Lydia

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Der eisige Wind umspielte meine roten Haare, die grauen Wolken hingen tief am Horizont. Es hätte jeden Moment anfangen können zu regnen. Das Meer schlug kräftig und beängstigend an die Klippe. Jamies Hand fühlte sich in meiner eiskalten Hand warm an. Es war schon immer so: mein Bruder konnte immer in kurzen Hosen und T-Shirt herumlaufen, egal wie kalt es war. Im Gegensatz zu ihm konnte meine Körpertemperatur schnell variieren; Sie wurde kälter, wenn ich den Tot spürte oder sah. Jamie drückte sanft meine Hand: "Lydia, es wird alles gut.". Dabei schaute er mich mit einem weniger sicheren Blick an. Seine ebenfalls roten Haare standen wegen dem Wind in alle Richtungen ab. 

Unsere Mutter, der wir unser unterschiedlichen Eigenschaften zu verdanken hatten, war selber eine gebürtige Banshee. Der Vater unserer Mutter - also unser Grossvater - war ein Werwolf. Er hatte dieses Gen meinem Bruder vererbt. In unserer Familie flieste das Blut der magischen Wesen seit Beginn des Universums - zumindest so wurde es uns immer erzählt. Unser Vater war ein normaler Mensch. Er war die einzige Person, die in die ganze Sache eingeweiht war. Natürlich gab es schon immer Menschen, die was ahnten, aber es gab nicht viele, die die Wahrheit kannten. 

Aber zurück zum Wichtigen: Unsere Mutter starb genau heute vor einer Woche. Auch der Krebs machte kein Halt vor übernatürlichen Wesen. Unser Vater war ebenfalls tot, er wurde uns aber schon vor acht Jahren geraubt. ich konnte mich noch gut an den Tag erinnern da ich schon acht war: Es war genauso ein wolkenverhangener Tag wie heute. Die Körpertemperatur meiner Mutter senkte sich dramatisch als unser Vater das letzte mal die Einfahrt zu unserem Haus hinunterfuhr. 

Unser Haus stand auf einem Hügel mit Ausblick auf das Meer. Das nächste Dorf befand sich etwa ein Kilometer hinter dem Haus. Die ganze Fläche war mit sattem dunklen Gras bewachsen, vereinzelt wuchs ein grosser, stämmiger Baum in der weiten Ebene. Es hätte als idyllisch beschrieben werden können, wären da nicht die teilweise furchtbaren Nächte in denen der Wind um das Haus blies und die Dielen zum Stöhnen brachte. 

Bevor meine Mutter ihn irgendwie warnen konnte, fuhr er die Einfahrt hinunter. Es war tiefer Winter, wodurch einige Stellen auf dem Weg vereist waren. Eigentlich hätte der Winterdienst sich darum kümmern sollen, was aber an diesem Tag nie geschah. Das Auto geriet ins Schleudern, überschlug sind mehrmals währenddem es die steile Böschung hinunterrollte und fiel letztendlich in das eisige Meer...

Natürlich begriff meine Mutter sofort, dass es zu spät war, denn ihre Körpertemperatur blieb eisig und sie spürte den seelischen Tod unseres Vaters. Das war bei Banshees die Gabe: Wir spürten oder sahen den Tod. Es konnte immer unterschiedlich ablaufen. Aber eines blieb sich immer gleich: Wir spürten den seelischen Schmerz der sterbenden Person.

Meine Gabe war sich zu dieser Zeit erst noch am entwickeln, wodurch ich nur sehr wenig spürte. Natürlich nahm mich Vaters Tot auch so mit. Bei meinem Bruder war aber die Reaktion noch heftiger: Er war zu dieser Zeit neun - seine Gabe entwickelte sich auch noch - weshalb er sie weniger kontrollieren konnte. Durch die Trauer verwandelte er sich zum ersten Mal in ein Werwolf. Er rannte die ganze Nacht draussen herum, bis er am nächsten Morgen weinend und dreckig vor der Tür kauerte. Meine Mutter wusste natürlich wie sie mit ihm umgehen musste; Sie machte ihm einen Kakao, wickelte ihn ein einer Decke ein, klärte ihn über seine Gabe auf und war eine Mutter, die den Problemen seines Sohnes zuhörte.

Wir sind also Waisenkinder seit einer Woche. Unser Heimatland Irland kümmerte sich natürlich um uns. Wir mussten zu unseren einzigen Verwandten nach Schottland ziehen, zu den Eltern unseres Vaters. Das grosse Problem dabei lag auf der Hand: Sie wussten rein gar nichts über unsere Gaben noch waren sie eingeweiht. Mein Bruder und ich mussten also mit unseren Gaben alleine zurecht kommen. Na das konnte ja mal ein Spass werden! 

Nun standen wir hier das letzte mal auf der Klippe vor unserem Haus. Das Flugzeug nach Schottland wird in zwei Stunden gestartet sein, weshalb wir uns traurig vom Anblick unseres Hauses losreissen mussten. Es war höchste Zeit, dass wir uns auf den Weg zum Flughafen machten! Unsere Ansprechpartnerin der Organisation, die sich um Waisenkinder kümmerte, geleitete uns sanft zu ihrem Auto, schlug die Türen zu als wir uns beide hinten im Auto einfanden und fuhr die Einfahrt hinunter. Das Haus wurde hinter uns immer kleiner und unsere neue Zukunft lag ungewiss vor uns... Was erwartete uns in Schottland?



Why? Die Gabe der BansheeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt