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Ich saß still im Auto. Der Fahrer fuhr in einem angemessenen Tempo, es störte mich also nicht. Neben mir lag meine vollgefüllte Tasche mit den notwendigsten Dingen. Abgesehen von meinem Handy. Es schien, als wäre es das einzige was mir über die ganze Zeit geblieben ist.

Kurz starrte ich auf den schwarzen Bildschirm, dann schaltete ich es mit meinen dürren Fingern an. Erst als ich den Namen eines Liedes sah, nahm ich die Musik, die durch meine Kopfhörer dröhnte, wahr. Trotz dem fröhlichen Lied, fühlte ich mich leer. So wie immer. Seit Monaten fühlte ich nichts mehr. Warum saß ich hier in diesem verdammten Auto? Wieso hau' ich nicht einfach ab? Weil er dich so oder so wieder finden würde. Und ich konnte doch nicht einfach meine Mutter zurück lassen.

Das stimmte. Er würde nach mir suchen und mich finden. Vielleicht würde ich sogar freiwillig wieder zurück kommen. Wegen Mum.

„Ms. Brien, wir sind da", holte mich der mir unbekannte Fahrer aus meinen Gedanken. Er stellte jeden Monat einen anderen ein. Wieso? Wenn ich das nur wüsste.

Ich gab nur ein Nicken von mir und steckte meine Kopfhörer aus meinen Ohren. Langsam ließ ich meine Blicke über den Hof gleiten. Es war viel los. Alle hatten Uniformen an, die Mädchen Röcke, die Burschen Hosen. Viele aßen grade ihre Mittagsbrötchen und tratschten miteinander, lachten sogar. Wann hatte ich zuletzt gelacht? Plötzlich wird mir von außen die Autotür schwungvoll geöffnet. Der Fahrer sah mich erwartend an. Erst jetzt konnte ich seine Gesichtszüge genauer erkennen. Er musste um die junge dreißig Jahre alt sein. Mit meiner linken Hand griff ich nach meiner Tasche und stieg elegant aus dem Auto heraus. Jetzt konnte ich den Hof genauer betrachten, durch die dunklen Scheiben sah der Hof viel düsterer aus obwohl die Sonne schien und kaum Wolken am Himmel waren. Der Fahrer schloss die Autotür hinter mir, während ich meine Tasche schulterte. Gerade will ich einen Schritt in Richtung Eingang machen, als mich mein Fahrer aufhielt.

„Ms. Brien?" Gespannt drehte ich mich um und blickte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Mr. Brien hat mir diesen hier gegeben", sprach er monoton und hielt mir einen Umschlag vor die Nase, als hätte er das zu Hause vor dem Spiegel auswendig gelernt. Sofort schoss mein Blut in den Kopf und mein Herz setzte für einen kurzen Moment aus, um dann doppelt so schnell zu schlagen. Mit zittrigen Fingern nehme ich den Brief entgegen. Es fühlte sich so an, als würde ich gerade Gift entgegen nehmen und ich hatte unglaubliche Angst davor. Warum renne ich nicht einfach weg? Diese Angst will ich nicht mehr spüren.

„Ich wünsche ihnen einen schönen Aufenthalt", unterbrach er wieder einmal meine Gedankenzüge. Und wieder nickte ich nur. Er lief um das Auto, stieg ein und fuhr um den Kreisverkehr, um dann auf einer Straße im Wald zu verschwinden.

Für einen kurzen Moment stiegen mir Tränen in die Augen. Obwohl ich meinen Fahrer nicht kannte, tat es weh, dass wieder mich jemand zurück lässt, der einigermaßen nett zu mir war. Mein Vater wechselte jeden Monat nicht nur den Fahrer, sondern auch das ganze Personal. Ich hatte nicht nur Freunde, nein ich hatte nicht einmal die Chance eine normale Bekanntschaft zu haben. Ich strich mir verzweifelt durch mein Gesicht und blickte nochmals zum Wald. Er sah verlockend aus. Da würde ich eher leben wollen, als hier oder sonst wo. Ich habe die Chance hier abzuhauen.

Ruhig steckte ich den Umschlag in einer der Seitentasche meiner Tasche.

„Theresa Brien? Die Tochter von Oliver Brien?"

Sofort schoss mein Kopf zu der Person, die meinen Namen sowohl als auch den Namen meines Vaters gesagt hatte. Meine Nackenhaare stellten sich senkrecht auf, als ich seinen Namen hörte.

„Ja?", erwiderte ich kalt, aber laut genug. Vor mir stand ein Mädchen in meinem Alter. Sie trug dieselbe Uniform wie die anderen Schüler hier auf diesem Gelände. Sie war nicht hässlich, überhaupt nicht. Sie war hübsch. Ihre blonden Haare waren zu einem hohen Zopf gebunden und ihr weniges Make-Up ließ sie natürlich erscheinen.

„Schön dich kennenzulernen! Ich wollte schon immer ein Kind eines wichtigen Regierungsmitgliedes kennenlernen. Ich meine, wie könnte mir sowas passieren, meine Eltern sind beide Regisseure und haben somit überhaupt nichts mit dem Weißen Haus zu tun", brabbelte sie los und umarmte mich stürmisch, als wäre ich ihre beste Freundin. Mich hatte schon seit Jahren niemand mehr umarmt und jetzt bekam ich eine von einer Fremden. Ein komisches Gefühl war das.

„Wieso sagst du denn nichts? Hab' ich dir etwa die Sprache verschlagen oder was?", redete sie mit einem Grinsen weiter und löste sich von mir. „Redest du immer so viel auf einmal?", fragte ich sie emotionslos und ihr Lächeln verschwand. Jetzt hatte ich ihr die Sprache verschlagen, das mich innerlich schmunzeln ließ. Ich ging an ihr vorbei, um mich bei der Direktion anzumelden.

„Warte mal!", rief sie mir hinterher. Ich blieb aber nicht stehen. Nun lief sie neben mir her und versuchte mit meinen Schritten mitzuhalten. „Willst du nicht meinen Namen wissen?" „Nicht unbedingt", antwortete ich ihr sofort. Wieso lässt sie mich nicht einfach in Ruhe? Es ließ mich bisher auch jeder in Ruhe, solange ich nicht auffiel.

„Du kennst dich hier nicht aus, das Internatsgebäude ist riesig. Du wirst dich verlaufen." Ich blieb stehen und sah sie unbeeindruckt an. „Umso besser, dann verpass' ich umso mehr Unterricht, was heißt weniger lernen, was heißt mehr Ruhe für mich. Wenn du mich jetzt entschuldigst", ich schenkte ihr ein Fake-Lächeln und stolzierte an ihre vorbei. Ich wusste, dass es gemein war, ziemlich gemein. Aber ich wollte einfach meine Ruhe. Ich wollte alleine sein, auch wenn ich es eigentlich hasste.

Als die große gläserne Eingangstür hinter mir zufiel, blickten die wenigen Schüler die am Gang herumlungerten zu mir. Es war eindeutig beschissen die Tochter eines Regierungsmitgliedes zu sein, oder anders gesagt, die Tochter einer bekannten Person zu sein. Ich war zwar nicht die einzige hier mit berühmten Eltern oder Verwandten, aber mein Vater war nicht nur zu Hause ein Monster, nein er war es auch in der Politik und er versteckte es auch nicht. Somit trug ich automatisch den Ruf von meinem Vater auf mir. Also sollte ich mich von meiner besten Seite zeigen. Ironie!

Und wenn ich mich nicht wie mein Vater verhalte, so wie er es mir befohlen hatte, dann konnte ich wirklich aufhören zu kämpfen.

Ich stolzierte zu dem offenen Sekretariat. Meine Schritte machten durch meine Stiefel dumpfe Geräusche. Vor mir war eine Glasscheibe, dahinter saß eine mit dem Rücken zu mir gedrehte Frau. Ohne Vorsicht sie vielleicht zu erschrecken, klopfe ich an das Glas und blicke erwartend auf ihren Hinterkopf, der mit wuscheligen grauen Haaren bedeckt war. Sie schreckte nach oben, dreht sich zu mir und als sie mir in meine leeren Augen sah, richtete sie nervös ihren Rock und ihre braune Bluse. Langsam setzte sie sich wieder und blickt in einen Ordner vor ihr.

„Theresa Brien?", fragte sie nach und setzt sich ihre Brille auf. „Das ist mein Name", ich bemerkte ihr Namensschild an ihrer Brust und versuchte den Namen darauf abzulesen, „Mrs. Donna?" Wieder schreckte sie hoch, aber dieses Mal nur mit ihren Kopf. Ein kleines Schmunzel lag auf meinen Lippen. Es war einfach amüsant mit anzusehen, wie schreckhaft eine Person doch sein konnte. „Ihr Namenschild", wies ich sie darauf hin, woher ich ihren Namen herausfand. Mrs. Donna atmet erleichtert auf. „Hier, ihr Info-Blatt, darauf stehen ihr Stundenplan, ihre Zimmernummer und in welchen Räumen sie Unterricht haben", dabei legte sie mir einen Zettel und einen Schlüssel auf die Theke. Nur die Glaswand trennte uns, abgesehen von dem kleinen Loch unten, der mit der Theke verbunden war. „Danke, Mrs. Donna. Noch einen schönen Tag", bedankte ich mich lächelnd und entfernte mich. Zum ersten Mal seit langer Zeit schenkte ich jemand ein ehrliches Lächeln. An den Gedanken, weswegen ich nie lächelte, verschwand dieses sofort aus meinem Gesicht.

„Du solltest öfters lächeln."

Nun schreckte ich mit meinem Kopf nach oben.

„Steht dir", sprach der fremde Junge vor mir. Er strich sich seine etwas zu langen braunen Haare nach hinten und sieht mich durch seine Lesebrille erwartend an. „Dave", er streckte seine Hand nach meiner aus, „Dave Collin ist mein Name." Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen, die flach und blass waren. Nun konnte man seine Grübchen gut erkennen. Ich blickte seine ausgestreckte Hand noch immer misstrauisch an. „Und du bist?" „Das weißt du nicht?", stellte ich sofort eine Gegenfrage und sah ihm in seine hellbraunen Augen. Sein Lächeln blasste etwas ab und er starrte mich für Sekunden an. „Doch, ich weiß wer du bist. Ich will es von dir hören", antwortete er mir. Ich nahm seine Hand in meine und drückte sie.

„Ich bin Theresa Brien. Die Tochter von Oliver Brien."

Und wieder zog sich mein Magen zusammen, als ich an ihn denken musste. 

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