Club der Jungfrauen

3.1.1

Barbie

„Warte mal! Bist du nicht Barbie? Die Jungfrau Barbie?"

Als wäre ich zu einer Eisstatue gefroren, bewegte ich mich nicht. Nicht mal zu atmen wagte ich in diesem Augenblick. Nachdem Moritz diese Worte ausgesprochen hat, zerplatzte die große Hoffnung in mir, dass sich alles ändern würde, wie eine einfache Seifenblase, die auf den Boden trifft.

Wieso Schicksal? Wieso musstest du mir diese Chance wegnehmen? Mir war gerade echt danach, einfach loszuheulen, von meinem Platz neben Moritz aufzustehen und zurück zu Schlitzauge und Kopftuchschlampe zu kehren. Was bleibt mir denn anderes übrig?

War ich denn zu naiv? Glaubte ich auch ernsthaft, dass ich eine neue Person werde, weil ich mein Kleidungsstil geändert habe? Oh man, am liebsten würde ich mir selbst eine ganz große Schelle geben, die noch nach dem Schlag schmerzhaft auf der Haut kribbelt, nur um mich vom Schmerz abzulenken, die die geplatzte Hoffnung hinterlassen hat.

Moritz würde mich immer als das Mobbingopfer Barbie sehen, denn so einen Titel würde man nicht von heute auf morgen verlieren. Es wird dich bis in die Ewigkeit verfolgen, egal was du tust, um dagegen anzukämpfen. Es ist einfach sinnlos. Alles ist sinnlos!

Es macht einfach keinen Sinn mehr meine wahre Identität vor ihm zu verstecken. Wieso sollte ich weiter dieses Spiel spielen, wenn er schon längst dahintergekommen ist und gewonnen hat? Ich war Barbie. Die kleine Jungfrau Barbie. Ich war ein Nichts. Zu nichts wert. Nicht würdig glücklich zu sein. Für immer dazu verdammt das Opfer zu sein.
Ich war ich.

„Ja...ich bin Barbie", meine Stimme war leise, während ich ihm antworte und ihm aus Scham dabei nicht wagte in sein Gesicht zu schauen, aber ich war mir sicher, dass er mich gehört hat.

Eine unangenehme Hitze verbreite sich in jede Zelle meines Körpers, als würde heißes Feuer durch meine Adern wandern. Ich merkte genau, wie meine Wangen wegen dieser Peinlichkeit anfingen zu erröten. Auch ohne Spiegel konnte ich ahnen, dass ich jetzt wie eine rote Tomate aussah.

Die peinliche Stille um und schien in jeder einzelnen Sekunde, in der er nicht antwortete, sich zu vergrößern. Wieso antworte er nicht? Er machte es ja jetzt noch schlimmer für mich, als es schon ist. Er kann doch nicht so sprachlos sein, oder?

Was dachte ich denn da? Natürlich war er sprachlos. Ich würde sogar meinen, dass es gerade für ihn peinlicher war als für mich. Der große, gut aussehende und beliebte Moritz hat Barbie angefasst, was ein Skandal. Die ganze Klasse würde lachen, wenn sie merkte, dass ich versuchte, mich Moritz zu nähern, und es jedem einzelnen Menschen in der Schule weiter erzählen. Die ganze Schule würde mir noch mehr erniedrigende Blicke zuwerfen, mir jedes Mal, wenn ich an jemanden vorbeigehe, würde dieser mir unter die Nase reiben, wie lächerlich und erbärmlich ich doch war. Und das schlimmste war immer noch, dass alles stimmte.

Nach weiteren Sekunden, die sich anfühlten wie die Ewigkeit, riss ich mich zusammen, sammelte meinen Mut, und schaute ihm direkt in seine blauen Augen, in der gerade ein heftiger Sturm herrschte. Erst jetzt bemerkte ich, dass seine Augen so schön sind wie zwei Saphire. So durchschneidend wie Edelsteine waren, so war es aber auch sein Blick gerade.

Ich glaube eine Antwort von ihm war gar nicht nötig. Seine Mimik sagte alles. Wie er sein Kiefer zusammenpresste, sodass es sein Gesicht markanter und maskuliner aussehen ließ, oder wie er seine buschigen Augenbrauen zusammenzog, zeigten mir dass ich nicht mehr erwünscht war. Ich hab einfach alles verbockt! Was suchte ich noch hier?

Schweigend packte ich meine pinken Schulsachen ein, die ich zuvor ordentlich auf den Tisch platziert hatte.  Jetzt wird bestimmt Marie hier wieder sitzen und ihr Platz auf dem Thron an Seiten von Moritz behalten. Mit betrübtem Gesicht saß ich schweigend noch ein paar Momente noch auf diesem Platz, genoss die letzten Sekunden, die ich mich mit Moritz teilen konnte, genoss die Wärme, die er ausstrahlte, genoss den letzten Augenblick, in denen wir uns die Luft  zum Atmen teilten, ehe ich aufstehen, gehen und mich am liebsten in meinem Bett verkriechen wollte.

„Bleib"