesicht leicht.
„Na klasse", murmelte er und rümpfte leicht die Nase: "Das Essen in der Schule ist genauso schlecht, wie ich es in Erinnerung habe. Bitte sag mir, dass zumindest die Hausaufgaben weniger geworden sind."
Peter musste ein leichtes Lachen unterdrücken: "Diese Hoffnung kannst du besser sofort wieder begraben. Eher ist genau das Gegenteil der Fall."
„Ausgezeichnet", schnaubte er augenrollend: "Dann kann ich wohl noch eine neue Sache auf die Liste mit Dingen, die ich ganz sicher nicht tun werde, schreiben."

Peter nickte, während seine Aufmerksamkeit sich auf eine andere Person legte. Es war ein Mädchen, welches ein wenig abseits an einem Tisch saß. Vor ihr lag ein Tablett, welches sie bereits halb geleert hatte. Ihre Augen wanderten jedoch über die Seiten des Buches, welches vor ihr auf dem Tisch lag und welches sie regelrecht zu verschlingen schien. Ihre Umgebung schien sie dabei fast völlig ausgeblendet zu haben. Sie war in genau dem gleichen Alter, wie er selbst. Ihre braunen Haare fielen ihr lockig über die Schultern und sie trug ein Hemd, welches ihr ein wenig zu groß war. In ihren Ohren steckten Kopfhörer und sie schien ihren Fuß im Takt der Musik leicht auf und ab zu bewegen.

„Wer ist sie?", erklang Tonys Stimme erneut neben ihm und zog Peters Aufmerksamkeit damit wieder auf sich. Schnell wandte er den Blick von ihr ab und sah stattdessen zu dem Mann zurück, welcher mit neugierigem Gesichtsausdruck in die gleiche Richtung sah, wie Peter zuvor und das Mädchen zu mustern schien.
„Was? Ich weiß nicht, wen du meinst?", sagte Peter reflexartig. Er war nicht daran gewöhnt, dass er überhaupt irgendwem auffiel und war deshalb auf diese Frage nicht vorbereitet gewesen. Ned fiel es in der Regel nämlich nicht auf, wenn er zu ihr herübersah. Dafür war sein bester Freund immer viel zu sehr damit beschäftigt ihm von seinen neusten Videospielerfolgen zu erzählen. Allerdings schien Tony schwerer abzuspeisen zu sein, als Ned für gewöhnlich, wenn er doch mal nachfragte: "Ach komm schon, Peter. Du hast sie ganz eindeutig angeschmachtet. Erzähl mir ein bisschen mehr."

„Ihr Name ist Michelle", erklärte er mit einem leichten Seufzen und sah für einen Moment ein weiteres Mal zu dem Mädchen herüber.
„Und du stehst auf sie?", fügte Tony hinzu. Allerdings klang dies weniger, wie eine Frage, als mehr, wie eine Tatsache.
„Nein, wir sind nur Freunde", schnell schüttelte Peter den Kopf.
„Nur Freunde? Na dann hast du doch sicher kein Problem damit, wenn ich zu ihr herübergehe", zog Tony daraus seinen eigenen Schluss, klang von Peters Worten aber nicht überzeugt.
„Na gut, ich mag sie", gab er nach kurzem Zögern nach und rückte mit der Wahrheit heraus: "Also halte dich bitte von ihr fern und mach mir das nicht kaputt."
„Ich und etwas kaputt machen?", er sah ihn gespielt fassungslos an: "Wie kommst du denn auf so einen Gedanken?"

Peter warf ihm einen wissenden Blick zu, in dem allerdings auch etwas leicht Verächtliches lang. Immerhin wusste er genau, dass Tony zwar gut darin war Frauen um seinen Finger zu wickeln, dass seine Beziehungen allerdings nie von langer Dauer waren. Das hatte Peter selbst in der kurzen Zeit, in der er Tony nun kannte, gemerkt.
„Wir wissen doch beide, wie es in Bezug auf dich und Frauen aussieht", erinnerte Peter ihn kurzerhand an seine alten Angewohnheiten zurück: "Deshalb verstehst du auch nicht, was ich in Bezug auf MJ fühle."

Einige Sekunden lang sah Tony ihn einfach nur an, bevor er die Arme vor der Brust verschränkte: "Und was, wenn sich etwas geändert hat?"
„Was soll sich denn geändert haben?", Peter zog eine Augenbraue hoch, doch die Worte hatten sein Interesse geweckt und fragte deshalb leicht neckisch: "Gibt es da etwa plötzlich jemanden, der dich interessiert?"
Tony hatte seinen Blick kurz auf den Boden gesenkt, hob ihn jedoch wieder, als Peter sprach. Einer seiner Mundwinkel war leicht gehoben und er sah einen Ausdruck in seinen Augen, den Peter jedoch nicht leugnen konnte: "Vielleicht."

Younger | AvengersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt