„Wie geht's denn deinem alten Herrn so?", lachte Liam. Ich wusste, dass er meinen Vater meinte. Wieso war das alles so oberflächlich? Keiner kannte mich. Nur meinen Vater kannte man. Nur weil er denselben Namen trug, nur weil dasselbe Blut in meinen Adern floss, nur weil ich seine Tochter war.
„Dein Vater ist nicht der beste Bursche in der Regierung, aber ich denke, das weißt du bereits", sagte dieses Mal Cole, vor dem ich eher größere Angst empfand, als vor Liam. Er schien wohl eher der Mitläufer von Cole zu sein, das Schoßhündchen. Bei dem Gedanken musste ich innerlich grinsen.
„Seid ihr etwa schon so hobbylos geworden, dass ihr die Neue belästigt!", kam eine strenge weibliche Stimme. Es war das Mädchen, das mich gestern empfangen hatte. „Sucht euch wen anderen, den ihr mobben könnt!", sprach sie wieder und kam auf uns zu. Die Jungs machten keinen Schritt. „Nadine, misch dich nicht ein!", antwortete Cole jetzt aufgebracht. Nun war sie bei uns angekommen und stellte sich mit gekreuzten Armen vor mich. „Cole, du machst schon seit Jahren Probleme, ich dachte nachdem die Polizei letztens da war, hast du deine Orientierung etwas geändert", mahnte sie ihn und tippte bei jedem neuen Wort ihm auf die rechte Brust. Wow, so einer war also Cole. Anscheinend war Nadine das gewohnt, denn sie ärgerte sich nicht, sondern war eher darüber belustigt und nahm Cole keineswegs ernst. Wie konnte man so eine gelassene und ruhige Seele haben?
Cole war nicht begeistert und auch nicht beeindruckt von ihrer kleinen Rede, aber er gab nach.
„Theresa", er blickte wieder zu mir und ich riss meine Augen auf, „Tür 35, um siebzehn Uhr." Ohne noch irgendwas dazu hinzuzufügen, verschwand er mit seinem Schoßhund Liam. War das jetzt eine Verabredung? Ich wusste noch nicht einmal auf welcher Etage seine Tür war. Ein Seufzer verließ meinen Mund.
„Gern geschehen", holte mich das blonde Mädchen zurück in die Realität. An ihrem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass mein erster Eindruck, den ich gestern bei ihr hinterlassen habe noch nicht verschwunden war. „Fangen wir von vorne an?", schlug sie trotzdem vor. „Wetten wir, dass du dieselbe Meinung über mich hast, wie Cole, Liam oder generell alle Schüler in diesem verdammten Gebäude?", sagte ich voreilend. „Vorurteile wird es immer geben, aber ich hab' das Gefühl, dass du jetzt erst so richtig die Chance hast, dass vielleicht zu ändern", lächelte sie mich an. „Meinst du?" Als Antwort nahm sie mich hastig an mein Handgelenk und zerrt mich wieder zurück zu den Tischen und Stühlen. Sie blieb vor einem Tisch stehen auf dem zwei gutaussehende Jungs und ein auffallend gekleidetes Mädchen saßen.
„Darf ich euch vorstellen: das ist Theresa", flötete Nadine anscheinend ihren Freunden vor. Für den ersten Morgen hier, war das bis jetzt für mich ein ganz schön hektischer Tag. Ihre Freunde lächelten mich freundlich an und kurz hatte ich den Gedanken, dass das vielleicht meine Clique sein könnte. Meine ersten richtigen Freunde. Aber ich versuchte mir nicht allzu viel Hoffnung zu machen, denn wir wissen, werde ich oft enttäuscht.
„Und das sind Noah, Silvia und Thomas", stellte sie mir ihre Freunde vor. Wir begrüßten uns gegenseitig und schon wurde mir angeboten mich zu ihnen zu setzen. Alex wartete oben auf mich, weswegen ich ablehnen musste.
„Du und deine Freundin könnt heute zum Abendessen bei uns sitzen, nur wenn ihr wollt", schlug Noah vor. Sofort nahm ich den Vorschlag entgegen und ich war mir sicher, dass sich Alex freuen würde. Sie hatte sonst keine Freunde hier.
Nadine begleitete mich hinauf, sie bestand darauf.
„Wieso bist du so nett zu mir?", fragte ich sie nun verwirrt. Ich verstand sie nicht. Ich war gestern so kalt und unhöflich zu ihr. Es war mir ungemein unangenehm, dass sie trotzdem mich ihren Freunden vorstellt und mich sozusagen aufnimmt. Sie nahm mich sogar auf, obwohl der Ruf meines Vaters auf mir lag. Jeder Mensch mit einem normalen Verstand würde sowas unterbinden.
„So bin ich halt, Theresa. Jeder hat es mal schwer im Leben und keiner ist ohne Grund gemein und abwesend zu fremden Gesichtern", antwortete sie mir ehrlich und ihr Lächeln strahlte pure Unschuld aus. Man denkt zuerst, sie wäre naiv und dumm und wüsste nicht was wirklich in der Welt abging, aber genau so schien sie nicht zu sein. Es war eher so, dass sie Ahnung hatte, aber ihre Freundlichkeit nie opferte. Das war pures Talent, was mich an Nadine faszinierte.
„Danke", flüsterte ich und ein kleines Lächeln brachte ich auf meine Lippen.
Alex war schon längst in den Unterricht verschwunden. Und ich, ich wusste nicht wo der Raum war, in dem ich jetzt Geschichtsunterricht hätte. Nadine war eine Stufe über mir, weswegen sie sowieso keinen Unterricht mit ihr hatte. Sie hatte sich sowieso auch aus dem Staub gemacht.
Hektisch nahm ich das Geschichtsbuch von dem Buchstapel, der bevor ich hier eingezogen war bereits hier stand, und verschwand durch die Tür. Ich wusste, das eigentliche Schulgebäude war der rechte Internatsflügel, im linken waren die Zimmer und die Mensa. Das hatte mir Alex erzählt, als ich sie darum bat, dass sie nicht mehr über Dave reden soll.
Als ich im rechten Flügel ankam, lehnte Dave gelassen an dem Geländer der Stiegen. Er war auf sein Handy konzentriert. Wenn man vom Teufel sprach. Ich sah sofort, dass sein Hemd wie gestern nicht in der Hose steckte. Er hatte mich sofort wahrgenommen und sah mich ausdruckslos an. Desinteressiert blickte er von mir weg und widmete sich seinem Handy wieder. Der Unterricht hatte schon längst begonnen. Was tat er noch hier?
„Es ist schon nach acht Uhr", sprach ich ihn schüchtern an. Ich traute mich nicht einmal in seine Augen zu sehen. Diese Verachtung, die er mir gestern ausgestrahlt hatte, wollte ich nicht nochmal sehen. „Was willst du mir jetzt damit sagen, Theresa?" Meine Härchen am Nacken stellten sich senkrecht auf, als er meinen Namen aussprach. „Das der Unterricht schon längst begonnen hat", stotterte ich leise. Gott, warum hatte er so eine Wirkung auf mich? Ich stotterte nur vor einer Person, und das war mein Vater.
Er steckte sein Handy weg und kam auf mich zu. „Was willst du von mir?" „Ich, uhm ich finde den Raum 024 nicht", gab ich zu und dieses Mal nahm ich meinen Mut um ihm ins Gesicht zu blicken. Er musterte mich und mein Gesicht detailliert und interessiert. Grade eben und gestern war ich ihm doch total egal. Oder deutete ich seinen Ausdruck in seinem Gesicht falsch. Wohl eher das zweite.
„Ich bring' dich hin", antwortete er monoton. Da war es wieder, sein Desinteresse. Dieses Hin und Her machte mich wütend. Okay, ich bin auch selber schuld, ich musste ihn ja auch unbedingt ansprechen. Aber sonst hätte ich wohl kaum diesen verdammten Raum gefunden.
Es war kein langer Weg. Nur einen Stock über uns. „Willst du nicht hinein gehen?", fragte er mich amüsiert, als ich nervös durch den das schmale Glasfenster an der Tür luge. Am liebsten würde ich schwänzen. War ja auch eigentlich mein Plan, aber wenn ich nicht anwesend bin, fliege ich spätestens in zwei Wochen wieder raus und lande bei meinen ach-so-geliebten-Vater wieder.
„Wenn du kein Bock hast auf Vormittagsunterricht, dann kannst du mit mir in der Mensa abhängen", schlug er vor. Was war nur mit ihm los? Einmal sah er mich an und redete mit mir als wäre ich Abschaum und im anderen Moment behandelte er mich wie als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen und wären schon immer befreundet. Skeptisch ließ ich meine Blicke über sein Gesicht gleiten. „Nein, danke. Ich gehe lieber in den Unterricht."
Ich stolziere auf die Tür und schließe sie hinter mir.
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see hope in your eyes
Teen FictionTheres Brien war schon immer ein Mensch mit wenigen Worten. Doch als ihre Mutter sie grundlos verlässt und ihr Vater ihr Leben zur reinsten Hölle macht, gibt sie auf und kann ihr Leben nicht mehr genießen. Sie tut nur mehr das was man von ihr verla...